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"... keine Reue gezeigt" - Die Freiheit der Forschung vor Gericht

Seoul: Skandalurteil gegen den deutsch-koreanischen Hochschullehrer Song

Im Folgenden informieren wir über das Urteil in einem Prozess gegen den deutsch-koreanischen Wissenschaftler Song Du-Yul (siehe auch unseren Bericht "Die surreale Welt des Häftlings Nummer 65" vom Januar 2004). Zunächst dokumentieren wir einen Artikel von Rainer Werning, der Prozessbeobachter war und selbst auch als Zeuge auftrat, sodann geben wir Auszüge aus einem Kommentar, den Karl Grobe für das Feuilleton der Frankfurter Rundschau verfasste.

"... keine Reue gezeigt"

Von Rainer Werning*

Der deutsch-koreanische Hochschullehrer Song Du-Yul verbrachte 37 Jahre im Exil. Diesen sollen nun sieben Jahre Gefängnishaft folgen. So jedenfalls urteilte am Dienstag der vorsitzende Richter Lee Dae-Gyeong am Seouler Distriktgericht. In seiner Urteilsbegründung heißt es: »Professor Song hatte eine Funktion als Kandidat des nordkoreanischen Politbüros inne. Professor Song hat die nordkoreanische Ideologie durch seine wissenschaftliche Arbeit in Südkorea verbreitet. Er hat Nordkorea nie ausreichend kritisiert, sondern mit seinen Büchern eine theoretische Grundlage für pro-nordkoreanische Aktivitäten in Südkorea geschaffen«. Erschwerend käme hinzu, daß »der Angeklagte keine Reue gezeigt und sich nicht für seine Taten entschuldigt« hätte. Allesamt, so der Richter, Verstöße gegen das Nationale Sicherheitsgesetz (NSG).

Mit diesem Urteil hat die südkoreanische Justiz einmal mehr demonstriert, wie sehr sie noch den Kategorien des Kalten Krieges verhaftet ist und im Stechschritt mit lernresistenten, doch strategisch positionierten Dunkelmännern des nationalen Geheimdienstes (NIS) marschiert. Und das in einem Mitgliedsland der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), das sich vermeintlich von der bleiernen Vergangenheit der Militärdiktatur verabschiedet und eigentlich demokratischen Prinzipien verschrieben hat.

Ende September 2003 war der an der Universität Münster lehrende deutsch-koreanische Sozialphilosoph Song Du-Yul mitsamt Familie in seine Heimat Südkorea zurückgekehrt. Ihnen wurde ein großer Empfang bereitet, landesweit waren Vorträge für den bekannten Gegner der Militärdiktatur und Mentor der außerparlamentarischen Bewegung arrangiert. Statt dessen verhörte der NIS den Akademiker wochenlang unter entwürdigenden Bedingungen. Dann hakte die Staatsanwaltschaft nach und beschuldigte Song, massiv gegen das aus dem Jahre 1948 (!) stammende NSG verstoßen zu haben. Ja, mit Song sei ihr ein wahrhaft dicker Fisch ins Netz gegangen, der im Politbüro der Partei der Arbeit Nordkoreas Rang 23 bekleide, ein unbelehrbarer Bewunderer der dort herrschenden Dschutsche-Ideologie sei und dem Ansehen Südkoreas in der Vergangenheit schwer geschadet habe.

Auch nach einem viermonatigen Prozeß vom 2. Dezember bis 10. März vermochte die Staatsanwaltschaft keinen einzigen Anklagepunkte beweisen. Aber selbst nachdem ihr Kronzeuge, ein vor Jahren aus dem Norden geflohener Überläufer, vollends eingeknickt war, forderte die Staatsanwaltschaft eine 15jährige Haftstrafe, ein aus ihrer Sicht noch »mildes« Strafmaß. Nach dem NSG existiert Nordkorea nur als »staatsfeindliche Organisation«. Ginge es nach der Logik der Staatsanwaltschaft, so der Angeklagte in seinem Schlußplädoyer, hieße dies, »daß alle deutschen Angestellten der deutschen Botschaft in Pjöngjang das Nationale Sicherheitsgesetz verletzt haben. Auch der Leiter des Goethe-Instituts in Seoul, der gleichzeitig für die Betreuung der Bibliothek in Pjöngjang zuständig ist und deswegen häufig nach Nordkorea reist, (...) müßte folgerichtig den Tatbestand der ›Infiltration und Flucht‹ erfüllen«.

Die Staatsanwaltschaft in Seoul verteidigt das NSG als »positives Recht«. Das ist nachgerade absurd: Einerseits verhindert dieses Gesetz die Vereinigung des geteilten Landes. Zum anderen treffen sich regelmäßig die Spitzen von Politik und Wirtschaft beider Länder im Geiste einer sogenannten Sonnenscheinpolitik. Lange bevor dieser Ausdruck geprägt wurde, hatte sich kein anderer Intellektueller unter den Exilkoreanern in Europa so sehr für den Dialog und eine friedliche Aussöhnung auf der koreanischen Halbinsel eingesetzt wie Song Du-Yul. Paradox: Da treffen sich seit Anfang dieser Woche im nordkoreanischen Mount Kumgang Resort zum neunten Mal durch den Koreakrieg (1950-53) getrennte Familienangehörige aus beiden Landesteilen, während just in Seoul Kommißköpfe einen Mann verurteilen, der sich für eben eine solche Nord-Süd-Annäherung verdient gemacht hat. Für diese Verdienste wurde Herr Song erst vor wenigen Tagen in der Seouler Myongdong-Kathedrale mit dem Ahn-Joong-Geun-Friedenspreis geehrt, der im Andenken an einen herausragenden Widerstandskämpfer gegen die frühere Kolonialmacht Japan (1910–45) vergeben wird.

Spätestens jetzt ist vom deutschen Auswärtigen Amt ein starkes Engagement für den seit 1993 deutschen Staatsbürger Song gefordert. Und die Leitung der Frankfurter Buchmesse sollte sehr genau überlegen, ob sie an Südkorea als Schwerpunktland der Buchmesse 2005 festhält und wie sie dieses Skandalurteil kritisiert. Denn einem Land, in dem Gedanken und Worte nicht frei sind und dessen Justiz erklärtermaßen die Feder mehr ächtet als das Schwert, sollte nicht auch noch eine internationale Plattform zur Selbstzelebrierung gegeben werden.

* Der Autor ist Vorstandsvorsitzender des Korea Verbandes e.V. im Asienhaus (Essen).
Der vorliegende Beitrag erschien in der "jungen Welt" vom 31. März 2004


***

"Kann begrenzt werden"

Wie die Freiheit der Forschung in Südkorea vor Gericht steht

VON KARL GROBE
( A u s z ü g e )

(...) In einem Schlüsselsatz hat Richter Lee Dae Kyong ausgeführt: "Die Freiheit der Forschung und des Gewissens kann aus Gründen der nationalen Sicherheit und Ordnung begrenzt werden."

Freiheit der Forschung: Song Du Yul ist vorgehalten worden, er habe sich der immanenten Methode bedient, um das Funktionieren des nordkoreanischen Systems zu erforschen; das System habe er also mit seiner Selbstdarstellung konfrontiert. Das bedrohte, dem Urteilstenor zufolge, die Ruhe und Ordnung, weil es "die theoretische Grundlage" geboten habe, "Kim Il Sungs Ideologie durch wissenschaftliche Schriften und Beiträge ... im Süden zu verbreiten".

Freiheit des Gewissens: Song Du Yul hat sich, als Student und Wissenschaftler in Deutschland sowie als deutscher Staatsbürger koreanischer Abkunft, für die Demokratiebewegung in Südkorea eingesetzt. Die war, so definiert im Verständnis der Diktatoren, aber ein Fellow Traveller des Nordens, also laut Nationalem Sicherheitsgesetz (von 1948, in Kaltkriegszeiten mehrfach revidiert) strafwürdig. Ein demokratisches Gewissen, verbunden mit dem Bewusstsein nationaler Zusammengehörigkeit, kostet sieben Jahre Haft, wenn es mit "Grenzgängertum" (Song) gepaart ist.
(...)
Die formalen Urteilsgründe zu bewerten ist müßig. Der Anklagepunkt, Song sei unter falschemNamen Mitglied des Nord-Politbüros gewesen, stützt sich auf eine Aussage des Überläufers Hwang Jang Yop, der das vom Hörensagen gewusst haben will, und auf ein abgefangenes Chiffre-Telegramm eines nordkoreanischen Diplomaten, in beiden Fällen auf Geheimdienst-Vorgaben.

Südkoreas Justiz hat mit diesem Urteil gegen einen deutschen Staatsbürger dem Anliegen des Staates erheblich geschadet, sich auf der Frankfurter Buchmesse 2005 als moderner Kulturstaat zu präsentieren. Bis dahin ist noch Zeit zur Korrektur. Die Zusage der südkoreanischen Botschaft vom September, Song könne, da sich die Demokratie durchgesetzt habe, furchtlos nach 37 Jahren heimkehren, lässt Fragen nach Motiven und Hintergründen aufkommen; vielleicht waren die Diplomaten in Berlin naiverweise überzeugt, dass alte Verhältnisse überwunden sind, und stärkten deshalb Songs - wie sich sofort zeigte, naive - Zuversicht.

Dann aber stellt sich die Frage nach dem politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Hintergrund. Der ist charakterisiert durch einen unvollendeten Wandel der politischen Kultur. Die Bürokratien, besonders der geheimen Dienste, sind noch beherrscht von den Denkmustern jener Generation, die im Süden seit 1945 herrschte. (...)

Nach der Befreiung von der japanischen Kolonialherrschaft stützten sich die US-Militärbehörden in Südkorea auf die "unentbehrlichen Fachkräfte", die vorher Japan gedient hatten, schoben die unter Links-Verdacht stehenden Volkskomitees und nationalen Widerstandskämpfer ins Abseits und ließen den Exilpolitiker Syngman Rhee eine erste Diktatur errichten. Den Krieg von 1950 bis 1953 gewannen die USA. Gegen den nordkoreanischen Feind blieben sie als Garantiemacht im Lande. Sie stützten indessen auch die Militärdiktaturen; bis zu Herrschaft von Park Chung Hee (1961 bis 1979).

Die so genannte "Generation 386", die mit dem Computer groß geworden ist und seit den achtziger Jahren den demokratischen Wandel herbeigeführt hat, ist in dieser Denkweise nicht mehr daheim. Sie ist national selbstbewusst und gerade nicht unpolitisch. Der aus politischer Hybris geborene Vorstoß der Hannara-Partei, Präsident Roh des Amtes zu entheben, mobilisiert sie. Der Mittelstand der Millionenstädte geht mit ihr auf die Straße, diszipliniert und politisch bewusst. Die - von einem anderen Gericht als ordnungswidrig verbotenen - Kerzenlicht-Demonstrationen vereinigen die Veteranen der Protest- und Demokratiebewegungen von 1974, 1980 und 1988; zu deren Inspiratoren aus der europäischen Ferne aber hat gerade Song Du Yul gehört.

Weltoffen, ans Internet gewöhnt und modern ist die junge Mehrheit der unter Vierzigjährigen. (...) Die Jungen wollen jene Freiheit des Forschens und des Gewissens, die Richter Lee dem Wissenschaftler Song soeben verboten hat.

Aus: Frankfurter Rundschau, 31. März 2004


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