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Hingerichtet und ausgelöscht

Nordkoreas Führer Kim Jong Un ließ seinen Onkel als Hochverräter erschießen *

Der entmachtete Onkel des nordkoreanischen Führers Kim Jong Un ist nach offiziellen Angaben wegen des Vorwurfs des Hochverrats hingerichtet worden. Ein »Militärisches Sondertribunal des Ministeriums für Staatssicherheit der Demokratischen Volksrepublik Korea« habe den 67-jährigen Jang Song Thaek am Donnerstag zum Tode verurteilt, meldeten die staatliche Agentur KCNA und die Zeitung »Rodong Sinmun« am Freitag in gleichlautenden Berichten. Der Beschuldigte habe parteifeindliche, konterrevolutionäre Handlungen mit dem Ziel ausgeführt, »die Führung unserer Partei, des Staates und des sozialistischen Systems zu stürzen«. Jang Song Thaek – Ehemann von Kim Jong Uns Tante Kim Kyong Hi – habe gestanden, dass er selbst auf die Übernahme der Macht hingearbeitet habe. Das Sondertribunal habe ihn als »gemeinen politischen Karrieristen, Gauner und Verräter« zum Tode verurteilt, das Urteil sei sofort vollstreckt worden.

Jang war als Vizevorsitzender der Nationalen Verteidigungskommission noch unlängst faktisch der zweite Mann im Staate und galt lange Zeit als Mentor des jungen, unerfahrenen Kim Jong Un, der die Führung Nordkoreas nach dem Tod seines Vaters Kim Jong Il im Dezember 2011 übernommen hatte. Erst am Montag war offiziell bekannt gegeben worden, dass Jang auf einer erweiterten Sitzung des Politbüros des ZK der Partei der Arbeit Koreas am 8. Dezember aller Ämter enthoben, aller Titel entledigt, aus der Partei ausgeschlossen und »von der Namensliste gestrichen« worden sei. Offenbar wurde er auch von offiziellen Fotos der Parteiführung entfernt. Der südkoreanische Geheimdienst NIS hatte schon wenige Tage zuvor Abgeordneten in Seoul von der Absetzung Jangs berichtet.

Südkoreas Regierung sorgt sich angesichts der Vorgänge um die Stabilität in der Region. »Wir bereiten uns auf alle Eventualitäten vor«, sagte ein Sprecher des Vereinigungsministeriums in Seoul nach einem Treffen der für die Sicherheit des Landes zuständigen Minister. Das US-Außenministerium nannte die Hinrichtung ein Zeichen der »extremen Brutalität des Regimes«. China dagegen bezeichnete Jangs Exekution als »interne Angelegenheit«. In Berlin sagte Außenamtssprecher Martin Schäfer, die Todesstrafe sei »kein angemessenes Mittel«. Zugleich warnte er: »Es wäre nicht das erste Mal, dass von Nordkorea aus Impulse für Instabilität in der Region gegeben würden.«

* Aus: neues deutschland, Samstag, 14. Dezember 2013

Kims Tante behält Einfluss in Nordkorea

Offenbar Geschäftsleute aus China zurückbeordert

Nach der Hinrichtung eines Onkels von Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un behält die zugehörige Tante offenbar ihren Einfluss im Staatsapparat. Wie die amtliche Nachrichtenagentur KCNA am späten Sonnabend berichtete, wurde sie zum Mitglied des Komitees für Staatsbegräbnisse ernannt.

Kim Kyong Hui ist die Schwester des im Dezember 2011 verstorbenen Staatschefs Kim Jong Il, des Vaters von Kim Jong Un. Ihr Mann Jang Song Thaek war am Donnerstag nach einem kurzen Militärprozess wegen Hochverrats hingerichtet worden. Die Tante war zuletzt weitgehend aus der Öffentlichkeit verschwunden. Sie soll in Singapur medizinisch behandelt worden sein.

Laut KCNA wirkt Kim Kyong Hui nun im Beerdigungskomitee an der Seite von Armeechef Jang Jong Nam und dem ebenfalls beim Militär tätigen Kim-Vertrauten Choe Ryong Hae. Sie und ihr Mann galten zeitweilig als mächtigstes Paar Nordkoreas, gerüchteweise soll sie aber selbst die Hinrichtung Jangs betrieben haben.

Die südkoreanische Nachrichtenagentur Yonhap berichtete, nordkoreanische Geschäftsleute seien aus China zurückbeordert worden, wo ihre Verbindungen zu Jang untersucht würden. Ihm war unter anderem vorgeworfen worden, im Ausland Devisen verprasst und Drogen konsumiert zu haben. Über seine Festnahme und den Prozess berichteten die offiziellen Medien ausführlich.

Die USA-Regierung warnte Nordkorea vor »provokativen Handlungen«. Jangs Hinrichtung sei ein »unglaublich brutaler« Vorgang, der in eine »schreckliche« Bilanz von Menschenrechtsverletzungen eingehe, sagte Außenamtssprecherin Marie Harf. Washington werde nun die Gespräche mit den »Verbündeten und Partnern in der Region« verstärken.

(neues deutschland, 16.12.2013)



Graue Eminenz endete grausam

Onkel des nordkoreanischen Führers Kim Jong Un nach kurzem Prozess hingerichtet

Von Susanne Steffen, Tokio **


Nordkoreas Führer Kim Jong Un hat eine unmissverständliche Botschaft an potenzielle Abweichler gesandt. Er ließ seinen Onkel Jang hinrichten, obwohl der sein politischer Ziehvater gewesen sein soll.

Mit einem Maschinengewehr ließ Kim Jong Un seinen 67-jährigen Onkel erschießen, behaupten südkoreanische Geheimdienstler. Und das, obwohl Jang Song Thaek ihm bei der Machtübernahme vor ziemlich genau zwei Jahren assistiert haben soll und seither nicht von der Seite gewichen war.

In ungewohnter Offenheit berichteten die nordkoreanischen Medien über den abrupten Absturz der grauen Eminenz, die Kim Jong Il noch kurz vor seinem Tod als Mentor für seinen politisch unerfahrenen Sohn bestimmt haben soll. »Rodong Sinmun« veröffentlichte am Freitag ein Foto, das Jang mit gesenktem Kopf und gefesselten Händen zeigt, wie er von zwei uniformierten Wächtern vor das Militärtribunal geführt wird. Vor dem Sondertribunal habe Jang zugegeben, einen Umsturz geplant zu haben, meldete die Nachrichtenagentur KCNA. Er habe in seinem Umkreis ein eigenes »kleines Königreich« geschaffen und sich im Falle, dass Staat und Wirtschaft an den Rand des Bankrotts zu geraten drohen, als Regierungschef zum Retter aufschwingen wollen, soll der ehemalige Spitzenfunktionär gestanden haben. Überdies wurden ihm Unterschlagung, Korruption und zahlreiche moralischen Verfehlungen vorgeworfen.

Selbst in Nordkorea, wo politische Säuberungsaktionen keine Seltenheit sind, ist die Hinrichtung eines Mitglieds des innersten Führungszirkels ungewöhnlich. Lange Zeit musste kaum ein in Misskredit geratener Spitzenmann um sein Leben fürchten. Hingerichtet wurden meist nur die unteren Ränge – als Warnung für den Top-Zirkel, so Andrei Lankov, Professor für Koreastudien an der Kookmin-Universität Seoul gegenüber dem Nachrichtendienst NK News. Manchmal konnten verjagte Funktionäre nach ein paar Jahren in der Versenkung sogar auf eine zweite Karriere hoffen. Auch Jang war unter Kim senior einer Säuberungsaktion zum Opfer gefallen. Zwei Jahre später wurde er rehabilitiert. »Jetzt erkennen die Top-Funktionäre, dass ihnen der Tod droht, wenn sie in Ungnade fallen. Das ist eine völlig neue Situation«, analysiert Lankov.

Jang galt als Verfechter von Wirtschaftsreformen nach chinesischem Vorbild in dem international isolierten Land, das in dritter Generation von der Kim-Familie beherrscht wird. Spekuliert wird, dass Kim junior Jangs Reformideen zu weit gingen. Während Jang Reformen für das ganze Land angestrebt haben soll, wird Kim nachgesagt, er habe lediglich sehr begrenzte Reformen im Sinn, mit dem Ziel, Devisen und Technologie aus dem Ausland zu beschaffen.

Das chinesische Außenministerium hielt sich am Freitag bedeckt und bezeichnete die Hinrichtung als innerstaatliche Angelegenheit Nordkoreas, doch glauben Beobachter, dass China einen seiner wichtigsten Kontakte im Norden verloren hat.

Einen ersten Hinweis darauf, wie Kim die Lücke schließen will, die sein Onkel in der Führungsriege hinterlässt, könnte die Welt in ein paar Tagen bekommen. Am Dienstag ist der Todestag des vor zwei Jahren verstorbenen Kim Jong Il. Wer dann auf offiziellen Bildern neben Jong Un trauern darf, hat Chancen, die neue Nummer Zwei zu werden.

** Aus: neues deutschland, Samstag, 14. Dezember 2013


Warnschuss in Pjöngjang

Detlef D. Pries über Täuscher und Getäuschte in Nordkoreas Olymp ***

Selbst langjährige Beobachter der Vorgänge im Norden Koreas äußern sich überrascht von der Unbarmherzigkeit, mit der Jungführer Kim Jong Un seinen Onkel nicht nur aus allen Ämtern werfen und aus Fotos und Filmen retuschieren, sondern unverzüglich exekutieren ließ. Auch Großvater Kim Il Sung und Vater Kim Jong Il zeichneten sich bei der Durchsetzung ihres absolutistischen Führungsanspruchs nicht durch Barmherzigkeit aus. Mancher Getreue verschwand spurlos aus dem Protokoll. Eine offizielle Verlautbarung, in der dem Verstoßenen schwerste Verbrechen an Partei, Staat und vor allem dem obersten Führer vorgeworfen wurden, gab es dazu nicht. Machtintrigen blieben unterm Teppich.

Was also bedeutet die ausführlich begründete Hinrichtung eines Mannes, der als Mitglied der Kim-Familie unantastbar zu sein schien? Wie immer in Sachen Nordkorea ersetzen auch Experten Wissen durch Spekulationen. Sicherlich handelt es sich um einen unüberhörbaren Warnschuss für alle, die vom Pfad des »Kimilsungismus-Kimjongilismus« abweichen könnten. Aber hat Kim Jong Un seine Macht damit gefestigt und unangreifbar gemacht? Oder leitet er im Gegenteil, wenn auch ungewollt, eine Zeit größerer Unsicherheit und Instabilität ein? Wahr ist: Der Mythos von der monolithischen Einheit der Führung in Pjöngjang ist zerstoben, und selbst die angeblich unfehlbare Kim-Familie hat sich von einem »Gauner und Verräter« täuschen lassen, der – so das Urteil – »schlimmer als ein Hund« war.

*** Aus: neues deutschland, Samstag, 14. Dezember 2013 (Kommentar)


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