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Nordkorea sperrt Industriezone Käsong

Seoul schließt militärische Aktion bei "ernster Lage" nicht aus

Von Daniel Kestenholz, Bangkok *

Die Gefahr einer Schließung des gemeinsam von Nord- und Südkorea betriebenen Industrieparks Käsong lag seit Tagen in der Luft. Bereits am 30. März hatte die nordkoreanische Leitung der »Sonderzone« mit »entschiedenen Maßnahmen« gedroht, falls man im Süden fortfahre, »die Würde der KDVR zu verletzen«.

Tag für Tag, außer sonntags, passierten Hunderte Südkoreaner auf dem Weg nach Käsong die streng bewachte Grenze zwischen beiden koreanischen Staaten. In dem 2003 gegründeten Industriekomplex rund zehn Kilometer nördlich der »Demilitarisierten Zone« (DMZ) arbeiteten sie gemeinsam mit über 50 000 Nordkoreanern für 123 südkoreanische Unternehmen. Trotz der Drohung mit »entschiedenen Maßnahmen« am Wochenende waren die Südkoreaner auch am Montag problemlos an ihre Arbeitsplätze gelangt.

Doch am Mittwochmorgen ließ Nordkorea keinen der 481 südkoreanischen Pendler, die über gültige Papiere verfügten, über den Grenzübergang Paju einreisen. Lange Kolonnen von Lastwagen stauten sich vor den Kontrollposten. 861 in Käsong verbliebenen Südkoreanern wurde die Heimkehr erlaubt, doch bis zum späten Nachmittag machten lediglich 46 Mitarbeiter von diesem Angebot Gebrauch. Mehr als 800 zogen es vor, zunächst in Käsong zu bleiben, um einen reibungslosen Ablauf der Geschäfte ihrer dortigen Firmen zu ermöglichen.

Südkorea nannte die Sperrung »bedauerlich« und arbeitete einen Notfallplan aus. Selbst eine militärische Aktion zur Befreiung südkoreanischer Staatsbürger wollte Verteidigungsminister Kim Kwan Jin nicht ausschließen, sollte sich eine »ernste Lage« ergeben.

Der Betrieb lief jedoch vorerst trotz des Konflikts weiter. Unklar ist, wie lange Lebensmittel- und Produktionsvorräte ausreichen. Der Industriepark galt bisher nicht nur als »Festung des Friedens«, sondern auch als Gradmesser für politische Risiken, denen Unternehmen auf der Halbinsel ausgesetzt sind. Als Anreiz, Investitionen zu wagen, garantierte die südkoreanische Regierung den meisten Firmen im Industriekomplex Versicherungsschutz. Käsong sollte beweisen, dass innerkoreanische Annäherung und Kooperation möglich sind.

Es ist dennoch nicht das erste Mal, dass Käsong als Instrument politischen Drucks benutzt wird. 2009 hatte Nordkorea den Industriepark aus Zorn über Militärmanöver Südkoreas und der USA blockiert. Die Blockade wurde drei Tage später, nach Beendigung der Manöver, aufgehoben. Dagegen verloren südkoreanische Investoren bei einem anderen Projekt ihren gesamten Besitz: Im malerischen Kumgang-Gebirge, unmittelbar nördlich der Grenze, hatte der Hyundai-Konzern Anlagen für südkoreanische Tagestouristen errichtet. Die wurden im Jahre 2010 von Pjöngjang entschädigungslos verstaatlicht.

Was im Norden als »Verletzung der Würde« des Landes betrachtet wurde, war offenbar die von Medien im Süden verbreitete Vermutung, die Führung in Pjöngjang werde den Betrieb in Käsong nicht stören, weil der Industriekomplex eine wichtige Devisenquelle der KDVR ist. Für den Norden sei der Fortgang der Produktion also wichtiger als für den Süden. In der am 30. März veröffentlichten Warnung hieß es, Pjöngjang habe trotz der Kriegsgefahr, die auf der Koreanischen Halbinsel herrsche, in Bezug auf Käsong bisher Zurückhaltung geübt, weil eine Schließung der Zone die Existenz kleiner und mittlerer Unternehmen Südkoreas bedrohen und viele Leute arbeitslos machen würde.

Tatsächlich schmerzt die Blockade auch den Süden, denn allein im vergangenen Jahr wurden in Käsong Textilien, Haushaltsgeräte, Halbleiter und Maschinenbauteile im Wert von rund 470 Millionen Dollar produziert. Die Mehrzahl der Beschäftigten sind indes Nordkoreaner, die jährlich 90 Millionen Dollar Löhne in Devisen nach Hause tragen. Regierungskreise in Seoul gaben sich trotz der Verärgerung über die weitere Zuspitzung im Streit mit Nordkorea zunächst gelassen. Man rechne nicht mit einer Verschärfung der Lage in Käsong, hieß es aus dem Ministerium für Wiedervereinigung, dessen Sprecher Pjöngjang aufforderte, das »Reisen in den Industriepark sofort zu normalisieren«.

Zum Vergleich: Nach der dreitägigen Blockade 2009 waren Käsongs Vorratslager praktisch leer. Die gegenwärtigen gemeinsamen Militärmanöver Südkoreas und der USA dauern noch bis Ende April. Dass der Aufmarsch der übermächtigen US-Kriegsmaschine ausgerechnet eine bitterarme Nation zu wirtschaftlichen Druckmethoden greifen lässt, gehört zu den Paradoxien des Konflikts in Korea.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 4. April 2013


Korea-Konflikt spitzt sich zu

Pjöngjang schließt Sonderzone des Industrieparks Kaesong. Drohung der Regierung in Washington: USA und Südkorea sollen militärisch "verteidigt" werden

Von Knut Mellenthin **


Die Krise auf der koreanischen Halbinsel wird weiter verschärft. Während die US-Regierung androht, sie werde die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten militärisch »verteidigen«, schloß Nordkorea am Mittwoch den Zugang zum gemeinsam mit dem Südteil des Landes betriebenen Industriepark ­Kaesong. 53400 Nordkoreaner produzieren dort unter Leitung von 860 Managern und Vorarbeitern aus dem Süden Exportgüter im Auftrag von 123 südkoreanischen Firmen.

Die 66 Quadratkilometer große Industrieregion Kaesong liegt zehn Kilometer nördlich der Waffenstillstandslinie, die seit 1953 die Grenze zwischen beiden koreanischen Staaten bildet. Kaesong wurde im Mai 2003 vereinbart und im Jahr darauf als zollfreie Zone in Betrieb genommen. Sie stellt die wichtigste und zur Zeit sogar die einzige Verbindung zwischen der Demokratischen Volksrepublik (DVRK) im Norden und der Republik Korea im Süden dar.

In der Hauptsache bedeutet die Entscheidung der nordkoreanischen Führung aktuell, daß rund 450 Südkoreanern, die planmäßig zur Ablösung in die Sonderwirtschaftszone einreisen sollten, sowie einigen LKW-Fahrern am Mittwoch der Zugang verwehrt wurde. Indessen läuft, westlichen Medien­berichten zufolge, die Produktion in Kaesong weiter. Die DVRK hat offiziell erklärt, daß alle Südkoreaner, die das wollen, ungehindert das Gebiet verlassen können. Davon hatten aber bis zum Nachmittag (Ortszeit) angeblich nur neun Personen Gebrauch gemacht. Bis zum Abend sollen es 36 gewesen sein. Die meisten Südkoreaner blieben, vermutlich nicht zuletzt auf Grund von Anweisungen ihrer Firmen, vor Ort.

Ob die Regierung des Südens unter diesen Umständen wirklich damit gedroht hat, ihre sich noch in Kaesong aufhaltenden Bürger »militärisch zu befreien«, wie ein deutsches Nachrichtenmagazin am Mittwoch reißerisch in seiner Online-Ausgabe behauptete, ist ungewiß. Vermutlich hat das Verteidigungsministerium in Seoul lediglich auf Nachfrage von Journalisten grundsätzlich bestätigt, daß es einen »Notfallplan« gibt, der zum Einsatz kommen könnte, falls sich eine »ernste Lage« entwickeln würde. Die beiden koreanischen Staaten haben im meistern solcher Konfrontationen immerhin schon Routine entwickelt. Allein im Jahr 2009 stoppte die DVRK dreimal den grenzüberschreitenden Verkehr nach Kaesong. Eine dieser Unterbrechungen dauerte drei Tage. Als Hauptgrund wurden damals, ebenso wie jetzt, gemeinsame Militärübungen der USA und Südkoreas angegeben. Das Pentagon hat immer noch 28500 Soldaten im Süden der Halbinsel stationiert und verstößt damit permanent gegen das 1953 geschlossene Waffenstillstandsabkommen.

Am Dienstag hatte die DVRK ihre Absicht bekanntgegeben, die Atomanlagen in Nyongbyon wieder in Betrieb zu nehmen. Direkt genannt wurden ein in den 1980er Jahren errichteter 5-Megawatt-Reaktor und eine Fabrik zur Anreicherung von Uran. Der Reaktor war in den Jahren 2007–2008 auf Grund eines internationalen Abkommens stillgelegt und teilweise demontiert worden. Von der Existenz oder dem Bau einer Anreicherungsanlage berichtete Nordkorea hingegen erstmals im Jahre 2010. Das Abkommen, das zur Stillegung des Reaktors geführt hatte, ist spätestens seit 2009 nicht mehr in Kraft. Daß er danach bis jetzt nicht wieder in Betrieb genommen wurde, hat offenbar in der Hauptsache technische Ursachen und keine politischen Gründe.

Aus den Berichten der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), die sich seit der Ausweisung der Inspektoren vor vier Jahren nur auf Satellitenaufnahmen stützen, geht hervor, daß es am alten Reaktor in den vergangenen Monaten keine Aktivitäten gegeben hat. Statt dessen errichtet die DVRK in Nyongbyon einen neuen Leichtwasserreaktor, der nach nordkoreanischen Angaben eine Leistung von 100 MW bringen soll. Die Arbeiten daran seien bereits weit vorangeschritten, hieß es im September vorigen Jahres in einem IAEA-Bericht.

** Aus: junge welt, Donnerstag, 4. April 2013


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