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Das Schiff darf nicht auf Grund laufen

Neue Runde der Sechs-Parteien-Gespräche über die koreanische "Nuklearkrise" begann

Von Anna Guhl, Peking

»Solange alle Parteien Weisheit und den Geist der Zusammenarbeit zeigen, wird unser Schiff das endgültige Ziel der Abrüstung erreichen.« Es waren weise Worte, die der nordkoreanische Vizeaußenminister Kim Kye Gwan am Dienstag zur Eröffnung einer neuen Runde der Sechser-Gespräche über das Atomprogramm der KDVR in Peking aussprach.

Nach gut einem Jahr Unterbrechung begann die vierte Runde der Sechs-Parteien-Gespräche zur Beilegung der »Nuklearkrise« auf der koreanischen Halbinsel. Neben Gastgeber China, den USA und der KDVR haben die Republik (Süd-)Korea, Japan und Russland ihre stellvertretenden Außenminister nach Peking entsandt. Aus Sicht der USA ist es das Ziel der Gespräche, Nordkorea zum Verzicht auf Atomwaffen zu bewegen. Sowohl Washington als auch Pjongjang signalisierten, dass man diesmal flexibel und konstruktiv operieren wolle. »Die USA möchten gerne substanzielle Fortschritte erzielen, auf die sich alle Beteiligten bei den künftigen Verhandlungen stützen können«, sagte USA-Unterhändler Christopher Hill bei seiner Ankunft in Peking.

Seit Juni letzten Jahres pausierten die Gespräche, die im August 2003 in der chinesischen Hauptstadt begonnen hatten. Im letzten Februar erklärte die KDVR sogar ihren Ausstieg aus der Runde und begründeten dies mit einer feindseligen Haltung Washingtons. Überdies erklärte sich die KDVR zur Atommacht – mit Hinweis auf die Bedrohung durch die USA.

In Peking betrachtete man dieses Vorgehen des Nachbarn jedoch auch als Ohrfeige für China. Die chinesische Führung hatte sich von Anbeginn sehr darum bemüht, Pjongjang zu einer friedlichen Lösung seines Streits mit Washington zu bewegen. Ausgebrochen war der Konflikt, als die KDVR-Regierung im Herbst 2002 zugab, dass sie ihr Atomwaffenprogramm weiter verfolge, worauf die USA alle im Jahr 1994 vereinbarten Hilfen stoppten.

Dreimal gelang es China, alle Parteien an einem gemeinsamen Tisch zu versammeln. Auch nach der Verhärtung der Fronten wurden immer wieder hochrangige Politiker zum nördlichen Nachbarn entsandt, um ihn zur Rückkehr an den Verhandlungstisch zu bewegen. Aus US-amerikanischer Sicht reichten diese Bemühungen jedoch nicht aus. China hätte demnach nicht nur mit politischem Druck, sondern auch mit handfesten Sanktionen – etwa der Einstellung der umfangreichen Entwicklungshilfe – reagieren sollen. Davon aber hielt die chinesische Führung bis zuletzt nichts. Stattdessen sprach sie weiterhin von traditioneller Freundschaft und bemühte sich hinter den Kulissen, den Draht nach Pjöngjang nicht durchbrennen zu lassen.

Während in den USA bereits laut darüber nachgedacht wurde, die Angelegenheit vor den UNO-Sicherheitsrat zu bringen und auch militärische Lösungen zu erwägen, während Außenministerin Condoleezza Rice Nordkorea zum »Vorposten der Tyrannei erklärte« und die Krise damit weiter anheizte, erhielt China Rückendeckung vom südkoreanischen Präsidenten Roh Moo Hyon. Roh forderte Präsident George Bush bei einem USA-Besuch auf, nichts unversucht zu lassen, um den Streit friedlich zu lösen.

Nachdem auch aus Pjongjang versöhnlichere Töne zu vernehmen waren, entsandte Chinas Partei- und Staatschef Hu Jintao den ehemaligen Außenminister Tang Jiaxuan als persönlichen Gesandten nach Nordkorea, um eine Gesprächszusage zu erlangen und den Termin für eine neue Runde der Gespräche festzumachen. Tatsächlich zeigte sich KDVR-Führer Kim Jong Il entgegenkommend, auch weil China seine Hilfe in Form von Nahrungsmittel- und Energielieferungen nicht eingestellt hatte. Eines musste die chinesische Führung in den letzten Jahren allerdings lernen: Auch Pekings Einfluss auf die Politik Kim Jong Ils ist begrenzt.

Bei den jetzigen Gesprächen kommt es letztendlich auf die Herangehensweise der USA und Nordkoreas an. Denn in der Sache sind die Positionen unverändert: Die USA verlangen von der KDVR eine vollständige und nachweisbare Aufgabe des Atomwaffenprogramms, bevor sie zu Wirtschaftshilfe bereit sind. Die KDVR dagegen fordern zuerst Sicherheitsgarantien. Christopher Hills sagte am Dienstag: »Wir betrachten Nordkoreas Souveränität als Tatsache«. Der USA-Vertreter versicherte, man habe »absolut keine Absicht«, in das Land einzumarschieren oder es anzugreifen. Das wird man in Pjongjang gerne gehört haben, aber als ausreichend wird man es nicht betrachten. Die KDVR will einen ordentlichen bilateralen Vertrag mit den USA, der die Aufnahme diplomatischer Beziehungen einschließt.

Beiden Seiten fehle es an gegenseitigem politischen Vertrauen, war dieser Tage in den chinesischen Medien zu lesen. Auch deshalb hält sich China in offiziellen Verlautbarungen sehr zurück. Man hoffe auf gute Gespräche und wirkliche Fortschritte, erklärte letzte Woche Regierungssprecher Kong Quan. Auf keinen Fall dürften die Gespräche scheitern, schreiben chinesische Kommentatoren. Ein Scheitern würde zu einer deutlichen Verhärtung der Positionen und zur Verschlechterung der Ausgangslage führen. Daran kann eigentlich keiner der Parteien gelegen sein.

Aus: Neues Deutschland, 27. Juli 2005


US-Atomprogramm

Kommentar von Peter Kirschey

Die »Sechsergespräche über das umstrittene nordkoreanische Atomprogramm« laufen in Peking, ist allerorts zu lesen. Doch schon da beginnt die Unexaktheit. Sind es Gespräche über das Atomprogramm eines Landes, sitzen da fünf mächtige Friedensfreunde über einen kleinen bösartigen Feuerteufel zu Gericht oder geht es bei den Beratungen doch um etwas mehr? Um Frieden und Sicherheit auf der koreanischen Halbinsel und der pazifischen Region, um die Frage, wer wen bedrohen kann.

Nordkoreanische Atombomben könnten schon – sollten sie tatsächlich existieren, bisher ist alles nur Spekulation – eine ernstzunehmende Gefahr darstellen. Doch wie steht es um das amerikanische Potenzial? Über mögliche zwei oder drei Bomben redet die Welt. Über die wahnsinnige Möglichkeit, die Erde gleich vielfach in Stücke zu reißen, kaum einer. Wie steht es um die permanente US-amerikanische Drohung, auch atomare Schläge gegen Pjöngjang zu führen?

Der Ausgang der Sechsergespräche ist offen, alle bisherigen Treffen haben keine Resultate gebracht. Nicht nur, weil die Nordkoreaner ein Spiel mit der Welt treiben, hoch pokern, um möglichst viel an Wirtschaftshilfe und Lebensmittellieferungen herauszuholen. Auch weil die Amerikaner bisher nicht bereit waren, dem Land Sicherheitsgarantien zu bieten. Ein Kurswechsel in der amerikanischen Nordkoreapolitik würde Wunder bewirken.

Aus: Neues Deutschland, 27. Juli 2005


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