Krise als Dauerbrenner
USA und China vereinbaren im UN-Sicherheitsrat neue Sanktionen gegen Nordkorea. Pjöngjang kündigt Waffenstillstandsabkommen von 1953
Von Knut Mellenthin *
Der UN-Sicherheitsrat hat am Donnerstag einstimmig seine vierte Sanktionsresolution gegen Nordkorea verabschiedet. Der Text war in mehrwöchigen Verhandlungen zwischen den USA und China ausgehandelt worden. Praktisch bringt
Resolution 2094 nichts wesentlich Neues. Ihre Bedeutung besteht aus Sicht der USA hauptsächlich in der Demonstration, »daß die internationale Gemeinschaft vereint ist in ihrer Verurteilung des nordkoreanischen Atom- und Raketenprogramms«. Vor allem die Tatsache, daß die Entschließung gemeinsam mit China formuliert wurde, das immer noch als Schutzmacht und wirtschaftliches Rückgrat der Demokratischen Volksrepublik Korea gilt, ist für die US-amerikanische Propaganda wertvoll und wird entsprechend groß herausgestellt.
Anlaß der Resolution 2094 ist die dritte nukleare Versuchsexplosion der DVRK, die am 12. Februar durchgeführt wurde. Diese wiederum war nach nordkoreanischer Darstellung eine Antwort auf die Resolution 2087, mit der der Sicherheitsrat am 22. Januar den Start eines Weltraumsatelliten am 12. Dezember verurteilt hatte. Auch nach der Entschließung vom Donnerstag hat die DVRK sofort Gegenmaßnahmen angekündigt. Allgemein gerechnet wird mit Raketentests, da die Regierung in Pjöngjang die Einrichtung einer Sperrzone für Schiffe und Flugzeuge vor der West- und Ostküste bekanntgegeben hat.
Die Vertreterin der USA bei den Vereinten Nationen, Susan Rice, erklärte zu den neuen Sanktionen, diese würden »Nordkoreas Fähigkeit, seine illegalen Atom- und Raketenprogramme weiterzuentwickeln, wesentlich behindern«. Das ist, was die wirtschaftliche Seite angeht, mit Sicherheit unwahr. In politischer Hinsicht stellt das Vorgehen Washingtons für die DVRK eine verstärkte Motivation dar, ihr militärisches Abschreckungspotential zügig auszubauen.
Materiell ändert sich durch die neuen Strafmaßnahmen kaum etwas. Der Sanktionsliste wurden einige Firmen, Personen und Güter hinzugefügt. Unter diesen sticht das Verbot, Luxusartikel wie Jachten, Rennwagen und Juwelen nach Nordkorea zu liefern, durch besondere Absurdität und Nutzlosigkeit in bezug auf das angebliche Ziel hervor. Die meisten neu hinzugefügten Bestimmungen sind entweder nicht eindeutig definiert, also unterschiedlich auslegbar, oder nicht verbindlich. Die USA und ihre Verbündeten können damit zwar ihre einseitigen Maßnahmen legitimieren, aber für China oder auch Rußland ergeben sich kaum zusätzliche Verpflichtungen.
Die DVRK hat in den vergangenen Tagen einige politische Schritte bekanntgegeben. Darunter hat vor allem die Aufkündigung des Waffenstillstandsabkommens vom 27. Juli 1953 ein starkes internationales Medienecho ausgelöst. Schon aus der zeitlichen Abfolge der Ereignisse ergibt sich, daß die nordkoreanischen Maßnahmen keine direkte Reaktion auf die Verabschiedung der Sicherheitsresolution darstellen, sondern dieser vorausgingen. Die Stellungnahme des Oberkommandos der nordkoreanischen Streitkräfte, mit der dieses den Ausstieg der DVRK aus dem Waffenstillstandsabkommen zum 11. März bekanntgab, wurde schon am Dienstag veröffentlicht. Begründet wurde dieser Schritt mit der Kette von gemeinsamen Militärübungen der USA und Südkoreas, die unter dem Namen Foal Eagle am 1. März begannen und bis zum 30. April dauern sollen.
Foal Eagle findet alljährlich in dieser Form statt und zählt zu den größten Militärmanövern der Welt. Ob die Übungen in diesem Jahr eine besonders aggressive Qualität haben, wie die DVRK unterstellt, ist nicht ohne weiteres nachzuvollziehen. Eindeutig recht hat die nordkoreanische Führung aber mit ihrer gut dokumentierten Feststellung, daß sich die USA und ihre südkoreanischen Juniorpartner auf der Halbinsel fast pausenlos im Manöverzustand befinden und praktisch jederzeit zum »Ernstfall« übergehen könnten. Aus Sicht der DVRK ist die Kündigung des Waffenstillstands vor allem ein politischer Hebel, um auf den Abschluß eines Friedensvertrags zu drängen. Das Waffenstillstandsabkommen wurde 1953 mit der Maßgabe geschlossen, daß innerhalb von drei Monaten eine internationale Friedenskonferenz folgen sollte, die den Abzug aller ausländischen Truppen vereinbaren sollte. Die USA ließen diese Konferenz im Juni 1954 scheitern und sind immer noch mit mehr als 28000 Soldaten in Südkorea präsent.
* Aus: junge Welt, Samstag, 9. März 2013
Pjöngjang und der atomare Erstschlag
Auch die Militärdoktrin der USA sieht den Ersteinsatz von Kernwaffen vor
Von Olaf Standke **
Seoul hat am Freitag in scharfem Ton auf die Drohung Pjöngjangs mit einem nuklearen Erstschlag reagiert. Das Regime von Machthaber Kim Jong Un werde zugrunde gehen, sollte es Südkorea mit Atombomben angreifen, so ein Sprecher des Verteidigungsministeriums. Zuvor hatten schon die USA die Drohung zurückgewiesen.
Die Ausweitung der Sanktionen gegen Nordkorea durch den UN-Sicherheitsrat waren am Donnerstag noch gar nicht verkündet, da fuhr man in Pjöngjang das denkbar schwerste verbale Geschütz auf: 23 Tage nach dem dritten Atomtest des Landes drohte ein Sprecher des Außenministeriums Washington quasi mit einem nuklearen Erstschlag: »Weil die USA einen Atomkrieg entfachen wollen, werden wir unser Recht auf einen nuklearen Präventivschlag gegen das Hauptquartier der Aggressoren wahrnehmen.« Ein Satz, in den sich auch Südkorea einbezogen sieht, nachdem Pjöngjang auch noch den Nichtangriffspakt mit dem Nachbarn aufkündigte und das Komitee für eine friedliche Wiedervereinigung Koreas gestern den »Heißen Draht« zum Süden kappte. Der Verbindungskanal im Grenzort Panmunjom werde geschlossen, hieß es in den offiziellen Medien. Bereits 2009 hatte die damalige Führung alle innerkoreanischen Abkommen über Entspannung für nichtig erklärt. Der Aussöhnungsvertrag von 1992 enthält u.a. einen Nichtangriffspakt und sieht Schritte zur militärischen Entspannung vor.
In Seoul verweist man darauf, dass Nordkorea zuletzt Truppenübungen von »beispielloser Intensität« durchgeführt habe. Dazu seien U-Boote, Kampfjets und Spezialeinheiten mobilisiert worden. Mit geschätzten 1,2 Millionen Soldaten unterhält das wiederholt von Hungersnöten geplagte Nordkorea eine der größten Armeen Asiens. In Pjöngjang wiederum fühlt man sich durch das am 1. März begonnene, zwei Monate andauernde Frühlingsmanöver der südkoreanischen Streitkräfte mit US-Einheiten unter der Bezeichnung »Foal Eagle« akut bedroht und unterstellt beiden Ländern, ihrerseits einen Nuklearangriff vorzubereiten. Die USA haben in Südkorea etwa 28 500 Soldaten stationiert.
»Die Vereinigten Staaten sind voll und ganz in der Lage, sich gegen nordkoreanische Raketendrohungen zu verteidigen«, erklärten die Sprecher von Weißem Haus und Außenministerium am Donnerstag wortgleich. Was im Fall der Fälle auch eine atomare Option einschließen würde. Denn die USA haben nach Ende des Kalten Kriegs keineswegs ihren Verzicht auf den nuklearen Erstschlag erklärt. Die Abschreckung durch eine solche Option ist weiterhin Bestandteil der Washingtoner Militärdoktrin. Die sieht zudem einen »atomaren Schutzschild« für die Nichtatommächte unter den NATO-Verbündeten sowie für Australien, Japan und eben Südkorea vor.
Ausgeschlossen wäre der Ersteinsatz von Kernwaffen gegen Nichtatommächte, die dem Atomwaffensperrvertrag beigetreten sind. Aber auch hier gibt es Ausnahmen – nämlich Angriffe gegen das Territorium, die Bevölkerung oder die Armee der Vereinigten Staaten oder ihrer Partner durch eine Nichtatommacht, die in dem Konflikt mit einer Atomwaffenmacht verbündet ist. In den nuklearen Arsenalen der USA, die den Atomteststoppvertrag noch immer nicht ratifiziert haben, finden sich nach jüngsten Angaben der »New York Times« mindestens 1700 einsatzfähige Atomsprengköpfe.
Nordkorea, das sich nach einer Verfassungsänderung im Vorjahr selbst offiziell als Nuklearmacht bezeichnet, will nach eigenen Angaben über mehrere einsatzbereite Atombomben und entsprechende Trägersysteme verfügen. Wissenschaftler arbeiten derzeit an der Entwicklung einer Interkontinentalrakete des Typs »Taepodong-2«, Aber wäre das Militär wirklich zu den angedrohten »atomaren Präzisionsschlägen« gegen die USA in der Lage? Der Hamburger Professor August Pradetto von der Universität der Bundeswehr, der die angekündigten Strafmaßnahmen der UN eher symbolisch nennt, sieht zur Zeit keine ernst zunehmende Gefahr. Nordkorea fehlten dafür adäquate Kapazitäten. »Es gibt ein paar nukleare Sprengköpfe, es gibt einige Raketen – aber das bedeutet noch lange keine interkontinentale Schlagfähigkeit.« Und auch in Pjöngjang wisse man, dass selbst ein begrenzter Angriff auf US-Streitkräfte in Südkorea die vollständige Vernichtung des eigenen Militärs und auch der politischen Führung bedeuten würde. »Die USA und Südkorea sind militärisch haushoch überlegen.« Gleichwohl sieht der Politikwissenschaftler nicht zuletzt durch die Manöver und Zwischenfälle vor allem im Ostchinesischen Meer die Gefahr einer Eskalation.
** Aus: neues deutschland, Samstag, 09. März 2013
»Wir sollten Kim Jong Un ernst nehmen«
Professor Rüdiger Frank über Nordkoreas Säbelrasseln und die Gefahr eines neuen Koreakrieges ***
Rüdiger Frank ist Professor für
Wirtschaft und Gesellschaft Ostasiens
an der Universität Wien.
1969 in Leipzig geboren, studierte
er Koreanistik, Ökonomie
und Internationale Beziehungen
an der Berliner Humboldt-Universität.
Mit dem Korea-Experten sprach für »nd« Ralf Hutter.
Die nordkoreanische Regierung
hat von einem atomaren Erstschlag
gegen die USA gesprochen.
Das wird von Experten als Säbelrasseln
bezeichnet, denn Nordkorea
sei dazu technisch gar nicht in
der Lage. Wie sehen Sie das?
Ich halte diese Fragestellung für
völlig nutzlos. Letztlich könnte eine
solche Infragestellung seiner
Fähigkeiten durch den Westen von
Nordkorea als eine Aufforderung
verstanden werden, noch mehr zu
entwickeln, damit man ihnen endlich
glaubt. Nordkorea hat im Februar
den dritten Atomtest vollzogen,
der nach Einschätzung aller
Experten auch erfolgreich verlaufen
ist. Es hat im Dezember eine
dreistufige Rakete ins Weltall
schießen können. Da scheinen also
einige Fähigkeiten vorhanden zu
sein. Ich möchte nicht derjenige
sein, der sagt: »Ihr könnt das ja
nicht«, und am Ende wird man
dann eines Besseren belehrt. Also
man sollte das schon ernst nehmen.
! Haben Sie Verständnis dafür,
Haben Sie Verständnis dafür, wenn Kim Jong Un im europäischen
und amerikanischem Raum
als verrückt bezeichnet wird? Wie
verrückt ist dieser Mann?
Ich habe dafür kein Verständnis.
Der ist genau so verrückt oder nicht
verrückt, wie Politiker bei uns. Er
ist zweifellos ein Diktator, der keine
demokratische Legitimation hat
und der einen Personenkult fördert,
der bei uns ungewöhnlich ist.
Aber ich glaube, er tut als Diktator
in Nordkorea das, was man von ihm
auch erwarten würde. Etwas verrücktes
sehe ich da nicht, sondern
eher etwas, das nicht mit unseren
Vorstellungen übereinstimmt.
USA hin oder her – Südkorea hat
jetzt »Truppenübungen von beispielloser
Intensität« in Nordkorea
wahrgenommen. Findet also
doch militärisch etwas statt?
Ich halte diese Truppenübungen für
absolut gefährlich. Bei Militärmanövern
kann immer etwas schief
gehen – je größer sie sind, um so
größer ist die Wahrscheinlichkeit,
dass ein Panzerfahrer mal die Richtung
verwechselt, oder ein Pilot sich
um zehn Kilometer irrt. Das kommt
sehr häufig vor und könnte in der
jetzigen Situation zu Gegenmaßnahmen
führen, die wiederum zu
Gegenmaßnahmen führen und
dann hat man am Ende die Eskalation,
die keiner haben möchte.
Nordkorea unterstellt seinerseits
Südkorea und den USA, einen
Nuklearangriff vorzubereiten.
Ist das ernst gemeint?
Ich kann mir nicht vorstellen, dass
Südkorea und die USA einen Atomangriff
vorbereiten. Da die USA
aber über das Potenzial verfügen,
fühlt sich Nordkorea bedroht. Das
finde ich durchaus nachvollziehbar.
Nun hat Nordkorea jedenfalls ein
Friedensabkommen mit Südkorea
für nichtig erklärt. Werden dem
praktische Schritte folgen?
Das war ein Waffenstillstandsabkommen,
kein Friedensabkommen.
Ich glaube, das ist eher ein
Signal, dass man jetzt endlich eine
endgültige Lösung des Koreakrieges
haben möchte, ein Friedensabkommen
auch mit den USA. Ich
glaube nicht, dass das jetzt eine unmittelbare
Folge haben wird.
UNO-Sanktionen gegen Nordkorea
gab es bereits, sie wurden
jetzt wegen der Atomtests verschärft.
Welche Auswirkungen
wird das auf Regierung und Bevölkerung
haben?
Es wird wehtun, und jede Sanktion
im wirtschaftlichen Bereich
schmerzt zuerst die Schwächsten.
Es gibt auch Sanktionen, die den
Import von Luxusgütern betreffen
– aber da wird es relativ schwer
sein, den Schmuggel über die chinesische
Grenze zu verhindern. Ich
kann zwar sehr gut nachvollziehen,
dass der UNO-Sicherheitsrat
reagieren wollte und musste. Aber
was die Wirksamkeit der Sanktionen
angeht, bin ich eher pessimistisch.
Sie werden nicht zu einem
grundlegenden Wandel der nordkoreanischen Politik führen.
* Aus: neues deutschland, Samstag, 09. März 2013
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