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Beef der "Schutzmacht" unerwünscht

Hunderttausende Südkoreaner wehren sich gegen den wirtschaftlichen Druck der USA

Von Peter Kirschey *

Es brodelt in der Republik Korea. Seit das Land mit den USA im März des letzten Jahres ein Freihandelsabkommen geschlossen hat, erschüttern Proteste den südlichen Teil der koreanischen Halbinsel.

Die jüngsten Aktionen richten sich gegen die Wiederaufnahme der Rindfleischimporte aus den USA, die die Regierung unter dem konservativen Staatspräsidenten Lee Myung Bak im April beschlossen hatte. Tag für Tag gehen seitdem Hunderttausende auf die Straße und fordern die Rücknahme der Entscheidung. Sie befürchten, dass die Rinderseuche BSE in Südkorea eingeschleppt wird. Auf dem Höhepunkt der Widerstandsaktionen Anfang Juni bot die Regierung geschlossen den Rücktritt an. Der Präsident nahm das Gesuch nicht an, wechselte aber einige Staatssekretäre und Präsidentenberater aus. Gleich zweimal entschuldigte sich Lee beim Volk. »Wir werden bescheidener sein, wenn wir dem Volk zuhören, und ihm mit all unserer Kraft dienen«, erklärte er in einer Fernsehansprache. In einer zweiten Rede letzte Woche hieß es erneut: »Ich hätte den Wünschen der Menschen mehr Aufmerksamkeit schenken müssen«.

Zwar halten es Fachleute für sehr unwahrscheinlich, dass die Rinderseuche durch Fleischimporte aus den USA eingeschleppt wird, doch die Südkoreaner misstrauen den Amerikanern und vermuten, dass der Präsident nur unter USA-Druck die Wiedereinfuhr erlaubt hat. Die Massenproteste haben zumindest erreicht, dass zwischen beiden Staaten neue Importkriterien ausgehandelt wurden. So sollen sich die USA verpflichtet haben, kein Fleisch von mehr als 30 Monate alten Rindern zu liefern.

2003 hatte Südkorea zusammen mit 30 anderen Staaten die Einfuhr von US-amerikanischem Rindfleisch untersagt, nachdem bei einem Rind im Bundesstaat Washington BSE nachgewiesen worden war. Präsident Lee ist erst seit Anfang des Jahres im Amt. Er hoffte, durch die Aufhebung des Fleischembargos dem Freihandelsabkommen neues Leben einzuhauchen und die südkoreanische Industrie zu stärken. Das Freihandelsabkommen betrifft 85 Prozent des zweiseitigen Austausches an Industriegütern, ausgeschlossen vom Wegfall der Zollschranken ist lediglich der Reismarkt. Das Gesamthandelsvolumen liegt zur Zeit bei 70 Milliarden Dollar, vom Stopp des Fleischembargos erhoffte sich Lee eine Steigerung um 20 Milliarden. Doch bei den 43 Millionen Südkoreanern kam dieser Schritt mehrheitlich nicht an. Sie sehen in der Aufhebung des Rindfleischembargos einen Schritt zurück in die Abhängigkeit von den USA. Die Bauern befürchten, dass Südkorea nun mit billigen Importen überschwemmt wird und sie gegen die übermächtigen Produzenten aus Übersee keine Chance haben.

So versuchte sich ein Bauer auf einer Zufahrtsstraße nach Seoul selbst zu verbrennen, in der Hauptstadt zündete sich ein Taxifahrer vor dem Tagungsort der südkoreanisch-US-amerikanischen Wirtschaftskommission an. Rund vier Millionen Menschen beteiligten sich 2007 an den Protesten.

Die Aktionen spiegeln die allgemeine Unzufriedenheit der Südkoreaner über die Rolle der USA als »Schutzmacht« wider. Seit der Gründung des Staates 1948 befindet sich Südkorea in fester Abhängigkeit von den USA. Der erste Präsident Syng Man Rhee (Li Syng Man) war ein USA-Import, die folgenden Machthaber, die durch Militärputsche oder USA-gesteuerte Revolten ans Ruder kamen, ordneten sich völlig den Interessen Washingtons unter. Der Koreakrieg 1950 bis 1953 hätte ohne das Eingreifen der USA einen anderen Ausgang genommen.

Mit Abschluss des Waffenstillstandsabkommens von 1953 und der Unterzeichnung eines Verteidigungsbündnisses legten die Südkoreaner ihre Sicherheit vollständig in die Hände Washingtons. Die entmilitarisierte Zone zwischen Nord und Süd bei Panmundschom liegt seitdem in der Befehlshoheit der USA. Doch in dem Maße, wie sich die Republik Korea zu einem wirtschaftlichen Giganten in Asien entwickelte und demokratische Strukturen einführte, wuchs auch ein neues Nationalbewusstsein der Südkoreaner.

Obwohl die heutige Elite fast durchweg in den USA ausgebildet wurde, hat sich doch gerade bei der Führungsschicht der Wille herausgebildet, sich aus der Umklammerung der USA zu lösen und die militärische Hoheit über das Land zurückzuerlangen.

Erst 2002 erschütterte eine Protestwelle Südkorea, nachdem ein USA-Minenräumfahrzeug zwei südkoreanische Mädchen überrollt hatte und die verantwortlichen Soldaten von einem USamerikanischen Militärgericht freigesprochen wurden. Der Massenforderung nach dem vollständigen Abzug der USA-Truppen musste sich die Regierung insofern beugen, dass sie mit Washington ein Abkommen über den schrittweisen Rückzug der Truppen in den nächsten 20 Jahren aushandelte.

Die in Deutschland aufgebrochene Diskussion über die Sicherheit US-amerikanischer Atomwaffen wird auch in Südkorea ihren Niederschlag finden. Auf den USA-Stützpunkten in Südkorea und Japan lagern ebenfalls Nuklearwaffen, die ausschließlich von der »Schutzmacht« kontrolliert werden.

* Aus: Neues Deutschland, 25. Juni 2008


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