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"Krieg? Daran will ich gar nicht denken!"

Gewöhnung oder Ausweglosigkeit: In Südkorea verläuft das Leben bisher in gewohnten Bahnen

"Krieg? Daran will ich gar nicht denken!" In Südkorea verläuft das Leben bisher in gewohnten Bahnen / Ex-CIA-Mann für Gespräche mit Nordkorea Von Lee Yu Kyung, Seoul *

Die kriegerischen Töne aus dem Norden der Koreanischen Halbinsel werden von einem Großteil der Bevölkerung im Süden erstaunlich ruhig aufgenommen. Nicht dass die Südkoreaner völlig unbeeindruckt blieben, doch Panik hat sie nicht ergriffen.

In Südkorea kursierten endlose Kriegsgeschichten, erzählt von der Generation jener, die den Korea-Krieg 1950 bis 1953 überlebt hatten. Über die Jahrzehnte waren diese Geschichten allerdings verblasst. Mancher mag sich ihrer jetzt erinnern oder gar von ihnen verfolgt werden, da die Spannungen auf der Halbinsel einen Höhepunkt erreicht haben.

»Natürlich, ich bin sehr besorgt über die Verschärfung der Lage. Mein Wohnort liegt näher an Nordkorea als an Gangnam, dem südlichen Distrikt von Seoul«, sagt Lee Jung Eun, Mutter zweier Kinder, die in Paju lebt, etwa 20 bis 30 Kilometer von Käsong im Norden entfernt. Dort in Käsong war vor einem Jahrzehnt die gemeinsame Industriezone, kurz KIZ, als Frucht der »Sonnenscheinpolitik« zwischen beiden koreanischen Staaten entstanden. »Wenn ich nachts irgendein Geräusch höre, schrecke ich auf. Unwillkürlich beschleicht mich die Furcht vor einem Krieg«, beschreibt Frau Lee ihre Stimmung. Noch mehr erschrak sie, als ihre Söhne fragten: »Mama, ist es wahr, dass es Krieg gibt?«

Lehrer und Eltern in Seoul berichten, dass Krieg oder Nichtkrieg ein Thema ist, das viele Kinder bewegt. »In meiner 5. Klasse haben die Schüler über den Krieg gesprochen. Und sie haben mich nach einem möglichen Raketenabschuss des Nordens gefragt«, bestätigt der Lehrer Kim Jeong Mi.

Trotz heimlicher oder offen geäußerter Befürchtungen gibt es jedoch keine sichtbare Unruhe in der Hauptstadtregion, die im Ernstfall das erste Angriffsziel wäre. »Wenn die Leute an einem Kriegsausbruch zweifeln, setzen sie wahrscheinlich darauf, dass China Einfluss nimmt«, sagt Ha Nam Seok, China-Wissenschaftler an der Hankuk-Universität. Gefragt, was er selbst im Kriegsfall zuerst tun würde, antwortet er: »Daran will ich gar nicht denken!«

Han Man Song, Reporter einer Lokalzeitung in Intschon, befürchtet: »In einem so dicht besiedelten städtischen Großraum findet man nirgends Schutz.« Und das ist die Sorge fast aller Gesprächspartner, erst recht für den Fall eines Atomkriegs, wie er oft beschworen wird. Die liberale Zeitung »The Hankyoreh« berichtete am Sonnabend, dass nur 0,02 Prozent der Bevölkerung Zuflucht in einem von ganzen 15 atomsicheren Bunkern fänden.

Dennoch scheint das Leben seinen normalen Verlauf zu nehmen, vielleicht auch, weil die Südkoreaner sich an Drohungen aus dem Norden gewöhnt haben. Die Kriegskorrespondenten, die nach Seoul geeilt waren, sind jedenfalls enttäuscht: Niemand stürmt die Supermärkte, um Lebensmittelreserven für den Notfall anzulegen. »Es gibt Leute, die Tabakwaren in Mengen kaufen, weil Preiserhöhungen erwartet werden, aber sonst nichts«, berichtet Choi Yun Shil. eine Japanischlehrerin, die sich kaum besorgt zeigt. Was sie bedauert, ist die Schließung der Industriezone Käsong. »Das war ein Ort, wo Nord und Süd zusammenkamen und sich ohne ideologischen Druck austauschen konnten«, seufzt Frau Choi.

In gewisser Weise hat die Schließung der KIZ dem einfachen Südkoreaner die Krise deutlicher vor Augen geführt als die oft besprochenen Raketenstarts und Atomtests. Eine Gruppe von Unternehmern, die sich in der vergangenen Woche aus der Indu-striezone zurückziehen mussten, plant – wie berichtet wird – für die nächsten Tage einen Besuch im Norden, um die Lage um die KIZ zu entspannen. »Ich denke, die Schließung hätte vermieden werden können«, sagt auch Jeong Young Woo, Professor der Nationaluniversität Intschon, »Vermutlich wurde sie durch die unzeitgemäßen Berichte der ›Chosun-ilbo‹ ausgelöst, obwohl ich auch nicht ausschließe, dass der Norden das alles vorgeplant hatte.«

Tatsache ist, dass die konservative Zeitung »Chosun-ilbo« getönt hatte, der Norden werde die Zone nicht schließen, denn sie bringe dem armen Land eine Menge Dollars ein. Und um die Sache noch zu verschlimmern, hatte Verteidigungsminister Kim Kwan Jin verkündet, die Sicherheitskräfte stünden bereit, Südkoreaner aus der Zone zu befreien, sollten sie dort als Geiseln gehalten werden. Ein Teil der Öffentlichkeit ist deshalb überzeugt davon, dass es solche beleidigenden Töne waren, die den Entschluss des Nordens provoziert haben.

»Meiner Ansicht nach geht die Regierung von Präsidentin Park Geun Hye umsichtiger an das Problem als die ihres Vorgängers Lee Myung Bak, der jegliches Erbe der Sonnenscheinpolitik verspielt hat. Aber durch harsche Reaktionen hat auch das Park-Regime die Lage verschlimmert. Wir brauchen mehr Zuckerbrot statt Peitsche«, glaubt der Oppositionsabgeordnete Moon Byung Ho von der Vereinigten Demokratischen Partei.

Derweil fordern viele einen Dialog mit dem Norden. In der Erklärung eines »Gemeinsamen Treffens der Zivilgesellschaft für Frieden und Kooperation auf der Koreanischen Halbinsel«, die am vergangenen Donnerstag veröffentlicht wurde, heißt es: »Wir als die direkten Opfer der Militarisierung und der Verschärfung der Spannungen auf der Halbinsel wollen, dass das 60. Jahr des Waffenstillstandsabkommens (von 1953 – d. Red.) zum ersten Jahr einer Friedensregelung wird.«

* Aus: neues deutschland, Montag, 15. April 2013


Kerry spielt Schulterschluß

Viel Theater, aber nichts Konkretes beim Besuch des US-Außenministers in China

Von Knut Mellenthin **


John Kerrys Besuch in Peking am Sonnabend scheint ein voller Erfolg gewesen zu sein: Die USA und China ziehen nun im Konflikt um die nordkoreanischen Atomwaffen am selben Strang – nämlich dem amerikanischen. Das ist zumindest der Eindruck, den der neue Chef des State Departments zu suggerieren versucht. Allen Nachfragen von Journalisten, worauf er sich mit seinen chinesischen Gesprächspartnern denn nun wirklich und genau verständigt habe, wich Kerry jedoch aus.

Zwar präsentierten beide Seiten eine gemeinsame Erklärung zum Klimawandel, nicht aber zur Lage auf der koreanischen Halbinsel. Auch in den ebenso routinierten wie sparsamen Stellungnahmen der Chinesen läßt sich für Washingtons Fiktion eines Schulterschlusses kein Beleg finden. Die Angelegenheit müsse »friedlich durch Dialog und Beratung behandelt und gelöst werden«, sagte beispielsweise Yang Jiechi, der bis vor kurzem Außenminister war und immer noch großen Einfluß hat. Peking wolle »mit allen relevanten Parteien, einschließlich der USA, zusammenarbeiten, um eine konstruktive Rolle zu spielen«. Die Chinesen hoben außerdem ihr Interesse an einer Wiederaufnahme der seit 2009 unterbrochenen Sechsergespräche hervor. Dagegen sperrt sich Washington mit irrealen Vorbedingungen. In diesem wesentlichen Punkt besteht also ein klarer Dissens.

Es bleibt, wie Kerry nicht müde wurde zu betonen, das chinesische Bekenntnis, die koreanische Halbinsel von Atomwaffen freimachen zu wollen. Aber dafür hätte er nicht nach Peking zu fliegen brauchen. Denn diesem Ziel hat China schon spätestens am 19. September 2005 mit der Gemeinsamen Erklärung der an den Sechsergesprächen Beteiligten – USA, China, Japan, Rußland und beide koreanische Staaten – eindeutig und verbindlich zugestimmt.

In den nächsten Wochen sollen unter anderem Vizeaußenminister Wil­liam Burns und Generalstabschef Martin Dempsey nach Peking reisen, um das Thema »weiter zu diskutieren«.

** Aus: junge Welt, Montag, 15. April 2013


Kriegszeremonie?

Ex-CIA-Mann für Gespräche mit Nordkorea

Von Rainer Werning ***


Intelligenz ist eine feine Sache, sofern mensch darüber verfügt. Sie vermag das Leben zu erleichtern, bietet aber keine Gewähr für ein gutes Leben. Das angloamerikanische Wort »intelligence« heißt auch »Aufklärung«. Auch das eine famose Sache. Ohne diese fristeten wir womöglich noch immer ein Dasein in dumpfem Obskurantismus. Oder Unbotmäßigkeit würde inquisitorisch geahndet. In Verbindung mit »military« – also »military intelligence« – kann geheimdienstliche Aufklärung unvermittelt Zustände und Situationen heraufbeschwören, die alles auszeichnet, nur eben keine Intelligenz. Dann obsiegen schlicht Dummheit, Ignoranz und Unsinn. Das Schlimmste ist natürlich ein Mix aus alledem.

Nun gibt es Zeitgenossen, die eine überaus schillernde Vita aufweisen. Und die gleichzeitig einen sympathischen Typus Mensch verkörpern. Mit anderen Worten Menschen, denen es gelungen ist, eine sonderbare Metamorphose zu vollziehen und sich vom hartgesottenen CIA-Geheimdienstler in einen allseits alerten kritisch-intelligenten Kommentator und Politiker zu verwandeln. Eine solche Vita zeichnet mit Donald Phinney Gregg einen Mann aus, der über drei Jahrzehnte (1951–1982) der CIA diente. Ein Mann, der einiges auf dem Kerbholz hat, was beschönigend »Pazifizierung« heißt. Er war u.a. in Burma (heute Myanmar), Japan, Vietnam, Guatemala, Nicaragua sowie in El Salvador damit befaßt, stockreaktionäre Gestalten anzuwerben, um Widerstand und Opposition gegen die jeweils Herrschenden zu »befrieden« beziehungsweise auszuschalten. Das geschah während der Phönix-Counterinsurgency in Vietnam ebenso ungeschminkt wie im Falle der in Nicaragua aus dem Boden gestampften Contras.

Mit Blick auf (Süd-)Korea erlebte Donald P. Gregg einen Karrieresprung. Dort war er zunächst CIA-Landeschef, bevor er 1989 zum Botschafter seines Landes avancierte und bis 1993 in Seoul residierte. Danach war er noch eine Zeitlang Präsident und Aufsichtsratsvorsitzender der Korea Society. Unter George W. Bush verhielt sich Mr. Gregg auffällig antizyklisch. Während der Präsident und seine bellizistischen Steißtrommler auf Unilateralismus pur setzten und räuberische militärische Feldzüge als »humanitäre Interventionen« im Namen von »freedom & democracy« drapierten, wahrte der Ex-CIA-Mann die Contenance. Seitdem läßt er keine Gelegenheit aus, mit Blick auf Nordkorea Rationalität und Einfühlungsvermögen anzumahnen. Haupttenor: Die US-Politik vis-à-vis diesem »Schmuddelkind der internationalen Staatengemeinschaft« war mitnichten eine Politik, lediglich »eine Haltung – nämlich Haß«. Direktverhandlungen mit Pjöngjang seien vonnöten und endlich eine Politik, die dessen Sicherheitsinteressen respektiert. Übrigens: Heute feiern die Menschen in der Volksrepublik den 101. Geburtstag des »ewigen Präsidenten« Kim Il-Sung – eine »Kriegszeremonie«?

*** Aus: junge Welt, Montag, 15. April 2013 (Kommentar)


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