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Erfolgreiche Proteste

DR Kongo: Neues Wahlrecht nach tagelangen Kundgebungen von Senat gestoppt

Von Simon Loidl *

Die Demokratische Republik Kongo hat eine unruhige Woche hinter sich. Bei Protesten gegen eine Änderung des Wahlrechts habe es nach Berichten mehrere Dutzend Todesopfer gegeben. Die Behörden des zentralafrikanischen Landes sprachen bis Ende der Woche von elf »Plünderern«, die von Einsatzkräften erschossen wurden, ein Polizist sei demnach von einem »Scharfschützen« tödlich getroffen worden. Mehrere hundert Menschen sollen während der Proteste, die bis zur Wochenmitte vor allem in der Hauptstadt Kinshasa und in Goma stattfanden, festgenommen worden sein. Menschenrechtsorganisationen meldeten, dass bis Donnerstag bis zu 42 Demonstranten getötet wurden. Am Samstag erklärte schließlich der Parlamentssprecher der DR Kongo, Aubin Minaku, »etwa 40« Menschen seien ums Leben gekommen, und sprach von »Fehltritten« der Sicherheitskräfte, die nicht wieder passieren dürften.

Am Freitag meldeten die Agenturen, dass der Senat des kongolesischen Parlaments die am Samstag zuvor vom Unterhaus beschlossene Wahlrechtsänderung zurückgewiesen habe. Die neue Bestimmung hatte vorgesehen, dass vor der nächsten Präsidentenwahl eine Volkszählung durchgeführt werden muss. Vertreter der Opposition verbreiteten die Ansicht, dass eine derartige Zählung bis zu drei Jahre dauern könnte. Regulär soll aber bereits 2016 über Parlament und Präsidentenamt abgestimmt werden. Viele Kommentatoren werteten die Gesetzesänderung deshalb als Versuch von Präsident Joseph Kabila, seine Amtszeit zu verlängern. Die Regierung hatte zudem selbst eingestanden, dass die Volkszählung zu einer Verschiebung der Wahlen führen könnte.

Am Montag begannen in der Hauptstadt Kinshasa die Proteste gegen dieses Vorhaben, an denen sich Beobachtern zufolge vorwiegend junge Menschen beteiligten. Auch in anderen Städten kam es in der Folge zu Kundgebungen, die von den Sicherheitskräften angegriffen wurden, worauf die Situation rasch eskalierte. Obwohl die Polizei Schusswaffen einsetzte, gingen bis Donnerstag immer wieder zahlreiche Menschen auf die Straße. Die FIDH, ein internationaler Dachverband von Menschenrechtsorganisationen, sprach von einem »exzessiven und unverhältnismäßigen« Verhalten der Sicherheitskräfte. Laut Human Rights Watch gab es 40 bestätigte Tote bei den Protesten: 36 in Kinshasa, vier in Goma. 21 seien von den Einsatzkräften erschossen worden. Die Organisation gab zudem an, dass die Behörden versucht hätten, Beweise zu beseitigen. FIDH hatte zuvor von 42 Opfern gesprochen.

In der DR Kongo ist die Amtszeit des Präsidenten auf zehn Jahre beschränkt. Joseph Kabila kam nach der Ermordung seines Vaters Laurent-Désiré Kabila im Januar 2001 an die Macht, 2006 wurde seine Präsidentschaft dann bei Wahlen bestätigt. Im vergangenen Jahr versuchte Kabila, eine Verfassungsänderung durchzusetzen, die eine Beschränkung der Amtszeit auf zehn Jahre aufgehoben hätte. Dieses Vorhaben scheiterte allerdings am Widerstand der anderen Parteien.

Die Proteste der vergangenen Woche riefen Erinnerungen an den politischen Umsturz in Burkina Faso im vergangenen Herbst wach. In dem westafrikanischen Land hatte Langzeitpräsident Blaise Compaoré ebenfalls versucht, sich mit Hilfe einer Verfassungsänderung eine erneute Kandidatur zu ermöglichen. Nach tagelangen Massenprotesten im ganzen Land erklärte die Armee Compaoré, der 27 Jahre lang an der Macht war, Ende Oktober 2014 für abgesetzt. Derzeit regiert ein Übergangskabinett in Burkina Faso, im Oktober soll gewählt werden.

In der DR Kongo sind die Demonstrationen Ende vergangener Woche wieder abgeflaut. Der Senat hatte auf die heftigen Proteste reagiert und einen eigenen Gesetzestext formuliert. Nun soll eine Kommission einen Kompromiss zwischen den Vorschlägen der beiden Parlamentskammern ausarbeiten. Kommt diese zu keinem Ergebnis, wäre erneut das Unterhaus am Zug. Nach der vorläufigen Zurückweisung der Wahlrechtsänderung kam es am Freitag zu spontanen Freudenkundgebungen. Diesmal griff die Polizei nicht ein.

* Aus: junge Welt, Montag, 26. Januar 2015


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