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Vor der Stichwahl im Kongo

Die Kandidaten Kabila und Bemba werfen neben Wählerstimmen auch Waffen in die Waagschale

Am 29. Oktober 2006 findet in der Demokratischen Republik Kongo die Stichwahl zur Präsidentenwahl statt. Der erste Wahlgang am 30. Juli ging klar an den amtierenden Präsidenten Joseph Kabila, sodass für viele die Stichwahl nur noch eine Formsache zu sein scheint. Das kommt auch in den beiden Artikeln zum Ausdruck, die wir im folgenden dokumentieren. Völlig offen ist indes, was nach einer Wahlentscheidung passiert. Die beiden Kontrahenten jedenfalls sind bis zu den Zähnen bewaffnet.



Kongo wählt zwischen zwei ehemaligen Kriegsfürsten

Spannungen vor der Entscheidung zwischen Kabila und Bemba

Von Martin Ling *


Joseph Kabila geht am Sonntag als klarer Favorit in die zweite Runde der Präsidentschaftswahlen in der Demokratischen Republik Kongo. Herausforderer Jean-Pierre Bemba hat angekündigt, auch eine Niederlage zu akzeptieren. Zunehmende Gewalt kurz vor dem Urnengang weckt Bedenken an einem reibungslosen Verlauf.

Es gibt keinen Zweifel mehr: Die zweite Runde der kongolesischen Präsidentschaftswahlen am Sonntag findet statt. Das ist schon ein Erfolg, denn die blutigen Auseinandersetzungen nach der Bekanntgabe der Ergebnisse des ersten Durchgangs Ende August hatten Zweifel gesät, ob der Wahlplan zu halten wäre. Damals starben mehr als 20 Milizionäre beider Seiten beim Versuch der Präsidentengarde Joseph Kabilas, den Herausforderer Jean-Pierre Bemba mit einem Sturm auf seine Residenz zu liquidieren.

Auch in den vergangenen Tagen registrierte die für die Friedenssicherung zuständige UN-Truppe MONUC eine Zunahme gewaltsamer Vorfälle. Die MONUC-Menschenrechtsabteilung spricht von einer »beunruhigenden Zunahme gewaltsamer Vorfälle oder politischer Intoleranz«. In mehreren Landesteilen seien Anhänger der Präsidentschaftskandidaten angegriffen worden.

Wie sehr die MONUC-Einschätzung zutrifft, bestätigte sich am Donnerstag: Bei gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften der beiden Präsidentschaftsbewerber sind mindestens vier Menschen getötet worden. Wie das Informationsbüro der MONUC mitteilte, handelt es sich bei den Toten um einen Angehörigen der Sicherheitstruppe von Vizepräsident Jean-Pierre Bemba und drei Polizisten. Bewaffnete Anhänger Bembas hätten Nzanga Mobutu, einen Koalitionspartner von Präsident Joseph Kabila, im Gebäude eines Radiosenders festgesetzt. Mobutu, ein Sohn des früheren Machthabers Mobutu Sese Seko, sei mittlerweile frei gekommen und werde nach Kinshasa ausgeflogen, sagte ein Vertreter der UN-Mission.

Nzanga Mobutu war im ersten Wahlgang noch selbst angetreten und abgeschlagen auf dem vierten Platz gelandet. Mit geschicktem Taktieren holte Kabila ihn ebenso wie den im ersten Wahlgang drittplatzierten Antoine Gizenga auf seine Seite. Damit hat Kabila seine Chancen erheblich verbessert, lag er doch schon in der ersten Runde mit 45 Prozent klar vor Bemba mit 20 Prozent.

Auch Bemba blieb nicht untätig und konnte unter anderem den unter Mobutu Sese Seko zeitweilig als Premier amtierenden Kengo Wa Dondo als Unterstützer gewinnen. Dass das noch reicht, scheint er selber nicht so recht zu glauben. Vorsorglich kündigte er an, auch eine Wahlniederlage am kommenden Sonntag zu akzeptieren. Bedingung dafür sei allerdings, dass die Wahlen frei, demokratisch und transparent verliefen, sagte Bemba am Donnerstag vor Journalisten in Kinshasa. In diesem Fall »werden wir die Entscheidung der Bevölkerung akzeptieren und in die Opposition gehen. Auch in der Opposition kann man das Land aufbauen, solange es eine Demokratie ist«.

Davon ist die Demokratische Republik Kongo ungeachtet des Namens und des weiteren Wahlverlaufs noch weit entfernt. Sowohl das Lager Kabila als auch das Lager Bemba strotzt nur so vor Waffen – allein die persönliche Garde Kabilas zählt 15 000 Soldaten, und auch der einstige Kriegsfürst Bemba soll über mehrere tausend Mann verfügen. Zwar haben Bemba und Kabila eine Waffenruhe beschlossen, doch ihre Privatarmeen sind an jeder zweiten Straßenecke postiert. Verschanzt hinter Sandsäcken, warten sie auf ihre Befehle. Wie auch die in Kinshasa stationierte europäische Eingreif-truppe EUFOR, an der die Bundeswehr maßgeblich beteiligt ist. Die Spannung steigt also auf allen Seiten.

* Aus: Neues Deutschland, 28. Oktober 2006


Die Kandidaten sind gut gerüstet

Stichwahl am Kongo-Fluß

Von Raoul Wilsterer **


Kinshasa - Die Spannung in der Demokratischen Republik Kongo wächst stündlich. Der Wahlkampf neigt sich dem Ende entgegen. Am Sonntag sollen 25 Millionen registrierte Wähler erneut über die Präsidentschaft abstimmen – diesmal zwischen den beiden verbliebenen Kandidaten, die seinerzeit die meisten Stimmen erhielten. Joseph Kabila, der amtierende Präsident, tritt gegen Jean-Pierre Bemba an und fühlt sich schon als sicherer Sieger. Zu klar fiel am 30. Juli, dem ersten Durchgang, mit 45 gegen 20 Prozent sein Vorsprung aus. Der Kandidat hielt es folglich am Donnerstag für überflüssig, zu einem TV-Duell gegen seinen Konkurrenten anzutreten.

Um Inhalte wäre es dabei sicherlich auch gegangen und vielleicht sogar zu hitzigen Wortgefechten gekommen, doch letztlich unterscheiden sich beide Kandidaten wenig, wissen sie doch: Es geht während ihrer Regierungszeit in spe weniger um die Interessen ihrer Wählerklientel als um ihre eigenen. Und um die des Westens, von dessen Gunst der eine wie der andere abhängig ist. Das bedeutet indes keinesfalls, daß nicht Turbulenzen, auch militärisch ausgetragen, am Wahltag und in den Tagen und Wochen danach eintreten könnten. Der Verlierer ist jedenfalls gut gerüstet, verfügt über vielköpfige Privatmilizen sowie Sympathisanten und Parteigänger in der regulären Armee. Auch von dritter Seite könnten sich zum vorläufigen Abschluß des Transitionsprozesses der Demokratischen Republik Kongo vom Krieg zum Frieden Aggressionen entladen, die mit Enttäuschungen und einer ungewissen Zukunft ebenso zu tun haben wie mit der Hoffnung, vielleicht doch noch über den bewaffneten Weg zum Erfolg zu kommen.

Daran haben die 18000 »robusten« UN-Blauhelme ebensowenig Interesse wie die 1500 Soldaten starke EUFOR-Mission aus Europa, die unter deutscher Führung vor allem Präsenz zeigen soll: Europa ist dabei, wenn die zukünftigen Ausbeutungsstrukturen für die westlichen Monopole befriedet werden. Inwieweit das Ansinnen ohne größere Zwischenfälle in die Wege geleitet werden kann, davon hängt die Dauer ihrer Präsenz im Land am Kongo-Fluß ab.

** Aus: junge Welt, 28. Oktober 2006


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