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In der Demokratischen Republik Kongo wird gewählt

Durchbruch in Sachen Demokratie? - Dafür gibt es leider keine Anzeichen

Am Sonntag, den 30. Juli 2006 fanden in der Demokratischen Republik Kongo Wahlen statt. Sie werden durch eine EU-Truppe "abgesichert" - zusätzlich zu den Tausenden von UN-Soldaten, die in verschiedenen Landesteilen versuchen, die staatliche Ordnung aufrecht zu erhalten.
Im Folgenden dokumentieren wir eine Reihe von Stimmen, die sich eher skeptisch mit der Lage im Kongo befassen. Zu großem Optimismus besteht tatsächlich kein Anlass.



Reiches bettelarmes Land

"Freie, transparente und demokratische" Wahlen in Kongo-Kinshasa?

Von Raoul Wilsterer *

Die weltweit vermutlich logistisch aufwendigsten Wahlen in der jüngeren Geschichte stehen in Kongo-Kinshasa unmittelbar bevor. 470 Millionen Dollar, so Berechnungen, werden aus internationalen Töpfen investiert. Eine 2000 Mann starke EU-Truppe mit fast 800 Deutschen, mehr als 17500 UN-Soldaten, 1500 internationale und 40000 nationale Beobachter sowie 80000 kongolesische Polizisten werden für das Megaereignis aufgeboten.

32 Männer und Frauen wollen Präsident der »Demokratischen Republik Kongo« werden, 9700 Kandidaten einen der 500 Parlamentssitze ergattern. Behauptet wird, es handele sich um »freie Wahlen«, die »erstmals nach mehr als 40 Jahren stattfinden« (AFP). Eine gewagte These nicht nur angesichts des Charakters der »allgemeinen Wahlen« im Frühjahr 1965 unter Bürgerkriegsbedingungen. Selbst, wenn am Sonntag friedliche Bilder mit geduldig vor einem der insgesamt 53000 Wahlstützpunkte wartenden Menschen um die Welt gehen sollten– »frei« geht es in dem nach Sudan und Algerien drittgrößten Flächenstaat Afrikas nicht zu.

Da boykottieren die von der Übergangsregierungsbildung 2003 ausgeschlossene Oppositionspartei UDPS und deren Vorsitzender Etienne Tshi­sekedi das »undemokratische«, unter ausländischer Kontrolle ablaufende Procedere. Da mußten, um überhaupt antreten zu können, die Präsidentschaftskandidaten eine nicht rückzahlbare Bürgschaft von jeweils 50000 Dollar hinterlegen. Da gingen vor zwei Wochen aus unerfindlichen Gründen auf Datenübertragungswegen 1,2 Millionen von 25,7 Millionen registrierten Wählernamen verloren. Daraufhin sah sich die mächtige katholische Bischofskonferenz am 21. Juli veranlaßt, »ständige Unregelmäßigkeiten bei der Vorbereitung der Wahlen« anzuprangern. Die Bedingungen »für wirklich transparente, freie und demokratische Wahlen« seien bis dato nicht erfüllt. Man werde, wenn sich nichts ändere, »das Ergebnis nicht anerkennen«.

Der große Wahlfavorit heißt Joseph Kabila, der in jüngster Zeit verstärkt und gemeinsam mit seiner Zwillingsschwester Jeanette lukrative Geschäfte mit Bergwerkslizenzen getätigt haben soll. Dem derzeitigen Präsidenten, Sohn des langjährigen Guerillachefs und im Januar 2001 ermordeten Präsidenten Laurent Kabila, werden gute Kontakte vor allem zu den USA und Frankreich nachgesagt. Zu seinen Herausforderern zählen seine vier Stellvertreter, darunter der Ruanda-orientierte Azarias Ruberwa vom Rassemblement congolais pour la démocratie (RCD), und der von Uganda unterstützte, Hunderte Millionen Dollar schwere Jean-Pierre Bemba vom Mouvement de libération du Congo (MLC) – einer Sammlungsbewegung von Gefolgsleuten des Exdiktators Mobutu. Zumindest Ruberwa und Bemba tragen ein gerüttelt Maß an Schuld für den elenden Zustand, in dem sich das ehemalige Zaire (1971–1997) befindet.

Die »Demokratische Republik« liegt am Boden. Sie könnte ein blühendes Land mit wohlhabenden Menschen sein. Der mitten in Afrika gelegene Kongo verfügt über gigantische Mengen an Bodenschätzen – doch er zählt zu den ärmsten Staaten Afrikas. Unter seiner Erde schlummern 34 Prozent der weltweiten Vorkommen des Roherzes Coltan, das unter anderem für die Herstellung von Mobiltelefonen und Weltraumtechnologien gebraucht wird, zehn Prozent der globalen Kupfervorkommen sowie Uran, Gold, Diamanten und Öl. Der gewaltige Kongo-Fluß durchzieht den zweitgrößten tropischen Primärwald der Welt.

Der von außen ins Land getragene Krieg um den Reichtum, eine korrupte Herrschaft sowie die Plünderwirtschaft zugunsten westlicher Konzerne verhinderten bisher jegliche Teilhabe der Bevölkerung. Mehr als drei Viertel der etwa 58 Millionen Einwohner müssen mit weniger als einem Dollar pro Tag auskommen. Nach aktuellen UN-Angaben liegt das jährliche Pro-Kopf-Einkommen bei 120 Euro. Weniger als ein Fünftel der über 60 Millionen Einwohner hat regelmäßigen Zugang zu Wasser und Strom. Die Kindersterblichkeitsrate beträgt 205 pro 1000 Kindern.

Am Sonntag wird also gewählt. Ob dann am 30. November – wie vom UN-Sicherheitsrat beschlossen – die europäischen Streitkräfte tatsächlich wieder abziehen, bleibt abzuwarten.

* Aus: junge Welt, 29. Juli 2006


"Letztlich steht kein Präsidentschaftskandidat für 'Gute Regierungsführung'"

Im Folgenden dokumentieren wir Auszüge aus einem Interview mit Denis Tull, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und Politik. Tulls Forschungsfelder sind insbesondere die Demokratische Republik Kongo und Nigeria, Staatlichkeit, gesellschaftlicher und politischer Wandel, Demokratisierung, Kriege und Konflikte. Mit Denis Tull sprach Martin Ling.**

ND; An diesem Sonntag finden in der Demokratischen Republik Kongo Präsidentschafts-, Parlaments-, und Kommunalwahlen statt. Ist damit in dem Bürgerkriegsland ein Durchbruch in Sachen Demokratie in Sicht?

Denis Tull: Das hängt vom Verlauf der Wahlen und den folgenden Monaten ab. Verlaufen sie trotz der schwierigen Rahmenbedingungen relativ friedlich, frei und fair, wäre das zumindest ein großer Fortschritt für den Friedensprozess. (...)

Die Rahmenbedingungen lassen zu wünschen übrig. Abgesehen von den logistischen Problemen bei 50.000 Wahllokalen tritt die größte zivile Oppositionspartei, die Union für Demokratie und Sozialen Fortschritt (UDPS), gar nicht an und hat zum Wahlboykott aufgerufen. Auch die Katholische Kirche befürchtet Wahlbetrug. 30 Millionen Wahlzettel sollen auf 25,7 Millionen registrierte Wähler kommen. Sind solche Wahlen nicht ein Muster ohne Wert?

(...) Die Sorge der kongolesischen Oppositionsparteien und der Katholischen Kirche, ob diese Wahlen frei und fair sein werden, kommt nicht von ungefähr. Wenn es wirklich massive Zweifel an dem Wahlergebnis geben wird, dann werden diese Wahlen mit Sicherheit keine Wende zum Besseren in der Geschichte der Demokratischen Republik Kongo sein.

33 Kandidaten treten zu den Präsidentschaftswahlen an, darunter der Präsident und drei Vizepräsidenten der vor allem aus den einstigen Kriegsparteien gebildeten Übergangsregierung. Liegt da nicht der Verdacht nahe, dass es bei den Wahlen – wie in der Vergangenheit – darum geht, sich den Zugriff auf die Ressourcen Kongos zur Selbstbereicherung zu sichern?

Das ist sicher nicht auszuschließen. Dennoch gilt zum Beispiel der Vizepräsident Azarias Ruberwa von der Kongolesischen Bewegung für Demokratie (RCD-Goma) weithin eigentlich als relativ integrer und pragmatischer Politiker. Er wird allerdings kaum eine Chance haben, weil die RCD-Goma von einem Großteil der Bevölkerung vor allem als ein Verbündeter und als eine Marionette Ruandas gesehen wird.
Bessere Chancen hat Jean-Pierre Bemba von der Kongolesischen Befreiungsbewegung (MLC), auch wenn insgesamt die Wahlchancen der Kandidaten schwer einzuschätzen sind. Bembas politische Vergangenheit ist eng verknüpft mit dem Regime des langjährigen Diktators Mobutu Sese Seko. Ein Sieg von ihm ließe nicht gerade eine "Gute Regierungsführung" erwarten.
Die besten Chancen werden dem Präsidenten Joseph Kabila eingeräumt, auch weil er am bekanntesten ist und das größte Wahlkampfbudget zur Verfügung hat. Er wird von der westlichen Gemeinschaft weithin als das kleinste Übel betrachtet, und dies, obwohl er und sein Lager tief im Sumpf der Korruption stecken. So wurden Verträge über die Ausbeutung von Rohstoffen in der Demokratischen Republik Kongo nicht in transparenten Verfahren geschlossen. Kurzum kann man sagen, dass von keinem dieser Kandidaten eine signifikante Verbesserung der Regierungsführung in Kongo zu erwarten ist. (...)

Was müsste die Internationale Gemeinschaft leisten, um den Übergang zu befördern?

Es stellen sich zwei zentrale Herausforderungen für die nächsten zwei, drei Jahre. Zum einen muss der Aufbau einer nationalen Armee und nationaler Polizeieinheiten deutlich beschleunigt werden. Dieser Prozess muss um eine effektivere Demobilisierung und vor allem Reintegration jener Kämpfer ergänzt werden, die nicht in die Armee aufgenommen werden können. Ohne ein effektives staatliches Gewaltmonopol kann es in der DR Kongo weder politische noch wirtschaftliche Fortschritte geben. Das führt zur zweiten zentralen Herausforderung: die Frage der Korruption und der Regierungsführung. Bislang ist es nach wie vor so, dass massive Korruption in allen staatlichen Institutionen herrscht. Die internationale Gemeinschaft muss gegen diesen Diebstahl in großem Maße deutlich Position beziehen, damit letztendlich eine politische Stabilisierung des Landes erreicht werden kann. UNO-Truppen dürften für die nächsten eineinhalb Jahre auf alle Fälle noch benötigt werden. Insgesamt bedarf es aber vor allem eines längerfristigen zivilen Engagements, um die externen und internen Entwicklungshemmnisse zu beseitigen.

** Auszüge aus einem Interview, das im "Neuen Deutschland" vom 29. Juli 2006 veröffentlicht wurde.


Und die Bundeswehr?

Mit einer Art "Prätorianer"-Garde vergleicht René Heilig in einem Kommentar des "Neuen Deutschland" die Bundeswehr, die sich in den Kongo aufgemacht hat - um freie und faire Wahlen zu garantieren, wie es in Berlin offiziell heißt. Im besten Fall wird sie nach vier Monaten (die Dauer des UN-Mandats) unverrichteter Dinge zurückkehren.
René Heilig schreibt u.a.:


»Alles Gute und Gottes Segen«, so hat man 500 deutsche Einsatz- und 280 Unterstützungskräfte in Koln-Wahn verabschiedet. So gestärkt sollen sie helfen, in Kongo freie Wahlen zu garantieren. Wer gewählt wird, ist ausschließlich Sache des Volkes, heißt es im deutschen Verteidigungsministerium. Was so viel bedeuten soll, wie: Wir sind absolut neutral.
Das stimmt. Bis zu einer gewissen Stufe. Als der amtierende und vermutlich auch künftige Präsident Joseph Kabila unlängst geheiratet hat, um zumindest durch die Gattin kongolesische Abstammung unter Beweis zu stellen, gab es keine Ehrenkompanie. Auch als der Präsident in verschiedenen Stammesgebieten seines Landes zum Ehren-Oberhaupt ernannt wurde, waren die Deutschen fernab. Doch viel mehr Neutralität können sie nicht bieten. Allein die Anwesenheit der Bundeswehr in Kongo – die nach dem postkolonial ambitionierten Frankreich die größte EU-Militärtruppe stellt – bedeutet eine Unterstützung des amtierenden Präsidenten. Er und seine Milizen bestimmen den Gang der »demokratischen« Dinge im ehemaligen Zaire. Die Bundeswehr ist – wie die anderen Einheiten aus 16 EU-Staaten – eine Art Prätorianer-Truppe. Sie sichert die Hauptstadt, in der letztlich ausgerechnet wird, wie die über 25 Millionen berechtigten Einwohner des Landes die von der EU mit 400 Millionen Euro bezahlten Wahlen entschieden haben. (...)

Aus: "Alles Gute und Gottes Segen ...", in: Neues Deutschland, 29. Juli 2006


Kongo in Zahlen

Ein Riese im Herzen Afrikas

Fläche und Bevölkerung:
Mit mehr als 2,3 Millionen Quadratkilometern Fläche ist der Kongo sechseinhalbmal so groß wie Deutschland; auf dieser Fläche leben jedoch nur 58 Millionen Menschen, knapp ein Drittel weniger als hierzulande. Unterteilt ist der Kongo in zehn Provinzen und den Hauptstadtdistrikt um Kinshasa, die mit rund 4,6 Millionen Einwohnern größte Stadt des Landes. Der größte und längste Fluß ist der Kongo mit 4374 Kilometern Länge.

Geschichte:
Im Jahr 1885 vereinnahmte der damalige belgische König Leopold II. den Kongo in einem in der Kolonialgeschichte beispiellosen Akt als seinen Privatbesitz. Erst 1960 wurden das Land unabhängig. Ministerpräsident Patrice Lumumba wurde 1961 ermordet. Nur 18 Monate nach der Unabhängigkeit putschte sich der frühere Assistent Lumumbas, Joseph Mobutu, mit Unterstützung der USA und Belgiens an die Macht und errichtete in den folgenden Jahrzehnten eine der grausamsten Diktaturen Afrikas. 32 Jahre dauerte seine Herrschaft, bis ihn der Vater des heute amtierenden Präsidenten Joseph Kabila, Laurent-Désiré Kabila, stürzte. Nach zwei Kriegen zwischen 1996 und 2002 befindet sich das Land seit Juni 2003 in einem politischen Übergangsprozeß. Im Dezember 2005 wurde per Referendum eine neue Verfassung angenommen.

Wirtschaft und Soziales:
Kongo könnte ein blühendes Land mit wohlhabenden Menschen sein. Mitten in Afrika gelegen, verfügt Kongo mit einer Fläche von der Größe Osteuropas über gigantische Mengen an Bodenschätzen – doch es zählt zu den ärmsten Staaten Afrikas. Unter der Erde schlummern 34 Prozent der weltweiten Vorkommen von Coltan, das unter anderem für die Herstellung von Mobiltelefonen gebraucht wird, 10 Prozent der Welt-Kupfervorkommen sowie Uran, Gold, Diamanten und Öl. Der Kongo-Fluss durchzieht den zweitgrößten tropischen Primärwald der Welt.
Doch Bürgerkriege, Korruption und Plünderung verhindern eine Teilhabe der Bürger am Reichtum ihres Landes. Die abgewirtschaftete staatliche Bergbaugesellschaft Gécamines wurde unter privaten Investoren aufgeteilt, nachdem aus den Rohstoffgewinnen zuvor der Bürgerkrieg (1998 – 2003) finanziert worden war. Er verschlang 80 Prozent der Ressourcen Kongos.
Mehr als drei Viertel der 60 Millionen Einwohner müssen mit weniger als einem Dollar pro Tag auskommen. Nach UN-Angaben liegt das jährliche Pro-Kopf-Einkommen bei 120 Euro. Weniger als ein Fünftel der Bevölkerung hat regelmäßig Zugang zu Wasser und Strom.




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