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Wahlkampfauftakt im Machtvakuum

In Kongo läuft das Mandat der Übergangsregierung aus, bevor die Nachfolger gewählt werden

Von Martin Ling *

Der 30. Juni läutet in der Demokratischen Republik Kongo eine neue Etappe ein: Laut dem Friedensabkommen endet heute das Mandat der Übergangsregierung. Eine neue Regierung gibt es derweil noch nicht, weil erst heute der Wahlkampf für den Urnengang am 30. Juli beginnt.

Zumindest der Termin ist nicht mehr umstritten. Am 30. Juli sollen die mehrfach aufgeschobenen Präsidentschafts-, Parlaments- und Provinzwahlen nun endgültig stattfinden. Die heiße Phase des Wahlkampfes beginnt heute mit dem offiziellen Auftakt, doch schon in den letzten Wochen wurden neue Bündnisse geschmiedet und Verhandlungen geführt, um eine offene politische Krise des instabilen Landes abzuwenden.

Letzten Freitag kündigte der Präsident Joseph Kabila nach zweitägigen Beratungen innerhalb der seit 17. Juli 2003 amtierenden Allparteienregierung an, es herrsche »Übereinstimmung über die Notwendigkeit von Übereinkünften, um die Glaubwürdigkeit und Ruhe des Wahlprozesses zu wahren«.

Zu klären gibt es viel, denn de jure befindet sich die Demokratische Republik Kongo exakt zum Wahlkampfauftakt im Machtvakuum. Am 30. Juni endet gemäß den geltenden Friedensverträgen die Amtszeit der Übergangsregierung. Bis die am 30. Juli zu wählende neue Regierung antritt, wird geraume Zeit vergehen. Im Falle einer Stichwahl um das Amt des Präsidenten könnte sich das formelle Vakuum bis Ende November hinziehen. De facto wird die Allparteienregierung weiterregieren. Doch diese setzt sich wiederum aus den drei einstigen Kriegsgegnern der damaligen Regierung Kabila, der Kongolesischen Bewegung für Demokratie (RCD Goma), der Kongolesischen Befreiungsbewegung (MLC) plus Vertretern der Zivilgesellschaft zusammen. Im Wahlkampf sind die RCD Goma mit ihrem Präsidentschaftskandidaten Azarias Ruberwa, und die MLC mit Jean-Pierre Bemba – beide Vizepräsidenten unter Kabila – Konkurrenten von Kabila.

Die besten Chancen auf das Präsidentenamt werden Amtsinhaber Joseph Kabila eingeräumt. Laut einer im Mai veröffentlichten Umfrage des unabhängigen Meinungsforschungsinstitutes Berci kann er im ersten Wahlgang mit rund 38 Prozent rechnen. Als stärkste Herausforderer gelten der 80-Jährige Antoine Gizenga aus dem Umfeld der Union für Demokratie und sozialen Fortschritt (UDPS) sowie Jean-Pierre Bemba. Bembas MLC hat sich kürzlich der von der größten Oppositionspartei UDPS ins Leben gerufenen »Front zur Verteidigung des Kongo (FDC) angeschlossen. Mit der rund 50 Parteien umfassenden FDC drängt die UDPS um ihren Vorsitzenden Etienne Tshisekedi, der in den 90er Jahren den gewaltfreien Widerstand gegen den langjährigen Diktator Mobutu Sese Seko symbolisierte, auf einen neuen politischen Dialog und wird dabei auch von der katholischen Kirche unterstützt. Wie sich der angesichts der anstehenden Wahlen entfalten kann, ist indes so offen wie potenzielle Inhalte und Teilnehmer.

Die UDPS selbst boykottiert die Wahlen, weil ihre Forderung nach einer Verlängerung der Wählerregistrierung über den 2. April hinaus von der Wahlkommission nicht stattgegeben wurde. Formell zu Recht, denn die UDPS hatte letztes Jahr die Wählerregistrierung boykottiert, weil sie mangelnde Transparenz, Unsicherheit und staatliche Willkür als Gefahren für den Wahlprozess monierte. Schließlich besann sie sich eines anderen, doch so spät, dass viele ihrer Anhänger die fristgemäße Registrierung verpassten.

Auch wenn die FDC aus UDPS-Sicht nur eine Plattform für die Dialogforderung darstellt, dürfte sich Bemba angesichts des Wahlboykotts der UDPS durch seine Beteiligung an der FDC Stimmengewinne erhoffen. Die kann er durchaus brauchen. Kabila strebt mit seinem neu gegründeten Wahlbündnis Allianz der präsidialen Mehrheit (AMP) einen Sieg in der ersten Runde an und kann dabei auf die Unterstützung des angesehenen Reformpolitikers und Ex-Parlamentspräsidenten Olivier Kamitatu bauen. Unter den insgesamt 33 Kandidaten für das Präsidentenamt befinden sich erstmals auch vier Frauen an – ein afrikanischer Rekord. Andere Kandidaten entstammen dem Lager des 1997 entmachteten Diktators Mobutu, darunter dessen Sohn Nzanga Mobutu.

Mit der Allparteienregierung konnten die Kriegsherren ihre Pfründe wahren, durch Wahlen werden die Karten neu gemischt. Welches Wahlergebnis wie von wem akzeptiert wird, ist eine zentrale Frage für Kongos Zukunft. Bewaffnete Kräfte haben alle. Die 200 zivilen EU-Beobachter und die 2000 EU-Soldaten werden den Lauf der Dinge nicht nennenswert beeinflussen können.

* Aus: Neues Deutschland, 30. Juni 2006


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