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"Zerfetzte Unterleiber"

Grünen-Bundestagsfraktion und Hilfsorganisation informierten über brutale Vergewaltigungen im Kongo. Frauen des Landes fordern Ende der "Kultur der Straflosigkeit"

Von Jana Frielinghaus *

Zuletzt war die Demokratische Republik Kongo während der Wahlen im Jahr 2006 im Fokus des westlichen Medieninteresses. Die Bundesrepublik zeigte militärische Präsenz im Rahmen der sogenannten EU-Kongo-Mission EUFOR, um, wie es hieß, den ordnungsgemäßen Verlauf der Wahl abzusichern. Die Anwesenheit der Truppe beschränkte sich allerdings auf die vergleichsweise sichere Hauptstadt Kinshasa. Gegenwärtig senden die großen Agenturen nur noch selten Nachrichten aus dem zentralafrikanischen Land.

Auf privaten Internetseiten kann man erfahren, daß bis heute Krieg herrscht – insbesondere Krieg gegen die Frauen. Regelmäßig kommt es zu militärischen Auseinandersetzungen zwischen Regierungsarmee und »Rebellengruppen«, vor allem mit den ruandischen Hutu-Milizen und der Organisation des kongolesischen Exgenerals Laurent Nkunda, die die östlichen Provinzen Nord- und Südkivu faktisch besetzt halten. Es handelt sich um das Gebiet, in dem jene Bodenschätze lagern, die den Kongo zu einem der wohlhabendsten Länder der Welt machen könnten – wenn sie nicht von nichtstaatlichen Gruppen an westliche Firmen und Handelsunternehmen verkauft würden. Mit einem Teil des Geldes werden neue Waffen beschafft, auch davon profitiert der Westen. Für die Zerstörung der Gesellschaft der DR Kongo sind die Industriestaaten durch ihre fortgesetzte Kooperation mit dubiosen Geschäftspartnern direkt mitverantwortlich.

Leidtragende des Kriegs und des Zerfalls staatlicher Ordnung sind vor allem Frauen und Kinder, deren Martyrium kaum in Worte zu fassen ist. Frauenorganisationen des Landes sprechen von einer »Kultur der Straflosigkeit«, in der Frauen und Mädchen nur noch als Objekte wahrgenommen würden. Die staatlichen Behörden nähmen Vergewaltigungen nicht ernst und beurteilten sie als geringfügige Vergehen, heißt es etwa in einem eindringlichen Appell an den UN-Sicherheitsrat vom 17. Juni dieses Jahres, den 71 kongolesische Nichtregierungsorganisationen unterzeichnet haben. Allein in Nordkivu seien im April dieses Jahres 880 Fälle von Vergewaltigung dokumentiert worden. Die Zahl der Verbrechen, die die Opfer aus Angst und Scham nicht öffentlich machen wollen, sei zehnmal so hoch, schreiben die Frauen.

Vor einer Woche informierten im Bundestag unter anderem Kerstin Müller, Grünen-Abgeordnete und Exstaatssekretärin im Außenministerium, Monika Hauser, Chefin der Hilfsorganisation Medica mondiale und Immaculée Birhaheka von der in Nordkivu tätigen Fraueninitiative PAIF (Promotion et Appui aux Initiatives Féminines) über die gegenwärtige Lage. Birhaheka ging dabei insbesondere auf die Situation der Frauen in der Stadt Goma ein.

Die Grünen-Fraktion hat im Juli einen Antrag in den Bundestag mit dem Titel »Sexuelle Gewalt gegenüber Frauen in der Demokratischen Republik Kongo unverzüglich wirksam bekämpfen« eingebracht. In ihm wird an die Bundesregierung appelliert, die Regierung in Kinshasa zu drängen, »ein angemessenes Handlungskonzept« zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen »vorzulegen und umzusetzen«. Müller stellte die Forderungen ihrer Fraktion vor und betonte, Deutschland habe eine besondere Verantwortung für das Land. Sie erinnerte daran, daß der Bürgerkrieg im Kongo in den vergangenen zehn Jahren 5,4 Millionen Menschenleben gefordert hat – mehr als jeder andere Konflikt nach dem Zweiten Weltkrieg.

Die Täter, Söldner der »Rebellengruppen« ebenso wie Angehörige der Regierungsarmee und Zivilisten, vergreifen sich dabei offenbar zunehmend auch an immer jüngeren Kindern. So meldete das kongolesische Radio Okapi am 14. September, im Krankenhaus der Stadt Muya seien innerhalb eines Jahres 49 Fälle von Vergewaltigungen von Mädchen zwischen zwei und sieben Jahren festgestellt worden. Einige der Opfer seien so schwer verletzt gewesen, daß sie operiert werden mußten. Und Dominic Johnson, Kongo-Korrespondent der taz, berichtete am 3. April: »In den Krankenhäusern der Städte Goma und Bukavu ist das Elend zu sehen: Frauen und Mädchen mit zerfetzten Unterleibern und anderen brutalsten Vergewaltigungswunden.«

Nach Aussage von Kerstin Müller und Monika Hauser setzen die Kampfparteien die »physische und psychische Zerstörung von Frauen systematisch als Mittel der Kriegsführung ein«. Viele Frauen würden nach einer Vergewaltigung von ihren Familien verstoßen, ebenso wie die durch Vergewaltigung gezeugten Kinder. Medizinische, psychologische oder gar juristische Hilfe erreiche nur die wenigsten Opfer. Viele Frauen im Kongo werden die dort stationierten UN-Blauhelme als Teil des Problems betrachten: Seit März 2008 ermittelt die UNO gegen Soldaten ihrer Mission Monuc im Kongo wegen sexueller Ausbeutung Minderjähriger. Der Nachrichtenagentur AFP zufolge geht es um einen Kinderprostitutionsring nahe Goma. Auf die Verantwortung der UN für sexuelle Gewalt im Kongo verweist auch Monika Hauser. Medica mondiale zufolge erlitten Frauen im Kongo bereits 2003 und 2004 Vergewaltigungen durch UN-Friedenstruppen.

* Aus: junge Welt, 26. September 2008


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