Afrika liefert nicht nur schlechte Nachrichten
Libarata Mulamula: In der Region der Großen Seen gibt es trotz aller Probleme Fortschritte *
Liberata Mulamula ist Erste Exekutivsekretärin der Internationalen Konferenz der Großen Seen Afrikas (ICGLR). Die ICGLR umfasst elf afrikanische Staaten: Angola, Burundi, die Zentralafrikanische Republik, die Demokratische Republik Kongo, Kongo (Brazzaville), Kenia, Ruanda, Sudan, Uganda, Tansania und Sambia. Seit 2003 arbeiten die elf Staaten zusammen, um Frieden, Sicherheit, politische und soziale Stabilität in der Region zu befördern. Über diesen Prozess sprach mit der Tansanierin für das "Neue Deutshcland" (ND)
Martin Ling.
Die Internationale Konferenz der Großen Seen Afrikas (ICGLR) trat 2003 mit dem Bestreben an, die
konfliktreiche Region zu befrieden. Was haben Sie bisher erreicht?
Wir haben einige Fortschritte erzielt, aber sicher noch einen langen Weg zu gehen. Man muss sich
immer den Ausgangspunkt vor Augen halten: 2003 war die Region voller bewaffneter Konflikte und
Rebellionen, angefangen vom Bürgerkrieg in der Demokratischen Republik Kongo über die
Rebellion der Widerstandsarmee des Herrn (LRA) von Joseph Cony in Uganda bis zum Widerstand
der Nationalen Befreiungsfront (FNL) Burundis gegen das 2001 von Nelson Mandela vermittelte
Friedensabkommen. Burundi ist heute dank unserer Bemühungen eine Erfolgsgeschichte: Alle
Rebellengruppen, auch die FNL, haben die Waffen niedergelegt und beteiligen sich als politische
Parteien am Friedensprozess.
Der Bürgerkrieg in der Demokratischen Republik Kongo ist offiziell seit 2003 beigelegt, doch im
Osten gehen die Kämpfe offenbar unvermindert weiter. Ist die ICGLR dort machtlos?
Machtlos nicht, aber die Probleme in Kongo sind sehr komplex. Es gibt nach wie vor einzelne
Milizen, zum Beispiel die Interahamwe aus Ruanda, die dort 1994 maßgeblich am Völkermord
beteiligt war und seit ihrer Flucht den Osten Kongos unsicher macht. Doch einige Rebellengruppen
haben am 23. März ein Friedensabkommen auf Vermittlung der ICGLR und des nigerianischen
Expräsidenten Olusegun Obasanjo unterzeichnet. Obasanjo, jetzt UN-Sondergesandter, und der
ehemalige tansanische Präsident Benjamin Mkapa haben auch den Nationalkongress zur
Verteidigung des Volkes (CNDP), dessen Chef Laurent Nkunda im Januar verhaftet wurde, zu einer
Waffenruhe bewegt und an den Verhandlungstisch gebracht. Also selbst in Kongo gibt es
Fortschritte. Auch die Beziehungen zwischen Kongo und Ruanda haben sich verbessert; erstmals
seit 15 Jahren wurden wieder Botschafter ausgetauscht.
Beim ICGLR-Gipfel im August in Lusaka waren aber weder Kongos Präsident Joseph Kabila noch
sein ruandischer Kollege Paul Kagame anwesend.
Das stimmt, hatte aber erklärbare Gründe. Kabila konnte nicht kommen, weil US-Außenministerin
Hillary Clinton just zum Gipfeltermin ihre Aufwartung in Kinshasa machte. Und auch Kagame hatte
wichtige politische Termine. Am Vorabend des Gipfels und weitgehend ohne mediale Resonanz
trafen sich Kabila und Kagame im ostkongolesischen Goma, um »eine neue Ära« auszurufen. Mir
scheint, dass die Medien hauptsächlich an schlechten Nachrichten interessiert sind. Die
Anwesenheit der Außenminister beim Gipfel lag bei annähernd 100 Prozent und bis auf Kagame und
Kabila waren auch fast alle Staatschefs da. Das zeigt, wie stark die Region um die Lösung ihrer
Probleme bemüht ist.
Die Medien berichten nach wie vor über Auseinandersetzungen und unzählige Übergriffe auf die
Zivilbevölkerung im Osten Kongos. Nach Fortschritt klingt das nicht.
Wir haben nach wie vor das Problem mit Milizen wie der Interahamwe, die in der FDLR
(Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas) organisiert sind. Gegen die FDLR richtete sich die
gemeinsame Militäroperation der Armeen Kongos und Ruandas, die seit Januar 2009 erstmals an
einem Strick ziehen. Erstmals hat die Demokratische Republik Kongo Ruanda erlaubt, ihr auf ihrem
Staatsgebiet gegen die FDLR zu helfen. Die Kommandostruktur der FDLR wurde inzwischen
zerschlagen. Von der FDLR ging die meiste Gewalt in der Region aus, nicht von Ruanda oder
Uganda. Es gibt also durchaus Fortschritte, wenngleich noch keine Befriedung.
Die Milizen finanzieren ihre Waffenkäufe häufig durch Rohstoffexporte in Zusammenarbeit mit
multinationalen Unternehmen. Welche Haltung nimmt die deutsche Regierung dazu ein?
Die Bundesregierung unterstützt uns dabei, Standards und Zertifizierungsmechanismen für den
Rohstoffexport zu entwickeln, ähnlich dem Kimberley-Prozess für Diamanten.
Bis jetzt ist das nur eine Idee ...
... eine Idee, an deren Umsetzung wir arbeiten. Derzeit werden noch Untersuchungen durchgeführt,
beispielsweise warum es in meinem Heimatland Tansania trotz Ressourcenreichtum nicht zu
blutigen Konflikten kam wie in Kongo und anderswo.
Und wie steht es um die Unterstützung Deutschlands, wenn es um das Gebaren deutscher
Konzerne geht?
Die Bundesregierung verweist leider darauf, dass das private Unternehmen sind, die man nicht zur
Einhaltung von Standards im Ausland zwingen könne. Mich überzeugt das nicht: Wenn es einen
politischen Willen gäbe, könnten die Multis sehr wohl rechenschaftspflichtig gemacht werden. Das
Parlament in Deutschland könnte sehr wohl Gesetze verabschieden, die es deutschen Unternehmen
im Ausland schwer machen würden, Menschenrechtsverletzungen zu begehen. Das wäre eine echte
Unterstützung für Staaten wie die Demokratische Republik Kongo, die nur über sehr schwache
staatliche Institutionen verfügen. Mangelnder politischer Wille ist kein Alleinstellungsmerkmal des
Südens.
* Aus: Neues Deutschland, 7. September 2009
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