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Immer mehr Bundeswehreinsätze - Immer mehr Geld

Der Kongo-Einsatz wird teurer als bisher bekannt ist

Am 1. Juni entscheidet der Bundestag mit großer Mehrheit für einen Bundeswehreinsatz im Kongo. Über die Kosten wird wenig geredet. Der folgende Beitrag zeigt, was dieser und andere Bundeswehreinsätze den Bürger kosten.



Bon Anne Rieger*

»Der Bundeswehreinsatz in Kongo wird mehr als dreimal so teuer wie bisher bekannt. Der Beitrag zur geplanten EU-Mission wird Deutschland etwa 64 Millionen Euro kosten, schätzt das Verteidigungsministerium«, berichtete die Financial Times Deutschland unter Berufung auf Koalitionspolitiker. Allein für den Flugtransport der 500 deutschen Soldaten nach Afrika werden rund 15 Millionen Euro veranschlagt. Die Soldaten sollen ab Juni für vier Monate mit 1.000 weiteren EU-Soldaten die erste »freie« Wahl in Kongo »sichern«. Zusätzlich will Minister Franz Josef Jung nun noch einen Einsatztruppenversorger mit 200 Soldaten nach Afrika schicken. Der EU-Militärauschuß kalkuliert bereits mit 3.000, davon 900 deutschen Soldaten, Die Welt mit deutlich längerer Dauer.

Wer in der Demokratischen Republik Kongo, dem früheren Zaire, einst Kolonie des belgischen Königs, kandidieren will, muß 50 bis 100 Dollar zahlen; nicht viele Bürger dieses armen Landes können so viel Geld aufbringen. Von einem Präsidentschaftskandidaten werden 50 000 Dollar verlangt. Die aktive Teilnahme an diesen Wahlen ist also nicht frei, sondern finanziell eingeschränkt. Warum will die EU mit Deutschland an der Spitze derart undemokratische Wahlen militärisch sichern? »Unsere Steuergelder wären für zivile Aufbauhilfe nützlicher eingesetzt«, verlangt Paul Schäfer, verteidigungspolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke im Bundestag.

Wozu bewaffnete Wahlhelfer gut sein sollen, bleibt unklar ­ es sei denn, die Entsender haben anderes im Sinn. » Stabilität in der rohstoffreichen Region« nütze »der deutschen Wirtschaft«, teilt der Bundesverteidigungsminister mit. Eine der wichtigsten Rohstoff-Lagerstätten Zentralafrikas ist die Mine Lueshe im Osten des Kongo, auf die staatliche Stellen der Bundesrepublik Ansprüche erheben. Zu den Unternehmen, die seit Jahren Bodenschätze aus dieser Region beziehen ­ was auch in Bürgerkriegszeiten gelang ­, gehört eine Tochtergesellschaft der Bayer AG, H.C. Starck, die zu den weltweit bedeutendsten Vorstoffproduzenten für die Hartmetall-Industrie gehört. Die DR Kongo verfüge »vor allem über strategische Rohstoffe (...), die für Europa wichtig sind«, erläutert der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Andreas Schockenhoff. Gemeint sind unter anderem Erze, die man für die Herstellung von Düsenmotoren und Raketenteilen benötigt.

Mehrwertsteuer für mehr Rüstung

Der Militäretat soll bis 2009 um eine weitere Milliarde Euro steigen, kündigte Minister Jung (CDU) in der Haushaltsdebatte des Bundestags an. Vor allem will er die „verteidigungsinvestiven Ausgaben“ (für Kriegsgerät und Kriegstransportgerät) erhöhen: von 5,8 Milliarden Euro 2005 auf 7,2 Milliarden Euro 2009.

Im Haushaltsbegleitgesetz stellt die Bundesregierung fest: „Die laufenden Ausgaben übersteigen die regelmäßig fließenden Einnahmen dramatisch.“ Aber wenn es gilt, die Rüstungsindustrie zu alimentieren und durch Bundeswehreinsätze den „ungehinderten Zugang zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt aufrechtzuerhalten“ (wie es seit den Verteidigungspolitischen Richtlinien von 1992 Auftrag der Bundeswehr ist), mag die Bundesregierung nicht knausern, sondern sie erschließt kaltblütig neue Einnahmequellen. Für den „strukturellen Handlungsbedarf“ sieht sie im Haushaltbegleitgesetz folgende Lösungen: Erhöhung der Mehrwertsteuer um drei Prozent ab 2007; Streichung des bisherige Defizitzuschusses des Bundes für die Bundesagentur für Arbeit; Verringerung des Bundeszuschusses zur Rentenversicherung um 170 Millionen Euro im Jahre 2006 und um 340 Millionen Euro ab 2007; Senkung der Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung für Bezieher von Arbeitslosengeld II; Kürzung der pauschalen Zuweisung des Bundes an die Gesetzliche Krankenversicherung auf 1,5 Milliarden Euro im Jahre 2007, danach soll diese Zuweisung auslaufen.

Die Kleinen zahlen für die Rüstung, den Großen werden Steuern erlassen. Wie das ZDF am 8. April meldete, plant das Bundesfinanzministerium, den Körperschaftsteuersatz von derzeit 25 auf bis zu 15 Prozent zu senken.

Anne Rieger

Aus Ossietzky Nr. 8/2006




Fürs Militär wird jetzt weltweit jährlich etwa eine Billion Dollar ausgegeben. Für Entwicklungshilfe haben die regierenden Politiker dagegen nur 58 Milliarden übrig. Minister Jung versuchte sogar, den bewaffneten Kongo-Einsatz aus dem allgemeinen Topf des Bundeshaushaltes (Einzelplan 60) zu finanzieren ­ wie er überhaupt bestrebt ist, für militärische Ausgaben zivile Etats anzuzapfen. Wenn es nach ihm ginge, würden auch die knappen Mittel für Entwicklungszusammenarbeit oder für Forschung und Technologie oder die des Auswärtigen Amtes an den »Nimmersatt Bundeswehr« (Schäfer) verfüttert ­ Soldaten aber sind weder Entwicklungs- noch Wahlhelfer.

Insgesamt sind bereits mehr als 7.380 deutsche Soldaten im Ausland stationiert. Von Juli an können 6.600 deutsche Soldaten innerhalb von fünf Tagen der »NATO Response Force« (NRF) zur Verfügung gestellt werden. Der verantwortliche Minister Jung vermißt aber im Grundgesetz eine tragfähige Ermächtigung für Militäreinsätze im Ausland. Deswegen fordert er eine Verfassungsänderung. Langfristig halte er eine neue Definition des Verteidigungs- und des Bündnisfalles im Grundgesetz für wünschenswert, berichtete vor einigen Wochen die Tageszeitung (taz). Die Bundesregierung wolle lange Diskussionen ­ wie die um den geplanten EU-Einsatz im Kongo ­ vermeiden, so die Financial Times Deutschland . Allerdings, so Jung, sei die »öffentliche Diskussion« noch nicht so weit gediehen. Vorerst erwarte er keine Zweidrittelmehrheit für seinen Vorschlag im Bundestag.

Deswegen plädiert er dafür, im ersten Schritt das Grundgesetz dahingehend zu ändern, daß das Militär künftig für die Luft- und Seesicherheit zuständig werde. Das laufe, so die taz , auf die Erlaubnis hinaus, die Bundeswehr auch im Inland einzusetzen. Gemeinsam mit Innenminister Schäuble zeigte sich Jung zuversichtlich, dafür die notwendige Zweidrittelmehrheit im Parlament zu erreichen.

Der Minister schließt aber nicht aus, daß das Grundgesetz in dieser Legislaturperiode gleich mehrfach geändert werden könne. Denn von Januar 2007 an gelte für zusätzliche 1.300 Soldaten, daß sie innerhalb von fünf Tagen an einer EU-Eingreiftruppe beteiligt werden können. Bisher muß das Bundestagsplenum über jeden neuen Auslandseinsatz entscheiden. In der Union sorgt man sich, daß, solange das Parlament diese Kompetenz behält, Militäraktionen nicht schnell genug »abgesegnet« werden könnten. Wenn aber »Bündnisaufgaben« im Grundgesetz verankert wären, könnten leichter »Vorratsbeschlüsse« gefaßt werden, um Einsätze zu autorisieren.

Diverse Veröffentlichungen von der Financial Times Deutschland bis zur taz ­ die Spanne ist nicht groß ­ zeigen die Angst der Großen Koalition vor der Öffentlichkeit. Auslandseinsätze der Bundeswehr rufen immer die Friedensbewegung auf den Plan und mit ihr eine Öffentlichkeit, die in ihrer Mehrheit die Jugend unseres Landes nicht mit Waffen in andere Länder schicken will. Dieser friedliebenden Öffentlichkeit würden sich die Regierenden gern per Grundgesetzänderung entziehen. Um so notwendiger ist jetzt Öffentlichkeitsarbeit gegen die geplanten Grundgesetzänderungen.

* Anne Rieger, Gewerkschaftssekretärin, IG Metall Waiblingen, Sprecherin der VVN-BdA Baden-Württemberg, Sprecherin des Bundesausschusses Friedensratschlag

Der Beitrag erschien in der Zweiwochenschrift "Ossietzky" 10/2006


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