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Flagge zeigen in Kongo

Von Norman Paech*

Der nächste Truppeneinsatz ist so gut wie beschlossen ,und der Bundestag wird der Entscheidung der Bundesregierung, auch deutsche Soldaten mit der EU nach Kongo zu senden, nach einigem Titteltattel mit großer Mehrheit folgen. Denn es geht um unsere Verantwortung für Afrika, sprich um Demokratie und Rohstoffe – je nach Parteizugehörigkeit.

Formal beruft sich die Regierung auf ein Ersuchen der UNO an die EU, mit einer eigenen Truppe die Wahlen zu sichern. Aus Kongo selbst allerdings, wo die Wahlen am 18. Juni stattfinden sollen, ist die Anregung dazu nicht gekommen. Weder die dortige UNO-Mission MONUC, die schon 16 700 Soldaten im Einsatz hat, noch Kongos Regierung haben um weitere Truppen nachgesucht. Die Regierung hat von den Plänen überhaupt erst aus den Zeitungen erfahren und wird derzeit von EU-Chefdiplomat Javier Solana bearbeitet, ihre Zustimmung zu erteilen. Noch vor knapp zwei Wochen zeigte sich Kongos Außenminister bei seinem Besuch in Berlin außer Stande, zu dem Vorhaben eine Position seiner Regierung vorzutragen, da sie über Auftrag und Ziel der Mission nicht informiert war.

Das war der EU bis vor kurzem selbst nicht klar und hat sich erst jüngst auf einen maximal viermonatigen Einsatz von 1500 Soldaten in und um die Hauptstadt Kinshasa konzentriert. Zusammensetzung, Einsatzplanung, Aufgabenteilung und Abstimmung mit der MONUC werden derzeit fieberhaft erarbeitet, um dem UN-Sicherheitsrat einen Vorschlag für seine Mandatsresolution machen zu können.

Deutschland, das sich wie Frankreich mit 500 Soldaten beteiligen will, stellt sich vor, sein Kontingent zwischen dem Flugplatz von Kinshasa, dem Nachbarstaat Gabun und dem Einsatzführungskommando Potsdam aufteilen zu können. Es soll vor allem mit der Evakuierung von Wahlhelfern und -beobachtern betraut werden, wenn es zu gewalttätigen Zwischenfällen kommt. Die Franzosen sollen die Hauptaufgaben der Sicherung des Wahlvorgangs und der Zeit danach übernehmen, wenn es um die Akzeptierung der Wahl durch die unterlegenen Kandidaten und ihre Milizen geht.

Für diese Aufgaben soll die EU-Truppe mit einem »robusten Mandat« ausgerüstet werden, jenem Zwitter zwischen dem klassischen Blauhelmeinsatz und der militärischen Zwangsmission des Artikels 42 UN-Charta, den es in der UN-Charta eigentlich nicht gibt. Es kommt als Friedensmission daher, borgt sich aber von Artikel 42 militärische Eingreifbefugnisse, die weit über die Verteidigungsmöglichkeiten der Friedensmissionen hinausgehen können. Wozu, ist unklar, da der Einsatz auf vier Monate begrenzt sein soll, militärische Eingreifbefugnisse über die Selbstverteidigung hinaus aber immer auf ein längerfristigeres Engagement deuten. Gibt es etwa eine zweite, geheime Agenda?

Es gibt allerdings zwei Vermutungen über den Anlass der UN-Anfrage. Entweder steht Frankreich dahinter, um in Zentralafrika wieder präsent zu sein. Oder es treffen sich die Absichten des UN-Diplomaten Guéhenno, das EU-Militärpotenzial generell stärker für die UN-Missionen zu nutzen, mit denen des EU-Diplomaten Solana, die militärische Handlungsfähigkeit der EU unter Beweis zu stellen. Man hätte ja auch die MONUC um ein Kinshasa-Kontingent aufstocken oder das Angebot der Südafrikas, seine 1000 derzeit in Burundi stationierten Soldaten abzuordnen, annehmen können.

Doch es geht schließlich um unsere Verantwortung für Afrika, und weiße Soldaten verbreiten zweifellos mehr Angst und Respekt als schwarze oder braune. Man hat bereits so viel in den Übergangsprozess in Kongo investiert, dass man jetzt auch den Schlussstein absichern möchte. Nur machen sich Berliner Demokraten vielleicht nicht Illusionen über die Heilkraft von Wahlen in einem durch kolonialen Raub und Gewalt sowie postkoloniale Plünderung und Korruption gründlich zerstörten Land? Und machen sie sich obendrein vielleicht Illusionen über die zivilisierende und demokratisierende Kraft des Militärs? Wenn man zu dem Schluss gekommen ist, dass die Entwicklung bereits reif für parlamentarische Wahlen ist – und das Verfassungsreferendum Ende 2005 ohne Zwischenfälle ist ein Indiz dafür –, werden diese gemeinhin durch internationale Wahlbeobachter gesichert. Freie Wahlen unter dem Schutz von Panzern und Fallschirmjägern sind ein Widerspruch in sich.

Kongo gehört zweifellos zu einer der rohstoffreichsten Regionen der Welt. Noch sprudeln keine Öl- und Gasquellen, doch wer weiß. Von Bechtel über de Beers bis Siemens ist internationales Kapital dort engagiert, das an stabilen Verhältnissen, gleichgültig ob demokratisch oder nicht, interessiert ist. Das Interesse Europas und der USA, aber auch Chinas an diesen Reichtümern ist legitim. Über die Methoden ihrer Aneignung sollte Kongos Volk allerdings selbst und ohne militärische Protektion entscheiden. Wenn es für die Sicherung seiner Grenzen und zum Schutz vor Rebellen auf die Hilfe der UNO und die von ihr zusammengestellten Truppen aus Afrika, Asien, und Lateinamerika zurückgreift, ist es seine Entscheidung. Ihm jetzt aber noch eine weitere Truppe vom Kontinent der alten Kolonial- und neuen Globalisierungsmächte aufzudrängen, ist der falsche Weg zu Stabilität und Demokratie.

Die Linksfraktion im Europäischen Parlament hat die Entsendung einer EU-Truppe abgelehnt, da die Gefahr einer weiteren Militarisierung der Verhältnisse zu groß sei. Und wer schließlich die EU-Verfassung wegen ihrer eindeutigen Militarisierung der Union abgelehnt hat, wird Schwierigkeiten haben, den Kongo-Einsatz nun als eine sinnvolle Ausnahme zu akzeptieren.

* Norman Paech ist außenpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag.

Aus: Neues Deutschland, 20. März 2006


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