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Thomas Lubanga ist ein Kriegsherr unter vielen

Einer der prominentesten Milizenführer aus Kongo steht vor Gericht

Von Martin Ling *

Der Ausspruch von Madeleine Albright wurde zum geflügelten Wort: Als »Afrikas ersten Weltkrieg« beschrieb die ehemalige USA-Außenministerin den seit 1998 offen tobenden Krieg in der Demokratischen Republik Kongo, dem bis heute schätzungsweise fünf Millionen Menschen zum Opfer gefallen sind. Einem der Täter, dem Milizenführer Thomas Lubanga, wird ab heute in Den Haag der Prozess gemacht.

Offiziell herrscht in der Demokratischen Republik Kongo seit 2003 Frieden. Für den Osten des riesigen zentralafrikanischen Landes galt das freilich nie und auch derzeit finden Kämpfe statt, wenngleich in neuer Konstellation: Die Präsidenten Joseph Kabila von der Demokratischen Republik Kongo und Paul Kagame aus Ruanda ziehen seit einer Woche erstmals gemeinsam am Strang und wollen marodierenden Milizen das Handwerk legen - Milizen, wie eine einst auch Thomas Lubanga anführte.

Direkt führt Lubanga sein Handwerk schon länger nicht mehr aus - im März 2006 ging er als erster Häftling des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag in die Geschichte ein. Nun schreibt er weiter Geschichte, denn heute beginnt gegen Lubanga der erste Prozess des Strafgerichtshofes. Die Anklage ist reduziert: Rekrutierung und Einsatz von Kindersoldaten. Damit befindet sich Lubanga in schlechter Gesellschaft vieler afrikanischer Kriegsherren. So bemängeln auch Menschenrechtsorganisationen, dass Lubanga »kein großer Fisch« sei. Doch dass es überhaupt zu dem historischen Prozess kommt, wird allgemein begrüßt.

Lange hing das Strafverfahren am seidenen Faden. Im vergangenen Jahr hatten die Richter zunächst die Freilassung Lubangas angeordnet, da der Verteidigung nicht alle Dokumente der Anklage vorlagen. Erst nach monatelangen Verhandlungen war der Weg frei.

Lubanga ist einer von drei Milizenführern aus der nordöstlichen Provinz Ituri, die mittlerweile in Den Haag einsitzen: Germain Katanga, Chef der Lendu-Miliz Kräfte des Patriotischen Widerstandes (FRPI) und Mathieu Ngudjolo, Anführer der Lendu-Miliz Front der Nationalisten und Integrationisten (FNI) sind die anderen. Gegen sie wird vor allem wegen eines Massakers an Hema-Zivilisten am 24. Februar 2003 ermittelt.

Vor dem Hintergrund der ethnischen Konflikte zwischen Hema und Lendu im Jahr 2002 gründete der Hema Lubanga mit Unterstützung des Nachbarlands Uganda die Union Kongolesischer Patrioten (UPC). Lubanga erwarb sich den Ruf eines charismatischen Führers, die Hema sehen in ihm ihren Beschützer - bis heute zollen sie ihm Bewunderung, wie Mitarbeiter von Hilfsorganisationen berichten. Lubanga forderte die Hema auf, ihm ihre Kinder als Soldaten zur Verfügung zu stellen. Der UPC werden mehrere Massaker an Lendu-Zivilisten in den Jahren 2002 und 2003 zur Last gelegt, vor allem in Lubangas Hochburg, der Provinzhauptstadt Bunia - die sind aber nicht Gegenstand der Anklage.

Anfang 2003 überwarf sich Lubanga mit Uganda und ugandische Truppen vertrieben ihn daraufhin bis zu ihrem Abzug aufgrund des Kongo-Friedensabkommens aus Bunia. Danach erhielt Lubanga Waffen aus Ruanda und wurde von an Geld und Einfluss reichen Hema-Geschäftsleuten gefördert.

Der ursprüngliche Landkonflikt im Distrikt Ituri zwischen den Ackerbau betreibenden Lendu und den Viehzucht und Handel betreibenden Hema hat sich längst ausgeweitet und internationalisiert. Uganda und Ruanda sowie multinationale Konzerne mischen kräftig mit - selbst die UN-Blauhelme sind mutmaßlich in Rohstoff- und Waffenhandel involviert.

Hauptstreitpunkt ist die Kontrolle über die Hauptstadt Bunia und die Minenstadt Mongbwalu. Sie entscheidet darüber, ob Hema oder Lendu in den Minen arbeiten dürfen und welche Händler daran verdienen. In der Grenzregion Uganda/DR Kongo werden zudem riesige Ölvorkommen vermutet. Wer den Zugriff auf diese Gegend hat, darf sich potenziell reich schätzen.

Lubanga verließ Bunia endgültig 2003, nachdem die EU im Juni die Mission Artemis entsandt hatte. 2004 tauchte er in der Hauptstadt Kinshasa wieder auf, wo er sich in einem Hotel einquartiert und dort auf seine Beförderung zum General in der kongolesischen Armee wartet - ein Versprechen an mehrere Milizenchefs aus Ituri, die im Gegenzug ihre Waffen strecken sollen. Doch die Gewalt in Ituri nahm kein Ende, und nach dem Mord an neun UN-Blauhelmsoldaten im Februar 2005 nahmen die kongolesischen Behörden Lubanga im März fest. Doch selbst aus der Haft in Kinshasa soll Lubanga die Geschicke der UPC weiter gelenkt haben. Ein Jahr später wurde er nach Den Haag ausgeliefert, wo er ab heute vor Gericht steht.

* Aus: Neues Deutschland, 26. Januar 2009

Weltgericht mit Grenzen

Von Olaf Standke ** Zu den ersten Amtshandlungen von Barack Obama gehörte die Entscheidung, das berüchtigte Gefangenenlager Guantanamo und alle CIA-Geheimgefängnisse schließen zu lassen. Zudem hat der neue USA-Präsident Folter strikt verboten. Bleibt die Frage, ob Verantwortliche aus der Bush-Regierung etwa für die massive Verletzung der Genfer Konventionen auch juristisch zur Verantwortung gezogen werden.

Dafür wurde der Internationale Strafgerichtshof (International Criminal Court -- ICC) geschaffen, der seit 2002 seinen Sitz in Den Haag hat. Grundlage für die Gründung ist die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. In dem 1998 verabschiedeten »Statuten von Rom« wurden dann die Prinzipien und die Arbeitsweise des ersten ständigen Weltgerichts zur Verfolgung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord und Kriegsverbrechen fixiert. Doch darf das ICC nur Verbrechen verfolgen, die nach dem 1. Juli 2002 in einem Vertragsstaat oder durch einen seiner Staatsbürger begangen wurden, und das auch nur dann, wenn die Justiz des jeweiligen Landes einen Fall nicht verfolgen will oder kann. Es sei denn, der UN-Sicherheitsrat beantragt Ermittlungen.

Der argentinische Jurist Luis Moreno-Ocampo hat seit seiner Vereidigung als Chefankläger 2003 bisher zwölf Haftbefehle erlassen und im Juli 2008 erstmals auch einen gegen einen amtierenden Staatschef, den sudanesischen Präsidenten Omar Hassan Ahmad al-Baschir, beantragt. Vier Verdächtige sitzen bereits in einem Gefängnis von Scheveningen. Über einen großen Ermittlungsapparat, eine eigene Polizei oder gar Eingreiftruppe verfügt das Gericht mit seinen rund 740 Mitarbeitern jedoch nicht. Bei Fahndungen und Festnahmen ist es auf die Hilfe der jeweiligen Länder angewiesen. Die Vertragsstaaten, die auch die 18 Richter und den Chefankläger auswählen, finanzieren das ICC in diesem Jahr mit rund 100 Millionen Euro.

Inzwischen wurde das Gründungsdokument von 108 Staaten ratifiziert, darunter alle EU-Staaten und 30 afrikanische Länder - nicht aber Staaten wie die USA, Russland, Indien, Pakistan, Iran, Israel oder China. Die Bush-Regierung hat mit allen Mitteln versucht, die Arbeit des Weltstrafgerichts zu behindern und zog die Signatur des Statuts unter Präsident Clinton zurück. Noch vor dem Irak-Krieg hat der Kongress in Washington im Jahr 2002 mit seiner republikanischen Mehrheit den »American Servicemembers' Protection Act« verabschiedet. Nicht nur, dass er die Mitarbeit am ICC verbietet, er ermöglicht dem Präsidenten sogar, US-amerikanische Regierungsangehörige oder Alliierte im Fall der Fälle selbst mit Gewalt zu befreien, was dem Gesetz auch den Namen »The Hague Invasion Act« einbrachte. Zudem droht allen Signatarstaaten, die nicht NATO-Mitglied sind, die Streichung der USA-Militärhilfe. Afghanistan z.B. hat wie andere Länder zugesichert, USA-Bürger nicht an Den Haag auszuliefern.

Die freiwillige Vertragsverpflichtung schränkt also die Zuständigkeit des ICC erheblich ein. »Die Staaten müssen uns viel wirksamer durch konkrete Festnahmeaktionen unterstützen«, sagt etwa der deutsche ICC-Richter Hans-Peter Kaul. Sonst laufe der Gerichtshof Gefahr, zum »Papiertiger« zu werden.

** Aus: Neues Deutschland, 26. Januar 2009




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