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Der König kehrt zurück

Die Demokratische Republik Kongo feiert 50 Jahre Unabhängigkeit mit Albert II

Von Raoul Wilsterer *

In Kinshasa, das bis 1966 nach dem ersten belgischen Kolonialherrscher »Léopoldville« hieß, wurde am Mittwoch gefeiert. Vor genau 50 Jahren, so benannten die Bürgermedien im Vorfeld unisono den Anlaß, sei die Demokratische Republik Kongo (DRK) »in die Unabhängigkeit entlassen« worden. Das ist historisch gesehen Unsinn. Lediglich das Datum stimmt, doch gingen diesem über einen Zeitraum von etwa fünf Jahren heftige Kämpfe, Großdemonstrationen und Streiks gegen die verrottete Kolonialmacht Belgien voraus. Erst an dessen Ende sah sich Brüssel gezwungen, klein beizugeben - was nicht heißt, daß die alte Herrschaft letztlich gebrochen wurde. Das demonstrierte gestern insbesondere die Anwesenheit von Albert II. in Kinshasa. Der belgische König nahm als Gast an den Festivitäten teil. Er war zuvor mit einer Ehrenformation der kongolesischen Armee empfangen und von Präsident Joseph Kabila herzlich begrüßt worden.

Die ehemals Mächtigen sind wieder wer. Sie reden auch heute ein gewichtiges Wort mit, wenn es um Abbau und Export der Güter des wohl rohstoffreichsten Staats des afrikanischen Kontinents geht. Der Kongo verfügt unter anderem über Kupfer, Kobalt, Zink, Uran sowie Silber und Diamanten. Der Kampf um diese forderte Millionen und Abermillionen Opfer - sowohl in den Kriegen zwischen 1960 und 1965, als auch während der Interventionen von außen, die mit Ende der Mobutu-Diktatur (1965-1997) vor allem den Ostkongo trafen. Die Regionen nahe der Großen Seen im Herzen des schwarzen Kontinents haben sich bis heute nicht davon erholt.

Diese ganze elende Geschichte begann mit dem Mord an Patrice Émery Lumumba (2.7.1925-17.1.1961), den ersten Premier der Republik, sechseinhalb Monate nach der Unabhängigkeitserklärung. Der große Hoffnungsträger seines Landes wurde auf der Flucht in der Provinz Katanga erschlagen und verscharrt - und bis heute wird behauptet, daß die Täter nicht bekannt seien. Eine Untersuchungskommission des belgischen Parlaments gelangte 2001 lediglich zu dem Schluß, daß Belgien eine »moralische Verantwortung« trage. Die damalige Regierung entschuldigte sich zwar, weitere Folgen blieben jedoch aus.

Kürzlich nutzte Lumumbas Sohn Guy die öffentliche Aufmerksamkeit, die die aktuellen Feierlichkeiten in Kinshasa mit sich bringen, um Klarheit zu verlangen. Mitte vergangener Woche kündigte er in Brüssel eine Klage gegen zwölf Belgier an, die 1961 in die Ermordung verwickelt gewesen sein sollen. »Ich will wissen, warum er getötet worden ist«, sagte er und benannte die Beschuldigten: »Polizisten, Militärangehörige und Funktionäre«. Diese hatten dafür gesorgt, daß der Präsident, der hohes Ansehen auch weltweit in den damals aufstrebenden antikolonialen Befreiungsbewegungen genoß, zum Schweigen gebracht wurde.

Die Gründe hierfür lagen spätestens seit dem 30. Juni 1960 auf dem Tisch. Bei der Unabhängigkeitszeremonie war Patrice Lumumba hart mit König Baudouin aneinander geraten. Während der Belgier in überkommenem Kolonialherrenstil die »Leistungen« seines Vorfahren Léopold II. in Belgisch-Kongo lobgepriesen hatte, konterte der 34jährige mit einer Stegreifrede: »Wenn auch die Unabhängigkeit im Einvernehmen mit Belgien, einem Land, mit dem wir von nun an von gleich zu gleich verhandeln werden, proklamiert wird, so sollte kein Kongolese, der dieses Namens würdig ist, vergessen, daß sie durch einen Kampf erreicht wurde. (...) Wir haben Demütigungen, Beleidigungen und Schläge erlebt, die wir morgens, mittags und abends erleiden mußten, nur weil wir Neger waren.«

Vielleicht war Lumumbas Auftritt ein Schlüsselerlebnis für Baudouin. Auf alle Fälle wurde ihm klargemacht: Der neue erste Mann des Staates verlangt tatsächliche Unabhängigkeit. Dieses Bestreben hätte - aus Königs Sicht - bedrohliche Folgen für das Land, ja, für ganz Westafrika. Weswegen auch die CIA eine bedeutende Rolle beim Lumumba-Mord gespielt hat. Entsprechende Aussagen und Dokumente liegen vor.

Und nun also hält sich Albert II. in Kinshasa auf. Er wolle keine Rede halten, hieß es im Vorfeld. Der König hätte eine Position zur Geschichte - und zu seiner Familiengeschichte - äußern müssen. Zu der gehören Léopold II. und Baudouin.

* Aus: junge Welt, 1. Juli 2010


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