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Ein Krieg ohne Fronten

Im Osten der DR Kongo wird weiter getötet – trotz eines Friedensvertrags

Von Marc Engelhardt, Goma *

Nördlich von Goma in der Provinz Nord-Kivu der DR Kongo tobt der Bürgerkrieg wieder heftiger. Die vor einem halben Jahr gestartete Militäroperation, die den Frieden bringen sollte, hat das Chaos in der Region allenfalls vergrößert. Hunderttausende sind auf der Flucht.

Von den meisten Plastikplanen, die die aus Holz, Pappe, Stroh und plattgedrückten Konservendosen notdürftig zusammengezimmerten Hütten bedecken, sind kaum mehr als Fetzen übrig geblieben. Jetzt in der Regenzeit, wenn die Tropfen am Nachmittag wie ein dichter Vorhang vom Himmel fallen, verschwinden nicht nur die Wege, sondern auch die Unterkünfte der gut 5000 Vertriebenen in Mugunga in einer stinkenden Mixtur aus Dreck und Schlamm.

»Wir haben nichts, um die Dächer auszubessern«, klagt Fikiri Jamboku, ein Mann Anfang 40, bevor er auf den größten Platz des Lagers marschiert und wartet. Worauf, das weiß er selbst nicht genau. »Es gibt immer weniger Hilfe, im Monat bekomme ich noch drei Kilo Mehl, ein Säckchen getrocknete Bohnen und einen halben Liter Öl – das muss für die ganze Familie reichen.« Zurückkehren in seine Heimat will Jamboku dennoch nicht. »Es gibt hier keine Arbeit, es gibt keine Felder, und die Kinder werden in der feuchten Hütte krank – aber wenigstens sind wir am Leben.«

Wie die meisten im Camp, so stammt auch Jamboku aus Masisi, einer Stadt nahe der Provinzhauptstadt Goma. Hier, auf halbem Weg zwischen den nur 50 Kilometer voneinander entfernten Städten, ist Jamboku vor fast einem Jahr angekommen, auf der Flucht vor den Kämpfen zwischen Kongos Armee, Rebellen des »Nationalkongresses zur Verteidigung des Volkes« (CNDP) des inzwischen festgenommenen Laurent Nkunda, örtlichen Mai-Mai-Milizen und nach dem Völkermord aus Ruanda geflohenen Hutu-Extremisten der »Demokratischen Kräfte zur Befreiung Ruandas« (FDLR). »Ich habe nichts retten können«, erinnert sich Matata Kalamiva, ein ergrauter, hochgewachsener Mann. »Alles, was ich besitze, ist noch in Masisi, wir mussten Hals über Kopf vor Nkundas Leuten fliehen.«

Doch Anfang des Jahres schöpften Kalamiva, Jamboku und die anderen Hoffnung: Eine gemeinsame Militäroperation, an der die kongolesische Armee und Truppen aus dem verfeindeten Nachbarland Ruanda beteiligt waren, sollte die Rebellenbewegungen zur Aufgabe zwingen. Ihr Höhepunkt war die Verhaftung Nkundas auf ruandischem Boden, von wo der Rebellenführer bis dahin unterstützt worden war. »Da haben wir schon gefeiert: Bald geht es zurück«, sagt mit leiser Stimme Kanyangesi Kapalata, ein gebeugter Alter im beigen Hemd. »Aber dann wurde alles noch schlimmer.«

Statt des erhofften Friedens wird in Masisi, im weiter westlich gelegenen Walikale und in weiten Teilen Nord-Kivus so heftig gekämpft wie lange nicht mehr. »Den Menschen geht es eindeutig schlechter als vor der Offensive«, sagt Marcel Stoessel von Oxfam. Nicht nur die FDLR-Rebellen, auch die Soldaten der chronisch unterbezahlten kongolesischen Armee gehören zu den Tätern. Es gibt keine Fronten, nur Chaos. »Jeder steht unter Generalverdacht«, so Stoessel. »Ständig gibt es sogenannte Racheattacken gegen die Zivilbevölkerung.« Mehr als 300 000 Menschen sind seit Anfang des Jahres aus ihren Dörfern geflohen, 100 000 mehr als vor einem Jahr, als in Nord-Kivu offen Krieg herrschte.

Ein Analyst der UN-Mission in Goma, der seinen Namen nicht gedruckt sehen will, macht für die gestiegene Gewalt den Ende März unterzeichneten Friedensvertrag verantwortlich, der die CNDP eindeutig bevorteilt habe. »Die CNDP ist jetzt offiziell Teil der Armee und hat dadurch Orte erreicht, wo sie vorher nie war«, so seine Bilanz.

* Aus: Neues Deutschland, 23. Juni 2009


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