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"Neokolonial aus Überzeugung!"

Verstimmung zwischen Belgien und der Demokratischen Republik Kongo

Von Tobias Müller, Amsterdam *

Wer Entwicklungshilfe zahlt, kann auch Ansprüche stellen: Diese Aussage des belgischen Außenministers löste eine diplomatische Krise aus. Das Verhältnis zwischen Belgien und Kongo ist knapp 50 Jahre nach der Unabhängigkeit anhaltend labil.

Es knirscht vernehmlich zwischen Belgien und der Demokratischen Republik Kongo. »Nicht allein das Recht, sondern die moralische Pflicht« habe seine Regierung, die Verhältnisse in der Demokratischen Republik Kongo zu kritisieren, sinnierte der belgische Außenminister Karel de Gucht dieser Tage -- und brachte damit einen Stein ins Rollen. Die Regierung in Kinshasa reagierte empört: Als unabhängiger und souveräner Staat erkenne sie keinerlei Einmischung eines anderen Landes an, erklärte sie in einer umgehenden Protestnote in Richtung Brüssel.

Auf die Worte folgten Taten: Zunächst berief Kinshasa seinen Botschafter aus Belgien ab und schloss das Konsulat in Antwerpen. Wenig später folgte die Aufforderung an die ehemalige Kolonialmacht, ihrerseits die Vertretungen in Lubumbashi und Bukavu zu schließen. Innerhalb weniger Tage entwickelte sich aus der Affäre eine schwere diplomatische Krise. Bisher vergeblich versucht Premierminister Yves Leterme, mit dem kongolesischen Präsidenten Joseph Kabila Kontakt aufzunehmen, um den offenkundigen Bruch zu kitten.

Das Eskalationspotenzial der Forderung de Guchts erschließt sich durch die jüngere Vergangenheit. Bereits im April hatte der Liberale, in Belgien gleichsam populär wie verrufen wegen seiner markigen Aussprüche, bei einem Besuch in Kinshasa die Regierung Kabilas scharf angegriffen. Im Gegenzug zu den umfangreichen Investitionen in Kongo erwarte Brüssel gute Regierungsführung und Demokratie statt einer Elitenherrschaft. Auch bei seinem vorherigen Besuch 2007 hatte De Gucht die belgische Entwicklungshilfe an Menschenrechte, Korruptionsbekämpfung und Meinungsfreiheit gekoppelt. Drei Jahre zuvor hatte er gar angeregt, Kongo aufgrund der zahlreichen Missstände unter Vormundschaft zu stellen. Solche Worte wiegen schwer vor dem Hintergrund der knapp 80-jährigen Kolonialherrschaft Belgiens in Kongo, und nicht zuletzt der »Vormundschaft«, die Brüssel durch die Destabilisierung unmittelbar nach der Unabhängigkeit 1960 dem jungen Staat angedeihen ließ. Dazu zählte auch die Beteiligung am Komplott gegen den sozialistischen Premierminister Patrice Lumumba, für die die belgische Regierung 2002 eine »unverkennbare Verantwortung« übernahm.

Diese Vergangenheit hat das Verhältnis zwischen beiden Ländern in den letzten Jahren immer wieder eingeholt. Mal warf Kinshasa de Gucht vor, er schwanke »auf dem Grad zwischen Rassismus und kolonialer Nostalgie«. Dann wiederum reagierte Präsident Kabila auf Vorwürfe aus Brüssel mit dem Bild einer Meister-Sklaven-Beziehung. Dass die Gleichsetzung inhaltlicher Kritik aus früheren Mutter- und heutigen Geberländern mit Rassismus eine durchsichtige rhetorische Figur ist, haben afrikanische Autokraten immer wieder bewiesen. Mit seiner jüngsten Aussage, wenn diese Kritik »neokolonial« sei, sei er ein »überzeugter Neokolonialist«, spielt Karel de Gucht dieser Argumentation in die Karten. Dabei ist das Kräfteverhältnis zwischen Kinshasa und Brüssel inzwischen deutlich vielfältiger. Zwar sponsorte Belgien in diesem Jahr mit 300 000 Euro die Friedensgespräche für den krisengeschüttelten Osten Kongos und bemüht sich regelmäßig um diplomatische Vermittlung in der Region. Auf der anderen Seite ist dem früheren »Mutterland« in China ein harter Konkurrent im Kampf um Investitionen in Kongo erwachsen. Ein Nebeneffekt der aktuellen Verstimmung ist die Uneinigkeit, die darüber innerhalb der belgischen Regierung zwischen Flamen und Frankophonen entstand. Vor allem die Parti Socialiste warf dem eigenen Koalitionspartner koloniale Gesinnung vor. De Gucht mag das als Ironie des Schicksals vorgekommen sein -- schließlich hatte er die internen Streitigkeiten der Regierung in Kinshasa vor nicht allzu langer Zeit selbst noch angeprangert.

* Aus: Neues Deutschland, 3. Juni 2008


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