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Zwiespältiges Jubiläum in Kongo

Land feiert 50. Jahrestag der Unabhängigkeit

Von Marc Engelhardt, Kinshasa *

Mit einer Militärparade in Kinshasa, der Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo, haben am Mittwoch (30. Juni) die Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag der Unabhängigkeit von Belgien begonnen. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon, Belgiens König Albert II. und zahlreiche afrikanische Staatsoberhäupter verfolgten den Aufmarsch von mehr als 15 000 Soldaten auf dem für diesen Anlass neu gestalteten Triumphboulevard, Tausende Kongolesen säumten die Straße.

Es war die größte Geburtstagsparty, die Kongos Hauptstadt Kinshasa jemals gesehen hat. Tausende Kongolesen defilierten gestern (30. Juni) durch die Stadt, um den 50. Jahrestag der Unabhängigkeit zu begehen. Zu den Gästen an der Seite von Präsident Joseph Kabila gehörten UN-Generalsekretär Ban Ki Moon und Belgiens König Albert II.. Doch längst nicht alle sind in Partystimmung. »Die Feier symbolisiert für mich, was in einem halben Jahrhundert alles schief gehen kann«, sagt etwa der Taxifahrer Alain Mobogeti. »Das ist kein Geburtstag, das ist eine Totenmesse.«

Mehr als alles andere überschattet der Tod eines Mannes die Feierlichkeiten. Floribert Chebeya, einer der prominentesten Menschenrechtler und Regierungskritiker im Land, wurde am Samstag im Westen Kinshasas beigesetzt. Gut 4000 Trauernde begleiteten die Prozession, nachdem sie zuvor die ganze Nacht über eine Totenwache bei Kerzenschein im städtischen Fußballstadion abgehalten hatten. Nicht wenige vermuten, dass der Staatsapparat den 47-jährigen Direktor der Menschenrechtsgruppe »Voix des Sans Voix« (Stimme der Ungehörten) auf dem Gewissen hat.

»Floribert ist bereits in der Vergangenheit von den Behörden drangsaliert worden«, weiß die Afrika-Expertin von Amnesty International Veronique Aubert. »Er hat mehrfach geklagt, dass er unter Beobachtung des Geheimdienstes stehe.« Am Morgen des 2. Juni wurde Chebeya auf dem Rücksitz seines Autos gefunden, das an einer Ausfallstraße geparkt war. Unmittelbar vor seinem Tod befand Chebeya sich auf einer Polizeiwache. In Kinshasa machen seit Wochen Gerüchte über eine Tatbeteiligung der Polizei die Runde.

Viele fühlen sich an den Mord an Patrice Lumumba erinnert, Kongos erstem Premier und wie Chebeya ein wortgewaltiger und kompromissloser Anwalt der kleinen Leute. Es dauert mehr als 30 Jahre, bis die Details bekannt werden. Es war kurz vor Mitternacht am 17. Januar 1961, als der Premier auf eine menschenleere Lichtung in der Katanga-Region im Südosten Kongos gefahren wird, wo ihn Soldaten unter dem Kommando belgischer Offiziere erschießen. Anwesend auch Moïse Tschombé, der sich einige Monate zuvor zum Präsidenten des rohstoffreichen Katanga ernannt hatte.

Als Lumumba sowjetische Hilfe annimmt, um seine Soldaten an die Front in Katanga zu fliegen, sehen die USA das als letzten Beweis dafür, dass er Kommunist ist. Der damalige Büroleiter des Geheimdienstes CIA, Larry Devlin, hat inzwischen zugegeben, den Befehl zur Tötung Lumumbas erhalten zu haben. Für Kongo ging mit Lumumbas Tod ein kurzer Ausflug in Richtung Freiheit zu Ende: Der von den USA gestützte Nachfolger Mobutu Sese Seko raubte das Land gnadenlos aus.

Bis heute hat sich Kongo – wie viele der 16 anderen afrikanischen Nationen, die 1960 unabhängig wurden – nicht erholt. Wirtschaftliche Freiheit ohne Demokratie – für die herrschende Klasse ist das verlockend. »Wer sagt, dass Ihre Demokratie auch für uns gut ist?«, fragt etwa Ruandas Präsident Paul Kagame, der sich im Herbst einer Wahl stellt. Oppositionskandidaten hat er ebenso eingesperrt wie Journalisten und andere Kritiker. Seine Maxime – erst Entwicklung, dann Demokratie – wird auch in Kinshasa vernommen, wo Kagame nach langer diplomatischer Eiszeit wieder ein gern gesehener Gast ist. Kritik wie die des kongolesischen Oppositionellen Jean Lucien Bussa geht da eher unter: »Wir brauchen einen Rechtsstaat, der nicht nur Menschenrechtler, sondern alle Kongolesen schützt.« Doch 50 Jahre nach der Unabhängigkeit ist das nicht nur in Kongo kaum mehr als ein frommer Wunsch. Amnesty International hat die Feiern angesichts der Menschenrechtslage in dem zentralafrikanischen Land gestern als heuchlerisch kritisiert.

* Aus: Neues Deutschland, 1. Juli 2010


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