Präsident Santos spielt die Friedenskarte
Wenige Tage vor der Stichwahl bekennt sich Kolumbiens Regierung zu Gesprächen mit der Guerilla ELN
Von David Graaff, Bogota *
Die Regierung Kolumbiens hat Friedensgespräche
mit der zweitgrößten
Guerillagruppe ELN aufgenommen.
Das wurde fünf Tage vor
der Stichwahl um die Präsidentschaft
offiziell bekanntgegeben.
Im Endspurt des kolumbianischen
Wahlkampfes überschlagen sich die
Ereignisse. Am Dienstag bestätigten
die Guerilla der Nationalen Befreiungsarmee
(ELN) und die Regierung
in einer gemeinsamen Mitteilung,
dass Vertreter beider Seiten seit Jahresbeginn
geheime Sondierungsgespräche
über die Aufnahme von Friedensverhandlungen
führen. Ziel dieser
ersten Phase sei die Vereinbarung
einer Verhandlungsgrundlage. Bereits
geeinigt haben sich beide Seiten
auf zwei von sechs Verhandlungspunkten:
die Opfer des Konflikts und
die Teilnahme der Zivilgesellschaft.
Über weitere Tagesordnungspunkte
werde derzeit noch verhandelt.
In einer Fernsehansprache betonte
Präsident Juan Manuel Santos, bei
den Gesprächen mit der ELN stünden
ebenso wie bei den seit Ende 2012
stattfindenden Verhandlungen mit
der FARC weder die Grundlagen der
Verfassung noch das Wirtschaftsmodell
und die Rolle der Streitkräfte zur
Diskussion. »Die politische Verantwortung
dieser neuerlichen Friedensbemühungen
liegt ausschließlich auf meinen Schultern«, sagte
Santos. Der konservative Staatschef
strebt bei den Präsidentschaftswahlen
am Sonntag seine Wiederwahl an.
Die Vereinten Nationen begrüßten
ebenso wie das lateinamerikanische
Staatenbündnis ALBA die Ankündigung
der Gespräche.
Hinter der Bekanntmachung wenige
Tage vor der Stichwahl um das
Präsidentenamt steht auch politisches
Kalkül der Regierung. Umfragen sehen
für die Wahl am Sonntag ein Kopfan-
Kopf-Rennen des Amtsinhabers
und seines rechten Herausforderers
Oscar Iván Zuluaga voraus. Die Bekanntgabe
ist für Santos, der sich im
Wahlkampf vor allem als Kandidat für
den Frieden präsentiert, nicht ohne
politisches Risiko. Zwar könnte sie unentschlossene
Wähler auf seine Seite
ziehen, doch treibt er möglicherweise
auch viele der den Verhandlungen
skeptisch gegenüberstehenden Kolumbianer
seinem Herausforderer in
die Arme. Zuluaga warf Santos am
Dienstag umgehend ein »wahltaktisches
Manöver« vor. »Die Regierung
macht den Menschen in Kolumbien
wenige Tage vor den Wahlen falsche
Hoffnungen«, sagte er.
Bereits am Wochenende hatten die
Verhandlungsdelegationen von
FARC-Rebellen und Regierung in Havanna
eine vorläufige Einigung in Sachen
Umgang mit den Opfern des
Konflikts bekanntgegeben. Darin anerkennen
beide Seiten eine Mitverantwortung
für Menschenrechtsverletzungen.
Wie »nd« zudem erfuhr,
haben Vertreter von ELN und Regierung
bereits einen weiteren wichtigen
Punkt für die Verhandlungen
vereinbart, dessen Verkündung aber
so kurz vor dem Urnengang politisch
fahrlässig wäre, berührt er doch wirtschaftliche
Kernthemen wie den Umgang
mit ausländischen Investitionen
und die Ausbeutung von Rohstoffen
in Kolumbien. Ein gefundenes Fressen
für den Rechtsaußen Zuluaga, der
als politischer Ziehsohn des Expräsidenten
Álvaro Uribe gilt, eines Befürworters
einer bewaffneten »Lösung
« des Konflikts.
»Zuluaga hat zwar gesagt, dass er
die Friedensgespräche im Falle eines
Wahlsieges nicht beenden werde,
aber es würde wohl auf ein langsames
Ende der Friedensverhandlungen
hinauslaufen«, erklärt der Konfliktforscher
Ariel Avila gegenüber
»nd«. «Zuluagas Bedingungen für
Friedensverhandlungen sind der Art,
dass die Guerillas irgendwann sagen
werden: Es reicht.«
Die ELN, mit rund 2000 Kämpfern
die zweitgrößte Rebellengruppe Kolumbiens,
ist heute besonders im
Nordosten an der Grenze zu Venezuela
und in einzelnen Regionen im
Süden des Landes aktiv. Die ELN, die
im Gegensatz zur FARC die Finanzierung
durch die Beteiligung am
Drogenhandel ablehnt, wird von den
USA und der EU auf der Liste terroristischen
Vereinigungen geführt.
Die ersten Treffen zwischen Unterhändlern
beider Seiten hatten bereits
seit 2013 in verschiedenen Ländern
Lateinamerikas stattgefunden,
vor allem in den Nachbarländern
Brasilien und Ecuador.
* Aus: neues deutschland, Donnerstag 12. Juni 2014
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