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Uribe schafft politisches Comeback

Expräsident und Gegner der Friedensverhandlungen mit der FARC-Guerilla zieht mit starker Fraktion in den Senat

Von David Graaff, Bogotá *

Bei den Kongresswahlen in Kolumbien musste die Mitte-Rechts-Regierung Federn lassen. Eine Mehrheit für die Friedensverhandlungen zwischen Regierung und der FARC-Guerilla bleibt aber erhalten.

Alvaro Uribe ist bei den Kongresswahlen in Kolumbien zurück auf die politische Bühne gestürmt. Aus dem Stand holte die Partei des umstrittenen Expräsidenten, Centro Democrático, am Sonntag 19 der 102 Senatssitze und wird damit im Oberhaus des Andenlandes zur größten Oppositionsfraktion. »Wir haben heute gegen den Castro-Chavismus gewählt, den einige auch in Kolumbien einführen wollen«, sagte Uribe am späten Sonntagabend (Ortszeit) vor jubelnden Anhängern in seiner Heimatstadt Medellín.

Uribes Erfolg beruht nicht nur auf einem massiven, auf ihn persönlich zugeschnittenen Wahlkampf, sondern vor allem auf seiner Ablehnung der von der Regierung Santos begonnenen Friedensgespräche mit der FARC-Guerilla. Mit dem vermeintlichen Schreckensszenario, dass führende FARC-Kommandeure im Falle einer Demobilisierung straffrei ausgehen und Sitze im Kongress erhalten könnten, trifft Uribe bei nicht wenigen Kolumbianern auf Zustimmung. Bei anderen ist er allerdings wegen seiner Verbindungen zu paramilitärischen Gruppen und zahlreichen Korruptionsfällen ebenso umstritten wie sein Gefolge, zu dem unter anderen der Vetter des legendären Drogenbarons Pablo Escobar, José Obdulio Gaviria, gehört.

Eine Enttäuschung ist das Wahlergebnis hingegen für Präsident Juan Manuel Santos und seine Mitte-Rechts-Regierung. Zwar behauptete die liberale Drei-Parteien-Koalition in beiden Kammern ihre Mehrheit, büßte aber teilweise mehr als die Hälfte ihrer Stimmen ein. Das Bündnis, bisher mit einer absoluten Mehrheit ausgestattet, muss nun mit mehr Gegenwind von rechts rechnen. Unklar ist die Rolle der Konservativen Partei, die in der aktuellen Legislaturperiode ebenso Teil der Regierungskoalition der »Nationalen Einheit« war und am Sonntag als drittgrößte Fraktion in den Senat einzog. Intern sind die Konservativen zerstritten. Ein Teil will Santos für dessen angestrebte Wiederwahl im Mai unterstützen und den Friedenskurs mittragen, ein anderer Flügel beharrt auf Abgrenzung zum liberalen Staatsoberhaupt und hat eine eigene Kandidatin durchgesetzt.

Enttäuschend endete der Wahltag für die linken Parteien. Das Linksbündnis »Polo Democrático Alternativo« stellt zwar mit Jorge Robledo erneut den Kandidaten mit den landesweit meisten Stimmen und hob mehrere Akteure sozialer Bewegungen in den Kongress, verlor jedoch insgesamt 5 seiner 13 Kongresssitze. »Unsere Fraktion wird weiter ihre Funktion der politischen Kontrolle ausüben und die Proteste auf der Straße begleiten«, sagte die Präsidentschaftskandidatin des »Polo«, Clara Lopez Obregón. Auch die bürgerlich-progressive »Alianza Verde« konnte kaum Stimmenzuwachs verzeichnen. Die Kandidaten der erstmals wieder zugelassenen Linkspartei »Union Patriótica« schafften den Sprung ins Parlament nicht. »Das Wichtigste ist, dass auch im neuen Kongress eine Mehrheit für den Frieden gesichert ist«, sagte der Soziologe Alfredo Molano dem Nachrichtensender TeleSur. Außer den Uribisten und einzelnen Konservativen hat eine große Mehrheit der Parlamentarier bereits angekündigt, im Fall der Fälle für einen Friedensschluss mit der Guerilla zu votieren.

Insgesamt verlief der Wahltag ohne größere Zwischenfälle. Die Wahlbeteiligung lag bei 42 Prozent.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 11. März 2014


Uribe im Aufwind

Parlamentswahl in Kolumbien: Gegner des Friedensprozesses erstarken

Von André Scheer **


Außer den Linken fühlen sich in Kolumbien nach der Parlamentswahl vom vergangenen Sonntag alle als Sieger. Staatschef Juan Manuel Santos jubelte, das Ergebnis sei »ein großer Tag« für die von seiner Sozialen Partei der Nationalen Einheit (PSUN bzw. Partido de la U) geführte Koalition. Es habe sich gezeigt, daß »die große Mehrheit der Kolumbianer den Frieden will«. Tatsächlich haben die Mitte-Rechts-Parteien PSUN, Liberale und Cambio Radical (Radikale Veränderung), die die derzeit in Havanna laufenden Verhandlungen mit der FARC-Guerilla unterstützen, zusammen ihre Mehrheit in beiden Parlamentskammern verteidigen können. Doch für die PSUN wird das Regieren schwieriger, und angesichts der am 25. Mai bevorstehenden Präsidentschaftswahl dürften bei ihr die Alarmglocken schrillen. Im Senat rutschte die Partei von 28 auf 21 Mandate ab, blieb aber immer noch stärkste Kraft. Im Gegensatz dazu mußte sie in der Abgeordnetenkammer elf Mandate abgeben und rutschte hinter den Liberalen auf den zweiten Platz.

Als den eigentlichen Wahlsieger wertet die Tageszeitung El Espectador den früheren Staatschef Álvaro Uribe. Dessen Partei »Demokratisches Zentrum«, die er nach seinem Bruch mit seinem langjährigen Verteidigungsminister und Amtsnachfolger Santos erst im Januar 2013 gegründet hat, schaffte es mit ihrer Agitation gegen den Friedensprozeß gleich in die Spitzengruppe der kolumbianischen Politik. Mit ihrem Slogan »Harte Hand, großes Herz« landete sie mit 19 Senatoren nur knapp hinter der PSUN auf dem zweiten Platz des Oberhauses und wird eine vom Expräsidenten geführte aggressive Oppositionsfraktion bilden. In der zweiten Kammer blieb sie mit zwölf Sitzen etwas schwächer. Vor allem aber konnte Uribes Partei mit ihrer Kampagne gegen die »Vernachlässigung der Sicherheit« und gegen den »Castro-Chavismus« in den Metropolen Bogotá und Medellín stärkste Kraft werden. Ob sich seine Partei jedoch auch bei der Präsidentschaftswahl durchsetzen kann, ist fraglich. Bislang sehen alle Umfragen den »uribistischen« Kandidaten Óscar Iván Zuluaga deutlich hinter Santos, doch der Ausgang der Parlamentswahl dürfte für ihn Rückenwind bedeuten.

Für den Kommentator des aus dem schwedischen Exil arbeitenden kolumbianischen Internetsenders Radio Café Stereo ließ sich das Ergebnis der Abstimmung ganz kurz zusammenfassen: »Dieselben werden dasselbe wie immer machen – die Rechte hat gewonnen.« Denn für die Linken hat sich die Hoffnung nicht erfüllt, aus der Auseinandersetzung zwischen Santos und Uribe als »lachende Dritte« hervorzugehen. Das Linksbündnis Alternativer Demokratischer Pol (PDA) mußte nach internen Auseinandersetzungen Stimmenverluste hinnehmen und erreichte nur noch 3,78 Prozent der Stimmen für den Senat – eine Halbierung des Anteils – und 2,89 Prozent bei der Entscheidung über die Abgeordnetenkammer. Der »Polo« hatte 2012 die Kolumbianische Kommunistische Partei ausgeschlossen, weil sie in deren Unterstützung für das außerparlamentarische Bündnis Marcha Patriótica eine »Doppelmitgliedschaft« sah. Die Kommunisten unterstützten deshalb bei dieser Wahl die Unión Patriótica (UP). Diese verpaßte zwar den Sprung ins Parlament, doch für sie war schon die Teilnahme an der Abstimmung ein wichtiger Erfolg. Sie war ursprünglich 1985 als Ergebnis eines zwischen Regierung und Guerilla ausgehandelten Waffenstillstandes als legale Linkspartei gegründet worden. Doch die UP wurde Ziel eines schmutzigen Krieges von Paramilitärs und Drogenbanden, dem Tausende Mitglieder zum Opfer fielen. Die auf diese Weise physisch fast ausgerottete Organisation löste sich zwar nie auf, wurde jedoch 2002 aus dem Parteienregister gestrichen. Erst im vergangenen Juli konnte sie eine Entscheidung des Staatsrates durchsetzen, der ihr den Status einer Partei wieder zuerkannte.

Generell hat sich die politische Landschaft Kolumbiens mit dieser Wahl weiter zersplittert. Weder bei der Entscheidung über den Senat noch bei der über die Abgeordnetenkammer kam irgendeine Kraft über 16 Prozent hinaus. Die PSUN, die Liberalen, die Konservativen und nun Uribes Partei stellen die führenden Kräfte, doch im Unterhaus sind noch weitere neun, im Oberhaus weitere vier Parteien mit jeweils mindestens einem Abgeordneten vertreten. Hinzu kommen in der Abgeordnetenkammer noch ein Vertreter der Indígenas und zwei Repräsentanten der afrokolumbianischen Bevölkerungsgruppe.

** Aus: junge Welt, Dienstag, 11. März 2014


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