Kolumbiens Präsident lässt Petro fallen
Santos ignoriert Menschenrechtskommission und erklärt Bogotás Bürgermeister für abgesetzt
Von David Graaff, Bogotá *
Der kolumbianische Präsident Juan Manuel Santos hat den Bürgermeister von Bogotá, Gustavo Petro, offiziell für abgesetzt erklärt.
Die Würfel sind gefallen. Bogotás linker Bürgermeister Gustavo Petro muss gehen. Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos lehnte am späten Mittwochabend einen Antrag der Interamerikanischen Menschenrechtskommission (CIDH) ab. Die CIDH hatte verlangt, die im vergangenen Dezember von der Generalstaatsanwaltschaft für Disziplinarfragen beschlossene Amtsenthebung des Hauptstadtbürgermeisters auszusetzen und damit dessen politische Rechte zu garantieren.
In den vorangegangenen Wochen hatten bereits alle höchsten Gerichte des Landes Klagen gegen die umstrittene Entscheidung abgeschmettert, wonach Petro nicht nur seines Amtes enthoben wurde, sondern auch 15 Jahre lang keine öffentlichen Ämter mehr ausüben darf. Hintergrund des Urteils war ein mehrwöchiges Chaos bei der Müllentsorgung Ende 2012, nachdem Petro mehreren privaten Unternehmen die Lizenz entzogen und das System in öffentliche Hand zurückgeführt hatte.
Tausende Anhänger Petros fanden sich noch am Abend auf der Plaza Bolivar in Bogotá ein, um gegen die Entscheidung des Präsidenten zu protestieren.
Vor allem bei den ärmeren Bevölkerungsschichten im Süden der Millionenmetropole hat Petro großen Rückhalt. Straßenverkäufer, Binnenflüchtlinge und viele Kleinunternehmer, die sich dank der Unterstützung Petros zu Kooperativen zusammengeschlossen und wirtschaftlich besser aufgestellt haben, taten ebenso wie viele Studenten und Gewerkschaftsverbände ihren Unmut über die Amtsenthebung des Bürgermeisters kund.
In einer Rede vom Balkon des Rathauses Palacio de Liévano kritisierte Petro selbst das Staatsoberhaupt scharf. »Santos hat gelogen. Er hatte zugesagt, die Entscheidung der Menschenrechtskommission zu respektieren«, schimpfte er. »Sie zu ignorieren, das hat sich zuvor noch kein kolumbianischer Präsident getraut.« Wenige Stunden zuvor hatte Präsident Santos in einer kurzen Ansprache seine Entscheidung unter anderem damit begründet, dass die von der CIDH beantragten Schutzmaßnahmen nicht zwingend umzusetzen seien, sondern lediglich Empfehlungen darstellten und der Bürgermeister zudem Zugang zu allen Rechtsmitteln auf nationaler Ebene gehabt habe. Der Schritt des Präsidenten, einen Antrag des CIDH innerhalb weniger Stunden abzulehnen, ist unter kolumbianischen Juristen umstritten.
Für den 53-jährigen Petro und seine Unterstützer handelt es sich bei der Absetzung um einen Staatsstreich, der von der Hauptstadtoligarchie eingefädelt wurde. Der ehemals beliebteste Senatsabgeordnete Kolumbiens, der mit etwas mehr als einem Drittel der Stimmen ins zweitwichtigste Amt des Landes gewählt worden war, hat die Bevölkerung der Achtmillionenmetropole gespalten. Während Teile der unteren Klassen und der städtischen Mittelschicht die progressive Politik Petros unterstützen, ist er im reichen Norden nicht nur wegen des von ihm erlassenen Verbots von Stierkämpfen unbeliebt bis verhasst. Seine Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsverhältnisse der städtischen Angestellten, die Unterstützung der LGBT-Community (Schwule, Lesben, Bisexuelle und Transgender) oder die nicht immer durchdachten Maßnahmen zur Entlastung des chaotischen Hauptstadtverkehrs trafen einflussreiche Großunternehmen und Moralwächter ins Mark und gaben privaten Fernsehsendern Anlass zu Livereportagen über chaotische Verkehrsverhältnisse, für die Petros Stadtverwaltung nur bedingt Verantwortung trägt.
Hinter teils gewalttätigen Protesten gegen das städtische Bussystem Transmilenio in den vergangenen Wochen vermuteten Petro-Anhänger gar die Opposition, die sich im Zuge des nun hinfälligen Referendums über den Verbleib des Bürgermeisters stärker organisierte. Prominenteste Figur der Hauptstadtopposition ist der Vetter von Staatspräsident Juan Manuel Santos, Francisco »Pacho« Santos. Der für seinen Populismus bekannte Journalist steht dem umstrittenen Expräsidenten und Senatsabgeordneten Álvaro Uribe nahe und gilt bei den bevorstehenden Neuwahlen als einer der aussichtsreichsten Anwärter auf die Nachfolge Petros. Bis zum Urnengang wird Arbeitsminister Rafael Pardo und danach ein Mitglied von Petros Progresista-Partei das Amt kommissarisch übernehmen.
Das Ende des wochenlangen rechtlichen Tauziehens im Fall Petro kommt zu einem politisch brisanten Zeitpunkt. Mitten im Präsidentschaftswahlkampf und während der in Havanna stattfindenden Friedensverhandlungen zwischen der FARC-Guerilla und der kolumbianischen Regierung werten viele Linke die Absetzung des ehemaligen M19-Guerilleros Gustavo Petro als Beispiel dafür, dass es in Kolumbien keine politischen Garantien für linke Politiker gibt.
»Der modus operandi des kolumbianischen Staates ist heute nicht mehr die Vernichtung durch Kugeln und Massaker, sondern der politische Tod«, klagte ein Mitglied der Verhandlungsdelegation der FARC-Guerilla im Gespräch mit »nd«.
Petro forderte am Abend die Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung und rief seine Anhänger zu einem Generalstreik auf. Politisch begibt sich Petro, der eigentlich zum Realo-Flügel der kolumbianischen Linken zählt, damit auf Tuchfühlung mit zahlreichen sozialen Basisorganisationen und der FARC-Guerilla. Die Frage, ob ein Friedensschluss lediglich mit einer Volksabstimmung oder einer neuen Verfassung besiegelt werden soll, ist einer der strittigsten Punkte bei den Verhandlungen in Havanna.
* Aus: neues deutschland, Freitag, 21. März 2014
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