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Störfeuer vom Geheimdienst

Spionageskandal in Kolumbien um die FARC-Guerilla betrifft auch deutsche Medien

Von David Graaff, Bogotá *

Der Spionageskandal rund um die Friedensverhandlungen zwischen der kolumbianischen Regierung und der FARC-Guerilla zieht immer weitere Kreise.

Es ist ein Anschlag auf die Pressefreiheit und auf die Friedensverhandlungen: Wie der US-amerikanische spanischsprachige Nachrichtensender Univision diese Woche meldete, haben Mitarbeiter des kolumbianischen Militärgeheimdienstes offenbar den Mailverkehr zwischen den für die Medienarbeit zuständigen Unterhändlern der FARC-Guerilla in Havanna und internationalen Medienvertretern abgefangen. Unter den betroffenen Journalisten befinden sich nicht nur Mitarbeiter namhafter Nachrichtenagenturen aus aller Welt, sondern auch deutsche Journalisten: André Scheer von der »jungen Welt«, Frederik Obermaier von der »Süddeutschen Zeitung« sowie Mitarbeiter der Deutschen Presse-Agentur waren dem Sender zufolge betroffen. Die mehr als 2600 von den Hackern abgefangenen E-Mails behandelten unter anderem Interviewanfragen und allgemeine Informationen über die Mitglieder der mehrköpfigen Guerilla-Delegation. Vor allem Interviews mit der niederländischen Guerillera Tanja Nijmeijer, mit der das »nd« vor Jahresfrist ein Interview geführt hatte, standen hoch im Kurs.

Journalistenverbände zeigten sich wegen der Enthüllungen besorgt. Der niederländische Journalistenverband NVJ äußerte ebenso Kritik wie der Präsident der kolumbianischen Stiftung für die Pressefreiheit FLIP, Ignacio Gómez. Diese Abhörpraktiken würden fundamentale Werte der journalistischen Arbeit angreifen, sagte Gómez diese Woche bei der Vorstellung des Jahresberichts der Organisation. Laut der FLIP wurden 2013 zwei Journalisten in Kolumbien ermordet, ein Reporter entkam nur knapp einem Mordanschlag, nachdem er kritisch über laxe Haftbedingungen verurteilter Armeeangehöriger in einem Militärgefängnis berichtet hatte.

Mit den neuesten Enthüllungen erreicht der Spionageskandal rund um die seit Ende 2012 in der kubanischen Hauptstadt Havanna stattfindenden Friedensgespräche zwischen der FARC-Guerilla und der Regierung von Juan Manuel Santos eine neue Dimension. Bereits vergangene Woche hatte das kolumbianische Nachrichtenmagazin »Semana« über die Operation »Andromeda« berichtet. Die Enthüllungen lesen sich wie ein schlechter Spionage-Thriller: Hinter der Fassade eines einfachen Restaurants im Westen der Hauptstadt Bogotá sollen Mitarbeiter des Militärgeheimdienstes CITEC gemeinsam mit von ihnen bei einer Computermesse angeworbenen Hackern nicht nur Telefongespräche, Chats und E-Mails von linken Oppositionspolitikern und Nichtregierungsorganisationen angezapft haben, auch die Kommunikation hochrangiger Regierungsvertreter, die im Auftrag von Staatschef Juan Manuel Santos die Gespräche mit der FARC führen, wurden mitgehört. Das Honorar der meist jungen Hacker belief sich, so »Semana«, auf gerade einmal 500 000 Pesos, rund 200 Euro.

In einer am Mittwoch veröffentlichten gemeinsamen Mitteilung der Guerilla-Kommandanten Rodrigo Echeverri (FARC) und Nicolás Bautista (ELN) hieß es, die geheimdienstlichen Maßnahmen durch den Staat hätten Tradition und würden den Prozess des Friedens und der Versöhnung gefährden.

Die FARC-Delegation in Havanna teilte mit, die Enthüllungen zeigten, dass Teile des Militärs nicht hinter dem von der Regierung eingeschlagenen Friedenskurs stünden. Zudem kritisierte FARC die Reaktion von Präsident Santos auf den Skandal.

Das Staatsoberhaupt hatte das Vorgehen des Militärs zunächst verurteilt, mehrere hochrangige Militärs wurden von ihren Aufgaben entbunden. Wenige Tage später jedoch vollzog die Regierung eine Drehung um 180 Grad: Das Abhörzentrum sei ebenso wie die Überwachung der Kommunikation legal gewesen. In einer Anhörung in der zuständigen Parlamentskommission versprach Verteidigungsminister Juan Carlos Pinzón vollständige Aufklärung. Man wolle zunächst die Ergebnisse der armeeinternen Untersuchungen und der staatsanwaltlichen Ermittlungen abwarten. Mehrere Oppositionspolitiker verließen aus Protest gegen die aus ihrer Sicht wenig zufriedenstellenden Antworten der Regierung noch vor dem Ende der Sitzung den Saal. Kritiker bezweifeln, dass tatsächlich alle Abhöraktionen gesetzlich gedeckt waren.

Ähnlich hatte die Regierung 2009 auch auf einen anderen Geheimdienstskandal unter Santos' Vorgänger Álvaro Uribe reagiert. Damals hatte »Semana« aufgedeckt, dass der mittlerweile aufgelöste Geheimdienst DAS Richter und Behörden, aber auch Oppositionspolitiker und Menschenrechtsaktivisten in Kolumbien und Europa bespitzelt hatte. Die Anweisung dazu sollen damals direkt aus dem Präsidentenpalast gekommen sein.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 14. Februar 2014


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