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Historischer Dialog von Opfern und Tätern

Kolumbianische Friedensgespräche zwischen FARC-Guerilla und Regierung gehen in die entscheidende Phase

Von David Graaff, Bogotá *

Der Friedensprozess in Kolumbien geht in die schwierigste Phase. Am Samstag traf sich eine Gruppe der Opfer des 50-jährigen Konfliktes mit den Delegationen der FARC-Guerilla und der Regierung.

Das Treffen im kubanischen Havanna begann mit einer Schweigeminute für die Opfer des bewaffneten Konfliktes. Dieser hat seit Ende der 1950er Jahre laut Schätzungen mehr als 200 000 Todesopfer gefordert. Die Zahl der Vertriebenen, Verschwundenen und Verletzten geht in die Millionen. Täter: Die FARC-Rebellen, Paramilitärs und Militärangehörige.

Die ersten zwölf von insgesamt 60 Opfervertretern des Konflikts konnten nun am Verhandlungstisch über ihre Leidensgeschichte berichten und einen Beitrag zur emotionalen Überwindung des Konfliktes leisten.

»Ivan Marquez ist auf mich zugekommen und hat mich um Entschuldigung gebeten. Und es war keine automatisierte Entschuldigung«, sagte Constanza Turbay nach dem sechsstündigen Treffen, das unter Ausschluss der Öffentlichkeit und im Beisein von Vertretern der Vereinten Nationen und der katholischen Kirche des Landes stattfand. Ende der 90er Jahre töteten die FARC zwei ihrer Brüder und ihre Mutter.

Die Vereinten Nationen bezeichneten das direkte Treffen zwischen Opfern und Tätern im Rahmen eines Friedensprozesses als historisch. Todd Howland, UN-Menschenrechtsbeauftragter für Kolumbien, sagte dem Fernsehsender Caracol, es sei weltweit einzigartig.

Mit der Anhörung der Opfer des Konfliktes beginnt die entscheidende Phase der seit Ende 2012 laufenden Friedensgespräche. Über eine Reform der Agrarpolitik, die politische Teilhabe und die Bekämpfung des Drogenhandels haben sich beide Seiten bereits auf dem Papier verständigt. Doch die Fragen nach den während des Konflikts begangenen Menschenrechtsverbrechen durch Guerilla, Paramilitärs sowie Angehörige der Streitkräfte und eine möglich Amnestie für die Rebellen sind die schwierigsten. Denn es geht um die Versöhnung in einer Gesellschaft, in der Waffengewalt bis heute gängiges Mittel zur Durchsetzung politischer und wirtschaftlicher Interessen ist.

Die Guerilla entführte, exekutierte und zwangsrekrutierte, die Paramilitärs vernichteten ganze Dörfer einschließlich ihrer Bewohner. Soldaten töteten gezielt unschuldige Zivilisten, steckten sie in Uniformen und präsentierten sie später als im Gefecht gefallene Guerilleros, um Prämien zu kassieren.

Eine Wahrheitskommission, die im Fall eines Friedensschlusses eingerichtet werden soll, steht vor einer gewaltigen Aufgabe. Denn, so betonen es Vertreter von Menschenrechtsorganisationen und der Kirche, ohne angemessene Berücksichtigung der Opfer und gesellschaftliche Versöhnung kann es keinen nachhaltigen Frieden im Land geben. Das Treffen in Havanna sei von großem gegenseitigem Respekt geprägt gewesen, berichteten die Teilnehmer.

Doch die vergangenen Wochen hatten gezeigt, wie viel Sprengstoff das Thema birgt. Auf den von den Vereinten Nationen, der Nationaluniversität und der Kirche organisierten Foren zur Vorbereitung der Reise der Opfervertreter nach Havanna war es zu teils tumultartigen Szenen gekommen. Auch Medien und Politik debattierten hitzig, welche Opfer an den Verhandlungen in Havanna teilnehmen sollten.

Die Geschädigten der Guerilla beklagten, bei der Auswahl der insgesamt 60-köpfigen Delegation nicht ausreichend berücksichtigt worden zu sein. Auch die Opposition um Expräsident Álvaro Uribe hätte es durchaus lieber gesehen, wenn lediglich die Verbrechen der FARC Gegenstand der Verhandlungen gewesen wären und nicht auch, wie in Havanna beschlossen, die Opfer des Paramilitarismus und staatlicher Sicherheitskräfte. Aus Sicherheitsgründen wurde die Liste der ersten 12 der insgesamt 60 Delegierten erst kurz vor deren Abflug bekannt gegeben. Die restlichen Namen bleiben jeweils bis kurz vor den weiteren Zusammenkünften geheim, die nun in den kommenden Tagen stattfinden werden.

Die Diskussion um die Taten der Guerilla spiegelt die zwiespältige Haltung der kolumbianischen Bevölkerung gegenüber den Verhandlungen wider. Laut Umfragen befürworten die meisten Kolumbianer eine friedliche Lösung des Konfliktes, sind aber nicht bereit, der FARC Zugeständnisse wie eine Amnestie oder politische Beteiligung zu machen. Doch eine Studie der Andenuniversität zeigt Interessantes: Die Bereitschaft zur Versöhnung ist in jenen Landesteilen geringer, die kaum von Kampfhandlungen betroffen sind. Die Menschen hingegen, die in Konfliktzonen leben, sind eher bereit, den Tätern zu vergeben.

* Aus: neues deutschland, Montag 18. August 2014


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