Ein regelrechter Krieg
Beschäftigte von Coca-Cola in Kolumbien kämpfen für einen Tarifvertrag. Ihre Proteste werden gewaltsam aufgelöst. Gewerkschaftsvertreter bedroht
Von Clemens Wagner *
Eine Mindestabsicherung durch einen Tarifvertrag – auch für viele Beschäftigte in Deutschland und Europa ist dies immer noch nicht die Realität und Anlaß von Auseinandersetzungen mit Unternehmensleitungen. In Kolumbien müssen diese Kämpfe ungleich heftiger geführt werden und für die Aktivisten und Gewerkschafter bedeuten sie ein hohes Risiko – unter Umständen wird ihr Leben oder das ihrer Familien bedroht. Eine solcher Kampf wurde Mitte vergangenen Monats – mal wieder – in einem Werk des Getränkeherstellers Coca-Cola geführt. Am 13. und 14. März forderten Mitarbeiter einer Abfüllanlage des Unternehmens im nordkolumbianischen Baranquilla vor den Werkstoren die Einhaltung ihrer Rechte und daß diese endlich vertraglich festgehalten werden. Nach Angaben der kolumbianischen Gewerkschaft Sinaltrail (Nahrungsmittelgewerkschaft) wurde der Protest von der örtlichen Polizei gewaltsam aufgelöst.
Bereits im Januar übergab die Gewerkschaft dem Unternehmen ihre Forderungen. Seitdem fanden keinerlei Gespräche zwischen Unternehmensleitung und der Arbeitervertretung statt. Die Beschäftigten dringen darauf, daß ihnen angemessene Löhne gezahlt werden und die Firmenleitung diese nicht nach Gutdünken festsetzt, kürzt oder komplett einbehält, wie es nach Angaben der Gewerkschaft bis jetzt üblich ist. Außerdem verlangen sie eine Beachtung der Rechte von kranken Mitarbeitern. Des weiteren kämpft Sinaltrail gegen die gewerkschaftsfeindlichen Umtriebe des Unternehmens: Mehr als 100 Beschäftigte eines ausgelagerten Betriebsbereichs sind gefeuert worden, nachdem sie sich gewerkschaftlich organisiert hatten. Ebenso haben Gewerkschaftsführer ihre Anstellung im Mutterunternehmen verloren. Diese sollen ihre Jobs zurückerhalten.
Angriffe gegen Mitglieder der Gewerkschaft gehören für die Aktiven der Sinaltrail zum Alltag. In einem offenen Brief baten sie am vergangenen Mittwoch um Hilfe: »Wir fürchten um das Leben unserer Gewerkschafter. Bitte senden Sie Protestbriefe an Coca-Cola. Das Unternehmen führt einen regelrechten Krieg gegen uns.« Die Arbeitervertretung berichtet, daß sie in den vergangenen Kämpfen mit Terror überzogen wurde, der darin gipfelte, daß elf Gewerkschaftsaktive Opfer eines Mordanschlags wurden. Der Sinaltrailvorsitzende William Mendoza schilderte, daß mitten am Tag seine vierjährige Tochter in ein Auto gezerrt wurde. Das Eingreifen seiner Ehefrau konnte die Entführung verhindern. Nun hat er sich entschlossen, seine Familie in einer anderen Stadt unterzubringen. Trotzdem gibt er seine Gewerkschaftsarbeit nicht auf: »Wir haben keine andere Wahl, als den Kampf fortzusetzen. Wir müssen unsere Familien und Kinder schützen, aber der Kampf ist unser Bruder.«
Auch der Gewerkschafter Juan Carlos Galvis erlebte vor einigen Jahren Einschüchterungen. Auch in seinem Fall wurden seine Ehefrau und sein Kind bedroht, um den Arbeitervertreter gefügig zu machen. Doch auch er bleibt couragiert: »Wenn wir diesen Kampf gegen das Unternehmen verlieren, verlieren wir zuerst unsere Gewerkschaft, dann unsere Jobs und zuletzt unser Leben.« In der aktuellen Auseinandersetzung berichten die Aktivisten nicht nur von der Polizeiattacke, sondern auch von einer anderen Episode, die sie eine Eskalation der Geschehnisse befürchten läßt: Mitarbeiter mit Zugang zu den Büros der Unternehmensleitung sollen dort Fotos der aktiven Gewerkschafter auf dem Kopierer gefunden haben. Mendoza kommentierte den Fund: »Wir machen uns große Sorgen, wofür diese Bilder genutzt werden. Wir fürchten um unser Leben und unsere Sicherheit.«
Deshalb erbittet Sinaltrail sich nun Hilfe von außen. Die Gewerkschaft hat zusammen mit einem Arbeiterrat aus Kalifornien (USA) einen Protestbrief an das Unternehmen verfaßt und fordert Einzelpersonen und Organisationen auf, diesen an Verantwortliche der Firma zu schicken: »Bringen Sie das Unternehmen dazu, die Gespräche mit gutem Willen zu führen und friedlich einen ordentlichen Tarifvertrag mit den Beschäftigten auszuhandeln.« Außerdem fordern sie in dem Schreiben Coca-Cola auf, Verantwortung für das Leben und die körperliche Unversehrtheit ihrer Arbeiter zu übernehmen. Sonst, so der Wortlaut, »werde ich das Verhalten von Coca-Cola öffentlich machen: bei meinen Freunden, in meiner Gewerkschaft, meiner Kirchengemeinde und meiner Nachbarschaft«.
Vorlage des Protestbriefs von Sinaltrail an Coca-Cola:
Brief [externer Link]
* Aus: junge Welt, Dienstag, 1. April 2014
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