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Kolumbiens Rechte jubelt erneut

Juan Manuel Santos mit Rekordergebnis neuer Präsident

Von Gerhard Dilger, Porto Alegre *

Mit überwältigender Mehrheit bei allerdings sehr geringer Wahlbeteiligung (44 Prozent) ist der rechte Regierungskandidat Juan Manuel Santos zum kolumbianischen Präsidenten gewählt worden. In der Stichwahl am Sonntag setzte sich der 58-Jährige mit gut 69 Prozent der gültigen Stimmen gegen den Grünen Antanas Mockus durch, der nur auf 27,5 Prozent kam. 3,4 Prozent wählten »weiß«, also gezielt gegen beide Kandidaten.

In seiner Siegesrede dankte Santos (Foto: AFP) dem amtierenden Präsidenten Álvaro Uribe, dem er von 2006 bis 2009 als Verteidigungsminister diente. Die Kolumbianer hätten dafür gestimmt, Uribes Programm fortzusetzen, sagte der Ex-Liberale, der 2005 für den Staatschef die U-Partei gegründet hat. Von seinem Aufruf zu »nationaler Einheit« und für ein »Ende des Hasses« nahm er die »Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens« (FARC) allerdings aus. Wenn die Aufständischen weiterhin »terroristische Methoden« anwendeten, werde es keine Friedensgespräche geben, kündigte Santos vor 5000 jubelnden Anhängern an. Die Rebellen sollten ihre Geiseln ohne Vorbedingungen freilassen. Uribe verdankt seine hohe Popularität vor allem einem harten Kurs gegen die Guerilla.

In einer vorsichtigen Distanzierung zu Uribe, der im Dauerstreit mit kritischen Richtern und Staatsanwälten liegt, stellte Santos mehr Harmonie zwischen Regierung und Justiz sowie eine Verbesserung der Beziehungen zu den Nachbarländern Venezuela und Ecuador in Aussicht. »Diplomatie wird das Kennzeichen unserer Außenpolitik sein«, versprach der Wahlsieger, der am 7. August vereidigt wird. Nicht nur deswegen spekulieren Beobachter auf einen sanften Schwenk zur Mitte. Anders als der scheidende Staatschef ist Santos kein Überzeugungstäter, sondern ein wendiger Stratege, der in den 1990er Jahren mit Tony Blairs »Drittem Weg« liebäugelte. Er ist auch nicht Uribes Wunschkandidat – der heißt Felipe Arias, war aber bei den Vorwahlen der Konservativen Partei unterlegen. Der neue Staatschef ist ein typischer Vertreter der Bogotaner Oberschicht, aus der Uribe, ein autokratischer Großgrundbesitzer aus der Provinz Antioquia, schon länger Gegenwind erhält.

Ob Santos aber tatsächlich den arg gebeutelten Rechtsstaat stärken will, wie die populärste Forderung seines grünen Kontrahenten lautete, bleibt abzuwarten. Dies würde nämlich ein resolutes Vorgehen gegen Paramilitärs und die Drogenmafia einschließen, die vielfach mit der kolumbianischen Oligarchie und auch der U-Partei verbandelt sind. Antanas Mockus erklärte, die grüne Partei habe sich als zweitgrößte politische Kraft in Kolumbien etabliert, bei den Kommunal- und Regionalwahlen 2011 wolle man diesen Prozess fortsetzen. Mitte Mai hatte der frühere Bürgermeister Bogotás in Umfragen gleichauf mit Santos gelegen, war jedoch im ersten Wahlgang am 30. Mai deutlich eingebrochen und lehnte für die Stichwahl ein Bündnis mit dem linken »Alternativen Demokratischen Pol« ab.

Die seit 1964 aktive FARC-Guerilla hatte zu einem Wahlboykott aufgerufen. Am Wahlwochenende starben bei Anschlägen und Kämpfen mindestens 17 Menschen, darunter 4 Soldaten und 6 FARC-Kämpfer. Sieben Polizisten wurden in einem Hinterhalt des »Heers zur nationalen Befreiung« (ELN) in der Grenzregion mit Venezuela getötet.

* Aus: Neues Deutschland, 22. Juni 2010


Treuloser Staatschef

Juan Manuel Santos gewinnt Präsidentschaftswahl in Kolumbien. Spekulationen über künftigen Kurs

Von Nelly Castro **


Juan Manuel Santos wird neuer Präsident Kolumbiens. Der Kandidat der Regierungspartei »de la U« gewann am Sonntag die Stichwahl in dem südamerikanischen Land mit 69 Prozent der abgegebenen Stimmen. Getrübt wurde dieses scheinbar überzeugende Ergebnis allerdings durch die geringe Wahlbeteiligung von nur 45 Prozent. Auch der Tag der Abstimmung verlief nicht so ruhig, wie es die Regierung glauben machen wollte. Gefechte mit der Guerilla forderten 17 Todesopfer, im Departamento Norte de Santander wurden Wahlurnen verbrannt.

Santos' Sieg über Antanas Mockus von der Grünen Partei, der 27,5 Prozent erreichte, kam zuletzt nicht mehr überraschend. Dem Sproß einer traditionellen Oberschichtfamilie, der die größte Tageszeitung Kolumbiens gehört, war es mit Hilfe von Juan José Rendón schon im ersten Wahlgang gelungen, sich als klarer Favorit zu profilieren. Rendón, ein Venezolaner und überzeugter Chávez-Gegner, ist in Lateinamerika für seine Schmutzkampagnen bekannt, hatte im vergangenen Jahr auch schon den Wahlkampf von Porfirio Lobo in Honduras gemanagt und ist bereits seit 2006 Berater von Álvaro Uribes Regierung. Unter seiner Diffamierungskampagne habe auch Mockus' ursprüngliche Popularität sehr gelitten, kommentierte das Onlinemagazin La Silla Vacía.

Offenbar spielte auch der Mißbrauch des Sozialprogramms »Familias en Acción« (Familien in Aktion) eine entscheidende Rolle für den Wahlausgang, berichteten unabhängige Beobachter. In den letzten Jahren seien die Hilfsempfänger genötigt worden, den Kandidaten der Regierungskoalition zu unterstützen, kritisierte beispielsweise die Nichtregierungsorganisation »Global Exchange«. Offiziell stritt Santos ab, daß solche Erpressungen Teil seiner Kampagne gewesen seien. In einer statistischen Studie, die La Silla Vacía veröffentlichte, fiel jedoch auf, daß schon im ersten Wahlgang Santos höhere Stimmenanteile in den Regionen erzielte, in denen »Familias en Acción« stärker verbreitet ist.

Obwohl sich Santos im Wahlkampf als Garant für die Fortführung von Uribes Politik präsentierte, diskutieren kolumbianische Analysten seine Loyalität gegenüber seinem Mentor. So vermutet der bekannte Journalist Felipe Zuleta, daß Santos der erste wäre, der Uribe den internationalen Gerichtshöfen ausliefern würde. Solche Vermutungen stützen sich auf die Treulosigkeit, die der künftige Präsident bislang in seiner politischen Karriere an den Tag legte. So soll Santos 1997 Hilfe bei den Paramilitärs gesucht haben, um seinen Parteifreund, den damaligen Staatspräsidenten Ernesto Samper, zu stürzen. Das sagte der in den USA inhaftierte Kommandeur der paramilitärischen AUC, Salvatore Mancuso, aus. Santos' bis dahin heftige Kritik an Sampers Amtsnachfolger Andrés Pastrana verstummte sofort, als dieser ihn im Jahr 2000 als Finanzminister in sein Kabinett berief. Und erst in Uribes drittem Regierungsjahr verließ er seine bisherige politische Heimat, die Liberale Partei, um sich Uribes »de la U« anzuschließen, die dieser vor seiner Wahl zum Staatschef 2002 gegründet hatte.

Der Regierungsanhänger Alfredo Rangel hingegen glaubt, daß Santos tatsächlich konsequent dieselbe Politik wie Uribe verfolgen werde, wenn auch mit einem diplomatischeren Stil. »Jetzt ist die Zeit der Eintracht«, hatte Santos schon bei seiner Siegesrede am Sonntag gesagt und sich damit vorsichtig von der aggressiven Art Uribes distanziert. Klar ist allerdings, daß der gewählte Präsident den Krieg gegen die Guerilla kompromißlos fortsetzen will. In seiner Amtszeit als Uribes Verteidigungsminister zwischen 2006 und 2009 führte der Druck, Ergebnisse zu liefern, zu schwersten Menschenrechtsverletzungen. Die Armee verschleppte und ermordete über tausend junge Zivilisten, um sie dann als »Subversive« zu präsentieren, die bei Kämpfen getötet worden seien. Trotz versöhnlicher Worte an die Nachbarländer am Wahlabend ist auch zweifelhaft, ob Santos künftig einen Ausgleich mit deren linksorientierten Regierungen anstreben wird. Bisher verteidigte er strikt die US-Militärbasen auf kolumbianischem Boden als notwendig. 2002 unterstützte er wie die USA den Putsch gegen den venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez und ließ im März 2008 ein Lager der Guerilla in Ecuador bombardieren und FARC-Sprecher Raúl Reyes ermorden. In seine Verantwortung fiel auch der Mißbrauch der Symbole des Internationalen Roten Kreuzes und des lateinamerikanischen Fernsehsenders TeleSur bei einer Geheimdienstoperation im Juli 2008, bei der die frühere Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt und drei US-Söldner aus der Gewalt der Guerilla befreit wurden.

** Aus: junge Welt, 22. Juni 2010


Der Kriegstreiber

Kolumbien hat gewählt

Von André Scheer ***


Illusionen über den neuen Staatschef von Kolumbien zu haben, könnte lebensgefährlich sein. Juan Manuel Santos hat in der Vergangenheit immer wieder gezeigt, daß er bereit ist, buchstäblich über Leichen zu gehen, um seine Ziele zu erreichen. Er war der Einpeitscher und Kriegstreiber in der Regierung, während der scheidende Präsident Álvaro Uribe zumindest gelegentlich Sinn für die Realitäten zeigte. Unter Santos als Verteidigungsminister überfielen kolumbianische Truppen am 1. März 2008 ein Lager der FARC-Guerilla auf dem Staatsgebiet Ecuadors. Opfer dieses Angriffs, der Südamerika an den Rand eines Krieges brachte, wurden nicht nur der Comandante Raúl Reyes und andere Mitglieder der FARC, sondern auch mehrere mexikanische Studenten, die sich nach einem internationalen Treffen der bolivarischen Bewegung in Quito zu dem Lager begeben hatten, um sich aus erster Hand über die Positionen der Guerilla zu informieren.

Ebenso verletzte Santos einige Monate später das in internationalen Verträgen festgelegte Verbot, Symbole des Roten Kreuzes zu mißbrauchen. Bei einer Geheimdienstoperation zur Befreiung von Ingrid Betancourt, mehreren Soldaten und US-Söldnern aus der Hand der Guerilla wurden die eingesetzten Hubschrauber mit Symbolen der Hilfsorganisation ausgestattet, um die Guerilleros zu täuschen. Damit entzog Santos jeder humanitären Vermittlungsrolle des Roten Kreuzes ganz bewußt den Boden.

Ein Kurswechsel ist nicht zu erwarten. Santos' Losung ist die »nationale Einheit«. Für ihn heißt das: Wer nicht mit mir übereinstimmt, ist ein Feind. Das war schon bisher Regierungspolitik: Allein seit Jahresanfang wurden in Kolumbien 31 Gewerkschafter ermordet. Den perfekten Beziehungen zwischen Bogotá und Berlin tut das jedoch keinen Abbruch. Deutschland ist der größte Handelspartner des südamerikanischen Landes in der EU. Menschenrechtsfragen werden nur ganz am Rande angesprochen, auf der Homepage des Auswärtigen Amts brüstet man sich: »Kolumbien weiß die zwar kritische, aber ausgewogene Haltung Deutschlands in der für das Land schwierigen Menschenrechtsdiskussion zu schätzen.«

Dabei bräuchte Kolumbien dringend ein Umsteuern. Großgrundbesitz, Vertreibungen, die fehlende Entwicklung in den ländlichen Regionen, illegale Machenschaften von Regierung und Streitkräften wie die Morde an unschuldigen Jugendlichen, damit das Militär »gefallene Guerilleros« präsentieren konnte - aus solchen Bedingungen entstehen Aufständische. Solange dies nicht überwunden wird, wird auch die Guerilla nicht besiegt werden können, schon gar nicht militärisch. Aber auch in Kolumbien gibt es Kräfte, die am Krieg gut verdienen: Militärs, Rüstungskonzerne, Waffenhändler, außerdem die Drogenmafia und das organisierte Verbrechen, die in einem Klima allgemeiner Gewalt ungehindert ihre »Geschäfte« machen können. Mit Juan Manuel Santos hat ihr Favorit gewonnen.

*** Aus: junge Welt, 22. Juni 2010 (Kommentar)


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