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Gefährliche Entgleisung

Kolumbiens Präsident Santos empfängt Venezuelas Oppositionsführer Capriles

Von André Scheer *

Als »Zeitbombe« hat Venezuelas Parlamentspräsident Diosdado Cabello ein Treffen des kolumbianischen Präsidenten Juan Manuel Santos mit dem venezolanischen Oppositionsführer Henrique Capriles Radonski bezeichnet. Santos hatte den bei der Präsidentschaftswahl am 14. April unterlegenen Kandidaten am Mittwoch (Ortszeit) zu einer »privaten Unterredung« in der Casa de Nariño, dem Regierungssitz in Bogotá, empfangen. Auf der Homepage wurde ein offizielles Foto der herzlichen Begrüßung zwischen den beiden Politikern veröffentlicht, nähere Informationen verbreitete die Pressestelle jedoch nicht. Der venezolanischen Oppositionszeitung El Universal zufolge dauerte die Unterredung, an der auch Kolumbiens Außenministerin María Ángela Holguín teilnahm, rund eine Stunde. Anschließend wurde Capriles im Parlamentsgebäude von Senatspräsident Roy Barreras und dem Präsidenten der Abgeordnetenkammer, Augusto Posada, empfangen.

Zeitgleich demonstrierten Hunderte Menschen vor dem Regierungssitz gegen den Empfang des Venezolaners. Dieser sei nicht nur ein einfacher Bürger des Nachbarlandes, sondern ein »Mörder«, der verhaftet werden müsse, erklärten Demonstranten gegenüber Reportern des lateinamerikanischen Fernsehsenders TeleSur und verwiesen auf mindestens elf Menschen, die bei Ausschreitungen von Oppositionsanhängern nach der Wahl getötet worden waren.

In Caracas wurde der Empfang Capriles’ durch Santos ebenfalls als Provokation aufgefaßt. Außenminister Elías Jaua sprach von einer »Entgleisung« und kündigte an, man müsse Venezuelas Unterstützung für die Friedensverhandlungen zwischen Bogotá und der FARC-Guerilla überprüfen. »Es ist sehr schwierig, für den Frieden eines Brudervolkes zu arbeiten, wenn von den höchsten Machtinstanzen Kolumbiens aus die Destabilisierung in Venezuela unterstützt und ermutigt wird«, erklärte Jaua und rief seinen Vertreter bei den Friedensverhandlungen in Havanna, Roy Chaderton, zu Konsultationen nach Caracas zurück.

»Der faschistische Mörder Capriles reist nach Kolumbien, um Befehle von seinem Chef, dem Paramilitär Uribe, entgegenzunehmen«, schrieb Parlamentspräsident Cabello in einer Internetnachricht. Eigentlicher Zweck der Unterredung mit Santos sei gewesen, von einem Treffen Capriles’ mit dem früheren kolumbianischen Präsidenten Álvaro Uribe und dem Politstrategen Juan José Rendón, der Capriles’ Wahlkampf geplant hatte und von Cabello als »Spezialist für schwarze Propaganda« bezeichnet wurde, zu treffen. Capriles dementierte das.

Die Beziehungen zwischen Venezuela und Kolumbien hatten sich nach dem Amtsantritt von Santos 2010 deutlich verbessert, nachdem unter dessen Vorgänger Uribe zeitweilig sogar ein Krieg zwischen beiden Staaten gedroht hatte. Im April hatte sich Santos zunächst den Unmut Capriles’ zugezogen, als er wie praktisch alle anderen Staatschefs der Region die Wahl von Nicolás Maduro zum Präsidenten Venezuelas anerkannte und auch an dessen Amtseinführung am 19. April teilnahm.

Bogotá bemühte sich zunächst um Schadensbegrenzung. Man werde die Angelegenheit mit der Regierung Venezuelas »direkt und ohne Mikrofone« klären, kündigte Außenministerin Holguín an.

* Aus: junge Welt, Freitag, 31. Mai 2013


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