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Kolumbien und Venezuela intensivieren Beziehungen. Lehrauftrag für Expräsident Uribe an US-Universität

Von André Scheer *

Studierende der Universität von Georgetown haben am Dienstag (Ortszeit) den früheren kolumbianischen Staatschef Álvaro Uribe beim US-Justizministerium angezeigt. Es gäbe »Tausende dokumentierter Fälle« über außergerichtliche Hinrichtungen durch Paramilitärs und Angehörige der regulären Streitkräfte während der acht Regierungsjahre Uribes, dessen Amtszeit im August endete. Mit ihrer Anzeige reagierten die Mitglieder der Gruppe »Adiós Uribe« auf den Aufruf einer Abteilung des Justizministeriums in Washington. Diese hatte darum gebeten, Informationen über Menschenrechtsverletzer zu erhalten, die in die USA einreisen. Das ist bei Uribe der Fall, denn der Expräsident hat seit Anfang September einen Lehrauftrag in Georgetown erhalten. »Uribe sollte vor Gericht gestellt werden, anstatt eine Plattform zu erhalten«, sagte dazu die Jurastudentin Charity Ryerson.

Während sich Uribe akademischer Weihen freut, ist man in seinem Heimatland dabei, die Trümmer seiner Amtszeit beiseite zu räumen. Uribes Nachfolger Juan Manuel Santos traf am Dienstag in Caracas ein, um mit Venezuelas Präsident Hugo Chávez die Beziehungen zwischen beiden Ländern weiter zu normalisieren. Chávez hatte im Juli die diplomatischen und Handelsbeziehungen mit Kolumbien abgebrochen, nachdem Uribe die letzten Tage seiner Amtszeit dazu genutzt hatte, Caracas mit Hilfe fragwürdiger Dokumente vorzuwerfen, Guerilleros der FARC und der ELN Unterschlupf in Venezuela zu gewähren.

Nun unterzeichneten Santos und Chávez eine nach dem Präsidentenpalast in Caracas benannte »Erklärung von Miraflores«, in der zahlreiche konkrete Schritte festgelegt sind, um die Beziehungen wieder zu intensivieren. Dazu gehören kulturelle Initiativen wie die Gründung binationaler Kinder- und Jugendorchester in der Grenzregion, Infrastrukturprojekte wie die Einrichtung neuer Grenzübergänge oder auch eine intensivierte Zusammenarbeit bei der Gas- und Ölförderung. Die beiden Staatschefs wollen sich außerdem künftig alle drei Monate zu treffen, um nicht nur die Entwicklung der jetzt vereinbarten Projekte zu analysieren, sondern auch weitere Initiativen zu diskutieren, die noch »reifen« müßten, wie Santos formulierte. »Wir haben große Projekte vor, die wir umsetzen werden, denn unsere Beziehung hat sehr gut begonnen, und wir sind entschlossen, daß uns niemand von diesem Weg abbringen wird«, erklärte der kolumbianische Staatschef.

Kritische Themen, die in der Vergangenheit immer wieder die bilateralen Beziehungen belastet hatten, wurden aus den Gesprächen ausgespart. So spielte die angebliche Unterstützung Venezuelas für die kolumbianische Guerilla offenbar keine Rolle. Dabei war genau dies in den vergangenen Wochen wieder zu einem in der venezolanischen und internationalen Presse aufgegriffenen Thema geworden, nachdem die spanische Regierung dem süd­amerikanischen Land vorgeworfen hatte, daß dort Aktivisten der FARC und der baskischen ETA militärisch ausgebildet worden seien. Madrid hatte die Auslieferung des seit 1989 in Venezuela lebenden und mittlerweile die venezolanische Staatsangehörigkeit besitzenden Arturo Cubillas gefordert, dem die spanische Regierung vorwirft, Übungen für baskische Untergrundaktivisten organisiert zu haben. Ein offizieller Auslieferungsantrag aus Spanien ist bei den venezolanischen Behörden jedoch nie eingegangen, wie Generalstaatsanwältin Luisa Ortega in der vergangenen Woche gegenüber Pressevertretern unterstrich. Am gestrigen Mittwoch sollte Cubillas bei ihrer Behörde als Zeuge aussagen. Dabei ging es jedoch nur indirekt um die Vorwürfe aus Madrid, denn Cubillas selbst hat wegen Verleumdung Anzeige erstattet, weil die von unzähligen Medien aufgegriffene Behauptung, er habe ETA- und FARC-Aktivisten ausgebildet, seine Ehre verletze.

* Aus: junge Welt, 4. November 2010


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