Amerikas Krieg und Kolumbiens Friede
Ein Kommentar aus der NZZ
Bei seiner Stippvisite im Karibikstädtchen Cartagena hat Präsident Clinton diese Woche die Beteuerungen der kolumbianischen Regierung
sekundiert, dass der «Plan Colombia» ein Plan des Friedens und nicht des Krieges sei. Politische Verhandlungen - und nicht eine
militärische Lösung -, so versichert Präsident Andrés Pastrana seit Mona ten unermüdlich, seien die zentrale Strategie. Einen leichten Stand
haben die beiden Präsidenten mit diesem Argument nicht. Der amerikanische Beitrag an den Dreijahrplan, von dem sich Washington eine
nachhaltige Reduktion der Drogenproduktion verspricht, ist auf eine Aufrüstung der kolumbianischen Streitkräfte ausgerichtet. Die
Militärhilfe absorbiert vier Fünftel der 1,3 Milliarden Dollar aus den USA und ist einstweilen das stärkste Standbein des Plans, dessen
Kosten von Bogotá auf insgesamt 7,5 Milliarden Dollar veranschlagt werden.
Im komplexen, seit über vierzig Jahren dauernden Bürgerkrieg des Landes ist die Drogenproduktion nur einer der Faktoren, ein relativ
neuer überdies und vermutlich nicht einmal der wichtigste. Ausserhalb Kolumbiens dürfte es wohl manche überrascht haben, als in einer
Umfrage kürzlich nicht etwa der Drogenhandel, sondern die linken Guerillaorganisationen und die rechtsgerichteten Paramilitärs, die Arbeits
losigkeit - sie liegt gegenwärtig bei etwa 20 Prozent - und die Korruption als die gravie rendsten Probleme bezeichnet wurden. Für die
Regierung dürfte dies keine Neuigkeit gewesen sein. Von diesen Missständen ist auch im «Plan Colombia» die Rede. Von Massnahmen zur
Ankurbelung der Wirtschaft ist darin zu lesen, von alternativen Entwicklun gen, von der Wahrung der Menschenrechte, von
Friedensverhandlungen mit der Guerilla und der Stärkung staatlicher Institutionen.
Anders als in Washington ist das Projekt Pastranas in europäischen Ländern, von denen sich der Präsident ebenfalls einen namhaften
Beitrag erhoffte, auf grosse Skep sis gestossen. An der Geberkonferenz in Madrid im Juli wurde deutlich vor den Risiken einer
Militarisierung zur Lösung der sozialen und politischen Konflikte des Landes gewarnt; dem Friedensgespräch mit der Guerilla wurde
Priorität eingeräumt. Die Spendierfreude der Europäer - eine Ausnahme war Spanien - blieb unter den Erwartungen Bogotás. Der
Schwerpunkt liegt damit, allen Beteuerungen Clintons und Pastranas in Cartagena zum Trotz, auf den mili tärischen Massnahmen, was den
«Plan Colombia» höchst fragwürdig macht.
Pastranas Projekt kommt dem amerikanischen «War on Drugs» auf nahezu wundersame Weise entgegen. Niemand wird Washington die
Legitimation absprechen können, gegen ein Übel anzutreten, das Amerika zu einer Bedrohung seiner nationalen Sicher heit erklärt hat. In
einer fatalen Umkehrung der Regeln des Marktes, die auch für das Drogengeschäft gelten, geht der repressive amerikanische Ansatz der
Bekämpfung jedoch seit je davon aus, dass keine Nachfrage bestehe, wo kein Angebot sei. Aus Kolumbien stammt, bei wachsendem
Heroin- Export, heute nahezu das gesamte Kokain - rund 550 Tonnen jährlich -, das in den USA konsumiert wird. Die Koka-Anbaufläche
ist sprunghaft angestiegen, seit die Vernichtung der Plantagen in Bolivien und Peru Erfolge zeitigte - notabene zu einem Zeitpunkt, als auch in
Kolumbien der Feldzug gegen den Kokastrauch längst schon im Gang war. Eines besseren Beweises für das Fehlschlagen dieser Strategie
in einem grösseren Rahmen bedurfte es nicht.
Aus diesen Erfahrungen nicht weiser geworden, setzt die Administration Clinton er neut auf dieselben Mittel, geht aber nicht die Wurzel des
Problems an. Solange Hunderttausende von verarmten Campesinos keine Alternative haben, um zu überleben, solange sie für andere
Produkte weder Handelswege noch Absatzmärkte finden, werden sie neue Urwaldparzellen roden und wieder Koka anbauen. Das
Drogengeschäft ist bekanntlich flexibel. Genauso wie kleine Händlerringe an die Stelle der zerschlagenen grossen Kartelle traten, genauso
wie nach der Behinderung der Schmuggelrouten durch Mittelamerika neue Wege über die Karibik gefunden wurden, werden sich Anbau
und Laboratorien und mit ihnen der Schauplatz des «Krieges» erneut verlagern. Entsprechende Befürchtungen hat die Regierung in Brasilien
bereits geäussert. Aus Peru und Ecuador gibt es Berichte über neue Plantagen in den Grenzgebieten. Vor allem Ecuador zeigt mit seiner
schweren wirtschaftlichen und politischen Krise jene Schwächen, die die Drogenbranche jeweils geschickt auszunutzen weiss.
Dass der «Plan Colombia» für die USA lediglich eine Ausweitung ihres «War on Drugs» ist, zeigt einerseits die Aufteilung ihres Beitrags.
Lediglich etwa 230 Millionen von ihren 1,3 Milliarden Dollar sind vorgesehen für Entwicklungsprojekte, für die Stärkung des Justizsystems
und die Hilfe an die internen Gewaltflüchtlinge Kolumbiens, deren Zahl inzwischen auf anderthalb bis zwei Millionen geschätzt wird.
Geradezu fahrlässig hat sich Clinton anderseits mit der Freigabe der Gelder vergangene Woche über die Bedingungen im Bereich der
Menschenrechte hinweggesetzt, die der amerikanische Kongress an das Hilfepaket geknüpft hatte und die unerfüllt bleiben. Kolumbiens
Sicherheitskräfte, die Hauptnutzniesser der amerikanischen Unterstützung, müssen zweifellos umstrukturiert und modernisiert werden, sie
haben aber eine miserable Reputation. Menschenrechtsorganisationen haben wiederholt auf die Zusammenarbeit zwischen Armee-Einheiten
und den Paramilitärs hingewiesen, auf deren Konto ein beträchtlicher Teil der grausamen Massaker an der Zivilbevölkerung gehen und
denen im Kampf gegen die Guerilla, so schien es oft, die Dreckarbeit überlassen wird. Gegenüber diesem Problem gibt sich die
Administration Clinton taub und blind, während Bogotá keine Bereitschaft zum Durchgreifen erkennen lässt.
Darüber hinaus zu versichern, dass die neuen amerikanischen Kampfhelikopter, die Aufklärungsflugzeuge und die von amerikanischen
Instruktoren ausgebildeten Einheiten nicht gegen die Guerilla eingesetzt wür den, ist entweder schönfärberisch oder blau äugig. Wie die
Paramilitärs finanzieren sich beide kolumbianischen Rebellenbewegungen zum Teil aus Schutzgeldern aus dem Drogengeschäft. In den
Gebieten, die unter ihrer Kontrolle stehen, werden sie kaum tatenlos zuschauen, wie diese Grundlage zerstört wird. Gewarnt wird auch
davor, dass sie noch stärker auf das bereits institutionali sierte und lukrative Entführungsgeschäft setzen könnten.
Pastranas Rechnung ist nicht ganz dieselbe wie Washingtons. Die militärische und finanzielle Schwächung der Guerilla, so die Theorie,
werde diese für ein Friedensabkommen gefügiger machen. Der Zeitpunkt der amerikanischen Rückendeckung hätte günstiger auch kaum
sein können. Der Dialog mit den Rebellen der Fuerzas Armadas Revolucionarias (Farc) stolpert von einer Krise in die nächste, mit dem
Ejército de Liberación Nacional hat er kaum richtig begonnen. Keine Konzession, kein Kompromiss konnte bisher den selbstgerechten
Comandantes abgerungen werden, geschweige denn ein Waffenstillstand. Trotz Friedensbemühungen wird weiterhin scharf geschossen.
Das Nachgeben Pastranas im Friedensprozess hat seine Popularität absacken lassen und seine Stellung geschwächt, nicht zuletzt bei den
Streitkräften, die ihr Misstrauen gegenüber dem Friedensdialog nicht überwunden haben. Es sagt viel aus, wenn auf die Frage eines
Demoskopieinstituts, wer am meisten Macht habe im Staat, fast die Hälfte der Be fragten mit dem Namen des Farc-Führers Marulanda und
nur jeder Zehnte mit jenem des Präsidenten antwortet.
Eine weitere Drehung in der Gewaltspirale scheint somit im «Plan für den Frieden» ein kalkuliert. Kolumbiens Nachbarn, die dem Plan mit
grössten Vorbehalten begegnen, haben ihre Truppen an den Grenzen bereits aufgestockt. Sie befürchten, dass der bewaffnete Konflikt auf
ihr Territorium überschwappen könnte. Manche Campesinos stehen vor der Vernichtung ihrer Lebensgrundlage, ohne dass sich
Alternativprojekte - der entscheidende Faktor, soll die Koka-Vernichtung erfolgreich sein - konkretisiert hätten. Kirchliche Institutionen und
Menschenrechtsorganisationen warnen deshalb bereits vor neuen Flüchtlingsströmen, von denen auch die Nachbarländer betroffen wären.
Die Pläne Clintons und Pastranas könnten zu einer Belastungsprobe für die ganze Region werden.
nw.
Aus: Neue Zürcher Zeitung, 2. September 2000
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