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Kolumbien auf Friedenssuche

ELN-Guerilla und Regierung wollen im Januar einen konkreten Verhandlungsplan ausarbeiten

Von Tommy Ramm, Bogotá*

Noch vor wenigen Wochen schienen Friedensgespräche zwischen der kolumbianischen Regierung und der guevaristischen ELN-Guerilla unmöglich. Doch nach ersten direkten Sondierungsgesprächen auf Kuba, die am 16. Dezember begannen, wollen beide Seiten nun einen konkreten Gesprächsplan ausarbeiten.

»Ich verteile lieber Lächeln als Worte«, entgegnete der kolumbianische Schriftsteller Gabriel Garcia Márquez auf die endlosen Versuchen der Journalisten in Havanna, ihm Stellungnahmen zum Verlauf der Gespräche zu entlocken, die die Guerilla der Nationalen Befreiungsarmee (ELN) und die kolumbianische Regierung am 16. Dezember auf Kuba aufgenommen hatten. Márquez, der sich in der Vergangenheit weit gehend aus der kolumbianischen Politik herausgehalten hatte, stellte dort sein Anwesen bereit und nahm gemeinsam mit internationalen Beobachtern aus Norwegen, der Schweiz und Spanien die Delegationen in Empfang.

Dass auch der Literaturnobelpreisträger den Gesprächen beiwohnte, ist dem großen Interesse zuzuschreiben, das die Verhandlungen begleiten. Erstmals in vier Jahren nahm die kolumbianische Regierung unter Präsident Álvaro Uribe Vélez damit direkte Gespräche mit einer der Guerillagruppen auf, die einen Dialog bisher kategorisch ausgeschlossen hatten, da Uribe den Rebellen ausschließlich militärisch begegnete.

Die überraschende Wende läutete im September die Freilassung des inhaftierten ELN-Sprechers Francisco Galán an. Die Regierung forderte ihn auf, Wege für Friedensgespräche mit dem Oberkommando der ELN auszuarbeiten. Wenig später räumte Uribe den größten Stolperstein für einen Dialog aus dem Weg. Erstmals war er bereit zuzugestehen, dass es sich in Kolumbien um einen bewaffneten Konflikt handele und nicht um terroristische Aktivitäten. Vor diese Änderung der Sprachregelung mit großer Tragweite setzte er allerdings eine Bedingung: Die ELN müsse Friedensgesprächen zustimmen. Die ELN-Rebellen akzeptierten die Einladung zu den Gesprächen, deren erste Runde am vergangenen Mittwoch auf Kuba abgeschlossen wurde.

»Der Umstand, dass wir formell an einem Tisch sitzen, offen und ohne Bedingungen, ist für uns ein wichtiger Fortschritt«, erklärte der militärische Chef der ELN, Antonio García, der die Gespräche als respektvoll und ehrlich umschrieb. Luis Carlos Restrepo, Friedensbeauftragter der Regierung, bezeichnete ihren Verlauf als befriedigend und erkannte bei der ELN den deutlichen Willen zum Kompromiss bei der ernsthaften Suche nach Frieden. Dennoch wollte er nicht zu optimistisch sein: »Wir haben noch keinen gemeinsamen Landeplatz gefunden, aber eine Möglichkeit entdeckt, aufzutanken und weiterzufliegen.«

Hatte die erste Gesprächsrunde das Hauptziel, sich anzunähern und eine gemeinsame Sprache zu finden, soll im Januar nun ein konkreter Plan ausgearbeitet werden, der zu einem Friedensschluss führt. Während die ELN von der Regierung fordert, die soziale, wirtschaftliche und politische Krise in Kolumbien und den bewaffneten Konflikt formell anzuerkennen und Lösungen anzubieten, zielt diese darauf ab, dass die ELN einen Waffenstillstand erklärt.

Von dem ist man allerdings noch weit entfernt. Antonio García lehnte einen von der katholischen Kirche geforderten kurzzeitigen Waffenstillstand über Weihnachten ab, da die ELN nicht mit Gesten agieren wolle, sondern mit konkreten Abkommen. Zudem kam es in den letzten Wochen mehrfach zu militärischen Allianzen zwischen ELN und der größeren FARC-Guerilla, die viele Tote bei Zusammenstößen auf Seiten der Armee gefordert haben. Zu besonderer Vorsicht mahnten politische Beobachter bei den Verhandlungen, da im nächsten Jahr Wahlen anstehen. Die Regierung könnte versuchen, das Tempo bei den Gesprächen zu erhöhen, um schnelle Ergebnisse zu präsentieren.

»Die ELN hat ein großes Interesse daran, die Friedensverhandlungen als Wahlkampfthema zu platzieren«, meint dagegen der Politologe León Valencia. Die wahre Feuerprobe für die Verhandlungen steht somit für Ende Januar wiederum in Havanna bevor. Konnten Antonio García und Luis Carlos Restrepo dieses Mal wie der Schriftsteller Márquez Lächeln verbreiten, werden im Januar klare Worte erwartet. Denn wiederholt waren Bemühungen um Verhandlungen mit der ELN – seit 1998 in Mainz, Caracas, Mexiko und der Schweiz – an der Unvereinbarkeit der Interessen beider Seiten kläglich gescheitert.

* Aus: Neues Deutschland, 24. Dezember 2005


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