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Neue Hexenjagd

Kolumbiens Justiz will Exsenatorin Piedad Córdoba erneut vor Gericht zerren. "Beweise" diesmal aus Computern von Mono Jojoy

Von Santiago Baez *

Kolumbiens Justiz will erneut gegen die frühere liberale Senatorin Piedad Córdoba vorgehen und wirft ihr Kontakte zur Guerilla vor. Bereits im vergangenen Jahr hatte die Parlamentarierin ihr Mandat verloren und war für 18 Jahre von der Übernahme öffentlicher Ämter ausgeschlossen worden. Begründet wurde dies damals mit angeblichen Beweisen für ihre Zusammenarbeit mit den Revolutionären Streitkräften Kolumbiens (FARC), die auf dem Computer des am 1. März 2008 ermordeten Sprechers der Guerillaorganisation, Raúl Reyes, gefunden worden sein sollen. Im Mai hatte der Oberste Gerichtshof des Landes diese Dateien jedoch als juristisch nicht verwertbar verworfen, da sie illegal, nämlich bei der völkerrechtswidrigen Intervention der kolumbianischen Armee im Nachbarland Ecuador, beschafft wurden. Zudem könne nicht ausgeschlossen werden, daß der Inhalt dieser Rechner von den Behörden nachträglich manipuliert wurde, so die Richter damals. Mit der gleichen Begründung hatten bereits die Regierungen Ecuadors und Venezuelas den juristischen Wert der beschlagnahmten Computer in Frage gestellt.

Am Montag (22. Aug.) meldete die kolumbianische Tageszeitung El Espectador nun, die Staatsanwaltschaft wolle trotzdem Anklage gegen Córdoba erheben, diesmal jedoch auf der Grundlage der Computer, die Regierungsangaben zufolge bei dem am 22. September 2010 bei einem Luftangriff der kolumbianischen Armee auf ein Guerillacamp getöteten Comandante Mono Jojoy gefunden wurden. »In den nächsten Tagen« werde die Exsenatorin vorgeladen, um zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen, berichtete das Blatt weiter.

Piedad Córdoba wird zu dieser Anhörung nicht erscheinen, kündigte ihr Rechtsanwalt Luis Guillermo Pérez gegenüber dem Fernsehsender Caracol an. Sie lehne es ab, »sich vor einem Staatsanwalt zu verteidigen, der sie vorverurteilt hat«, erklärte der Jurist. Statt dessen werde die liberale Politikerin die Interamerikanische Menschenrechtskommission einschalten. Zuerst habe die kolumbianische Justiz die Computer von Reyes »erfunden«, jetzt seien es die von Mono Jojoy und morgen dann wohl die des gegenwärtigen obersten FARC-Chefs Alfonso Cano oder irgendeines anderen Guerillero oder Paramilitärs, sagte Pérez ironisch.

Die Politikerin selbst hat sich vor einigen Tagen aus Kolumbien abgesetzt und hält sich im Ausland auf, nachdem sie Todesdrohungen erhalten hatte. Innenminister Germán Vargas Lleras zeigte sich von der Entscheidung Córdobas überrascht. Sie sei von acht Leibwächtern beschützt worden und hätte den Behörden gegenüber auch nicht über eine Verschlechterung ihrer Sicherheitslage berichtet. International bekannt geworden war die aufgeheizte Stimmung gegen Córdoba zuletzt jedoch im Zusammenhang mit der sogenannten Restaurantaffäre um den am Montag zurückgetretenen Trainer der kolumbianischen Fußball-Nationalmannschaft, Hernán Dario Gómez. Vor zwei Wochen kam heraus, daß dieser in einer Gaststätte in aller Öffentlichkeit eine Frau geschlagen hatte. Schon damals hatte Gómez seinen Amtsverzicht angeboten, was vom kolumbianischen Fußballverband jedoch abgelehnt worden war. Dessen Vizepräsident Álvaro Gónzalez Alzate wollte sich vor den Trainer stellen und tönte, wenn dieser eine andere Frau verprügelt hätte, wäre das kein Grund für solche Aufregung gewesen: »Wenn Piedad Córdoba von einem Mann angegriffen worden wäre, würde alle Welt Beifall klatschen.«

Trotz der Bemühungen der kolumbianischen Regierung, das Land als stabil darzustellen, ist auch der gegenwärtig laufende Wahlkampf für die Regionalwahlen am 30. Oktober von Gewalt überschattet. Am Montag verbreitete Gloria Inés Ramírez Ríos, die für das Linksbündnis Alternativer Demokratischer Pol (PDA) im Senat sitzt, eine Erklärung über neue Übergriffe gegen Kandidaten ihrer Organisation. So sei in der vergangenen Woche Duvan Vélez, der für den Pol zum Stadtrat von Medellín kandidiert und Vorsitzender der Gewerkschaft der Beschäftigten in der Lebensmittelindustrie, Sintralimenticia, ist, nur knapp einem Anschlag entgangen. Das belege die vom PDA gegenüber den Wahlbeobachtern bereits eingereichte Beschwerde, daß in vielen Bezirken des Landes keine Garantien für eine ordnungsgemäße Durchführung des Wahlkampfs und der Abstimmung selbst bestünden. Davon sei »die einzige Oppositionspartei, die es in Kolumbien gibt, « in besonderer Weise betroffen, so Ramírez Ríos.

* Aus: junge Welt, 24. August 2011


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