Kolumbien - Der Kampf der USA gegen den Koka-Anbau
Neue Eskalationsstufe
Am 31. Mai 2000 veröffentlichte die Neue Zürcher Zeitung einen interesasanten Artikel von Peter Stirnimann über die neueste Entwicklung im Anti-Drogenkrieg der USA. Peter Stirnimann (Basel) ist Leiter der Schweizer Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien, die sich seit Jahren um ein objektives Bild der Verhältnisse in Kolumbien bemüht. Wir dokumentieren den Text im Wortlaut:
Mit genveränderten Pilzen gegen Kokaplantagen
Ein umstrittenes neues Mittel in Kolumbiens Drogenkrieg
Von Peter Stirnimann
Das Geräusch von herannahenden Helikoptern und Flugzeugen durchbrach die gewohnte
Ruhe von Buena Vista im Amazonastiefland Kolumbiens. María, die Lehrerin der Dorfschule,
musste den Unterricht abbrechen, denn alle Schüler rannten kopfüber aus der dürftigen
Schulhütte, um das Ereignis live mitzubekommen. Die Helikopter und Kleinflugzeuge
überflogen das Schulgelände, danach waren alle 58 Kinder durchnässt vom hochgiftigen
Herbizid Glyphosat, das im Koka-Anbaugebiet zur Zerstörung illegaler Pflanzungen
eingesetzt wird. Das Gift aus der Luft löste bei allen schweres Augenbrennen aus. Während
Wochen litten sie unter Sehverlust, Hautausschlägen, starken Kopfschmerzen und
grippeähnlichen Symptomen.
Erfolgloser chemischer Einsatz
Die «Fehlbesprühung» im Alltag des kolumbianischen Kriegs gegen die Drogen steht nicht vereinzelt
da. Wegen solcher Aktionen sind in der Defensoría del Pueblo, einer Ombudsstelle zur
Verteidigung der Rechte des Volkes in Bogotá, ganze Aktenschränke gefüllt mit Klagen.
Nicht nur illegale Anpflanzungen wie Koka oder Mohn werden durch Glyphosat zerstört,
sondern auch Felder mit Mais, Yucca, Zuckerrohr und Bananen; Schaden nehmen aber
auch Kleintiere wie Hühner und Schweine und sogar Rinder.
Laut einer Studie über die vielfältigen Auswirkungen von Besprühungen des Soziologen und
Drogenspezialisten Ricardo Vargas von Acción Andina wurden in Kolumbien zwischen 1992
und 1998 rund 2,5 Millionen Liter Glyphosat über Koka- und Mohnfelder versprüht. Diese
Aktionen kosteten mehr als 53 Millionen Dollar. Für den Krieg gegen die Drogen war
überdies ein beträchtlicher Teil der 625 Millionen Dollar bestimmt, die die USA Kolumbien für
die Nationalpolizei und das Heer in dieser Zeitspanne zur Verfügung stellten. Das Resultat
dieses Einsatzes ist, abgesehen von den ökologischen Schäden im verletzlichen
Ökosystem des Regenwaldes, mehr als blamabel. Die erwähnte Studie weist für Kolumbien
detailliert nach, dass sich das Koka- Anbaugebiet seit 1992 verdreifacht hat.
Bedenkliche Nebeneffekte
Das Scheitern dieser Strategie ist vor allem darauf zurückzuführen, dass den Zerstörungsaktionen eine Entwicklungsprogramme für die betroffenen Kleinbauernfamilien folgen oder durch die
Regierung zugesagte Projekte ausbleiben. Dies führte schon 1996 zu Massenprotesten in
den Kokaregionen. Anfang März dieses Jahres verschlechterte sich das Klima im
Departement Putumayo deswegen erneut. Eine Delegation, begleitet vom Bischof von
Mocoa, reiste nach Bogotá, um die Einstellung der Besprühungsaktionen zu verlangen und
die schon 1996 zugesagten Entwicklungsprogramme einzufordern.
Um nach der Zerstörung ihrer Kulturen durch das Herbizid nicht verhungern zu müssen,
beginnen die betroffenen Bauern oft, an neuen Orten Regenwald zu roden und Koka
anzupflanzen. Präventiv werden ohnehin Parzellen an mehreren Standorten bepflanzt, damit
bei einer neuen Besprühungsaktion nicht die gesamte wirtschaftliche Grundlage zerstört
wird. Allein 1998 sind auf diese Weise zwischen 150 000 und 200 000 Hektaren Regenwald
in Kolumbien der Brandrodung zum Opfer gefallen.
Neben den negativen ökologischen Folgen müssen auch die politischen Konsequenzen
bilanziert werden. Der Staat rechtfertigt seine Aktionen damit, dass er die Grundlage für eine
demokratische und rechtsstaatliche Gesellschaftsentwicklung schaffen will, wird aber selbst
zum Motor der Zerstörung dieses Projektes. Besprühungsaktionen werden von der
geschädigten Bevölkerung nicht als Massnahme zur Förderung des Vertrauens in den
Rechtsstaat verstanden. Die staatliche Legitimität in diesen Gebieten verliert mit jedem Liter
versprühten Pestizids an Boden. Der soziale und bewaffnete Konflikt Kolumbiens wird damit
weiter angekurbelt. «Der Aufbau des Friedens in Kolumbien ist nur durch eine grundlegende
Veränderung in der derzeitigen Drogenkontrollstrategie möglich», lautet Vargas'
Schlussfolgerung.
Ein Abrücken von der Drogenkontrolle scheint jedoch in ferner Zukunft zu liegen. Zurzeit liegt
der «Plan Colombia» der Regierung auf dem Tisch, der «dem Frieden, dem Wohlstand und
der Stärkung des Staates» dienen soll. Die USA sollen 1,6 Milliarden Dollar an diesen Plan
beisteuern. 85 Prozent davon sind für Militärhilfe vorgesehen, vor allem für die
Drogenbekämpfung in Gebieten mit starker Präsenz der Guerilla. Drogen- und
Aufstandsbekämpfung sind in Kolumbien kaum mehr auseinanderzudividieren. «Was man
als ein Projekt zur Entwicklung des Friedens und zur Stärkung des Staates schmackhaft zu
machen versucht, könnte auf Grund des jetzigen Konzepts das Gegenteil bedeuten - ein
Projekt zur Eskalierung des Krieges und ein noch grösseres Auseinanderbrechen des
Staates», stellten kürzlich Vertreter von kolumbianischen Menschenrechtsorganisationen
fest.
Künstliche Epidemien
Im Rahmen des «Plan Colombia» stehen die kolumbianische Regierung, das
Uno-Drogenkontrollprogramm und die USA vor der Unterzeichnung eines Vertrags, der den
Beginn des biologischen Krieges gegen Kokaplantagen in Südkolumbien einläutet. Die
Widerstände gegen Besprühungen mit Pestiziden aus der Luft wurden in den vergangenen
Jahren zu gross. Geplant sind nun im Gegenzug offene Feldversuche mit dem Pilz
Fusarium oxysporum, die darauf abzielen, dessen Wirkung im Kampf gegen Kokasträucher
und die damit verbundenen Umweltrisiken zu untersuchen. Seitdem in Peru eine Epidemie
des Pilzes Fusarium oxysporum ernsthafte Schäden auf Kokafeldern verursachte, hofft man
mit der Erzeugung künstlicher Epidemien den Sieg im Drogenkrieg einleiten zu können.
Ähnliche Feldversuche mit Pilzen sind seit 1998 bereits in Usbekistan gegen Schlafmohn
und in Florida gegen Cannabis durchgeführt worden. Sie stiessen auf grosse Bedenken.
David Struhs, der Sekretär für Umweltschutz des Teilstaates Florida, schrieb 1999 in der
«New York Times»: «Genmutationen sind der am meisten besorgniserregende Faktor bei
dem Versuch, Fusarium-Arten als Bioherbizid einzusetzen. Es ist schwierig, wenn nicht
unmöglich, die Ausbreitung von Fusarium-Arten zu kontrollieren. Die veränderten Pilze
können bei vielen Pflanzen Krankheiten hervorrufen, unter anderem bei Tomaten, Paprika,
Blumen, Getreide und Trauben, und sie werden von Bauern und Bäuerinnen normalerweise
als Gefahr und nicht als Pestizid angesehen. Fusarium-Arten sind in warmen Böden aktiver
und können für Jahre im Boden verbleiben.»
Wissenschaftliche Vorbehalte
An einem Treffen in der kolumbianischen Nationaluniversität in Bogotá Mitte März haben
verschiedene Wissenschafter ihre Bedenken gegenüber dem geplanten Projekt geäussert.
Tomás León vom kolumbianischen Institut für Umweltstudien wies darauf hin, dass sich ein
Mikroorganismus in der Natur anders verhalten könne als im Labor. Die Tatsache, dass der
Feldversuch mit einer genveränderten Art des Fusarium-Pilzes durchgeführt werden soll,
stösst unter den Wissenschaftern auf grosse Vorbehalte. Über die möglichen Gefahren
einer breiten Ausbringung von genmanipulierten Organismen in ein Ökosystem wie den
Amazonasregenwald ist kaum etwas bekannt. Ebensowenig weiss man über die Folgen für
Mensch und Tier.
Alfredo Londońo, Professor der landwirtschaftlichen Fakultät der Nationaluniversität, ging
einen Schritt weiter. Er kritisierte die Drogenkontrollstrategie grundlegend und zeigte auf,
dass das Drogenproblem in Kolumbien weder mit chemischen noch mit biologischen Mitteln
in den Griff zu bekommen sei. Die illegalen Anpflanzungen sind für ihn Ausdruck des
historisch ungelösten Landkonflikts in Kolumbien. Eine internationale Koalition von
Nichtregierungsorganisationen schlägt in die gleiche Kerbe und fordert «im Namen des
gesunden Menschenverstandes», dass der chemische und biologische Krieg gegen Drogen
zu stoppen sei. Anstelle von erfolglosen und kontraproduktiven Repressionsstrategien wird
vorgeschlagen, das Drogenproblem mit sozialen und wirtschaftlichen Massnahmen
anzugehen. «Würde täglich eine Million Dollar in solche Programme investiert anstatt in den
Drogenkrieg, könnte das Problem nachhaltig angegangen werden», meinte kürzlich ein
Vertreter der Koalition.
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