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"Die Großen verschließen die Augen"

Senator Gustavo Petro* über die Verstrickungen von Politik und Paramilitärs in Kolumbien

* Gustavo Petro wurde am 19. April 1960 in Zipaquirá (Kolumbien) geboren. Bereits im Alter von 18 Jahren schloss er sich der Guerillagruppe M-19 an, die sich 1990 demobilisierte. Der Mitbegründer der linken Oppositionspartei Alternativer Demokratischer Pol (PDA) zog 2006 mit der zweithöchsten Anzahl an Wählerstimmen in den Senat ein. Petro gab mit Enthüllungen den Anstoß zur Debatte um die Verbindung zwischen ranghohen Politikern und Paramilitärs. Mit ihm sprach für "Neues Deutschland" Philip Schiemenz.



ND: Obwohl der Skandal der Verstrickungen von Paramilitärs mit Politikern in der direkten Umgebung von Präsident Alvaro Uribe angesiedelt ist, hat dessen Ansehen laut der letzten Umfrage (Gallup) darunter nicht gelitten. Sie, der Sie die Debatte über den Skandal im Kongress angestoßen haben, verlieren dagegen an Zustimmung. Wie kann man das erklären?

Petro: Zuerst muss festgehalten werden, dass diese Umfragen technisch schlecht umgesetzt sind. Die reiche Bevölkerungsschicht ist mit 19 Prozent Anteil an den Stichproben völlig überdimensioniert. An zweiter Stelle sei bemerkt, dass es sich um eine telefonische Umfrage handelt und die Hälfte der Kolumbianer über keinen Telefonanschluss verfügt. Dennoch kann man nicht leugnen, dass es zumindest unter den Bürgern, die sich an den Wahlen beteiligen, mehrheitlich Sympathien für Uribe gibt. Und die sind von der Krise unberührt geblieben. Das hängt auch mit dem Vorgehen der Regierung zusammen, die bemüht ist, die zivile Opposition als Terroristen oder Guerilleros zu verunglimpfen, um ihr Bild im Rahmen der öffentlichen Meinung zu beschädigen.

Welcher Effekt ist mit dieser Kampagne erreicht worden?

Das hat zwei Effekte: Zunächst verlieren wir dadurch an Glaubwürdigkeit. Andererseits rücken wir damit praktisch dem Tod einen Schritt näher.

Ihr Parteifreund Senator Jorge Robledo behauptete, dass der Uribismus die Krise mittels der Durchsetzung eines »parlamentarischen Regimes« bewältigen und diese so zu seinem Vorteil nutzen will. Was sagen Sie dazu?

Das sogenannte parlamentarische Regime löst im kolumbianischen Fall keineswegs das Problem der Unterwanderung des Staates durch den Drogenhandel. Im Gegenteil – es könnte dieses vertiefen, denn wie wir bereits beobachten konnten, agieren viele Parlamentarierer (laut Aussagen der Paramilitärs 31 Prozent) als Komplizen des Drogenhandels beziehungsweise des Paramilitarismus. Das »Parlamentarische Regime« würde ihnen noch mehr Macht geben. Bei dieser Position handelt es sich also um einen Versuch, den Kern der Debatte zu verbergen: Erstens müsste es um die Frage gehen, weshalb der Uribismus fähig war, einen so großen Teil des Drogenhandels und des Paramilitarismus in Machtpositionen zu bringen. Und zweitens darum, wie man erreicht, dass dies nicht erneut passiert.

Wie beurteilen Sie die Reaktion der Regierung auf Ihre Aktivitäten in Washington?

Ich hätte nie gedacht, dass eine Regierung so viele Schimpfwörter pro Minute gegen einen Oppositionsführer aussprechen kann. Zumal ich lediglich versucht habe, bereits existierende finanzpolitische Instrumente und Verträge zwischen den USA und Kolumbien so zu nutzen, dass sie die reelle Grundlage einer effizienten Antidrogenpolitik, zum Wohle der kolumbianischen Gesellschaft, bilden können. Wie kann ein Verteidigungsminister – der nichts mit all diesen Dingen zu tun hat – sagen, ich würde das Vaterland verraten, wenn ich um internationale Wahlbeobachtung in von Paramilitärs kontrollierten Gebieten bitte oder die Einsetzung der Mittel des »Plan Colombia« zur Stärkung des Justizsystems fordere?

Letzte Woche war der deutsche Bundespräsident Horst Köhler zu Besuch in Kolumbien. Zentrale Themen seiner Reise waren die Bekämpfung der Armut und die Verantwortung der Unternehmer. Warum ignoriert Deutschland – wie der Großteil der internationalen Gemeinschaft – den Skandal der »parapolitischen« Verstrickungen?

Heute, wie auch schon zu Zeiten der rot-grünen Bundesregierung, scheint sich die deutsche Position gegenüber Kolumbien durch einen gewissen Grad an Faulheit auszuzeichnen. Man analysiert nicht, was eigentlich passiert, und unterstützt einfach den Präsidenten.

In vier Tagen nahm sich Bundespräsident Köhler ganze zwei Stunden Zeit, um mit Akteuren der Friedensbewegung zu sprechen. Für die politische Opposition hatte er keinen Platz in seinem Programm. Wie beurteilen Sie das?

Ich denke, dass Köhler die kolumbianische Realität nur aus einem bestimmten Blickwinkel sehen wollte.

Binnen weniger als zwei Wochen besuchten Bill Gates, George W. Bush, der spanische König Juan Carlos, Bill Clinton und Horst Köhler Kolumbien. Wie sieht Ihre Bilanz nach diesem großen Rummel aus?

Das kolumbianische Volk steht allein da, und die wichtigsten Regierenden der Welt ziehen es vor, die Augen vor den Massengräbern zu verschließen.

Aus: Neues Deutschland, 21. März 2007


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