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Paramilitärs drohen Regierung

Kolumbien: Rechte Milizen erklären Friedensprozess für beendet

Von Tommy Ramm, Bogota *

Nach der Verlegung von 59 Paramilitärchefs in ein Hochsicherheitsgefängnis kündigten Kolumbiens rechte Milizen die Gespräche mit der Regierung am Mittwoch auf. Neben neuer Gewalt fürchten Politiker nun vor allem die Wahrheit über die Verbindungen mit den Paramilitärs.

Nach vier Jahren Verhandlungen und der Demobilisierung von offiziell mehr als 30 000 paramilitärischen Kämpfern zogen die Chefs der rechten Milizen am letzten Mittwoch einen Schlussstrich unter den Friedensprozess mit der Regierung des Präsidenten Alvaro Uribe. »Der Friedensprozess ist am Ende«, erklärte der Sprecher der rechten Vereinigten Selbstverteidigungsgruppen Kolumbiens (AUC), Ivan Roberto Duque. Die Regierung habe ihre Versprechen gegenüber den Paramilitärs nicht gehalten und diese hinters Licht geführt. Präsident Uribe drohte zwar damit, bei neuerlicher Gewalt die Angehörigen der Milizen wie Kriminelle zu bekämpfen, hielt aber die Tür für weitere Gespräche offen.

Auslöser der Konflikts war die Verlegung von 59 Paramilitärchefs am 1. Dezember in das Hochsicherheitsgefängnis Itaguí. Die letzten Monate hatten sie in einer Ferienanlage nahe der Stadt Medellín auf ihren Prozess gewartet. Die Milizenführer hatten sich freiwillig inhaftieren lassen, nachdem man sich geeinigt hatte, bis zur Verurteilung durch ein eigens geschaffenes Gericht von einer normalen Gefängnishaft abzusehen.

Der Regierung lagen nun jedoch Hinweise vor, wonach die AUC-Führer ihre Geschäfte und Verbrechen von ihrem »Gefängnis« aus ungehindert fortsetzten und sich Ländereien um die Anlage illegal aneigneten. Gerüchte um Fluchtpläne hätten letztlich den Ausschlag zur Verlegung gegeben, die die AUC-Chefs nun auf die Palme brachte. Die Paramilitärs wiesen darauf hin, dass sie nicht für »zukünftige Gewaltakte ihrer ehemaligen Kämpfer haften« würden. Nur 270 der mehr als 30 000 Milizenmitglieder sind derzeit inhaftiert.

Doch weit mehr Aufmerksamkeit dürfte die Ankündigung von Ivan Duque gewonnen haben, sich nicht den Mund verbieten zu lassen. »Wir werden die ganze Wahrheit erzählen, wo auch immer«, sagte Duque. Wochen zuvor hatten die AUC-Chefs hochrangige Politiker und Militärs aufgerufen, ihre Verbindungen mit den Angeklagten offen zu legen, um nicht skandalöse Anschuldigungen vor Gericht diskutieren zu müssen.

Das Kalkül: Viele Kongresspolitiker und Mitglieder der Uribe-Regierung, denen Beziehungen zu den Paramilitärs nachgesagt werden, würden sich deren Forderungen nach geringen Haftstrafen und einer Nichtauslieferung an die USA-Justiz wegen Drogenhandels beugen, um eine Aufdeckung ihrer Beziehungen zu den Paramilitärs zu verhindern.

Einen ersten Beleg des paramilitärischen Einflusses auf die kolumbianischen Politik lieferte im November die Inhaftierung von drei Abgeordneten auf Anweisung des Obersten Gerichtshofes. Dieser untersucht derzeit die Kontakte mehrerer Politiker zu paramilitärischen Kreisen. Ins Licht der Öffentlichkeit rückte dabei ein Treffen von mehr als 40 Regional- und Nationalpolitikern mit dem Oberkommando der AUC im Jahre 2001. Damals wurde ein gemeinsames politisches Programm unterzeichnet. Zwar sind kaum Namen bekannt, doch vermutet wird, dass wichtige Vertreter der heutigen Regierung bei diesem Treffen zugegen waren oder damit zu tun hatten. Sie dürften nun befürchten, dass die AUC-Chefs plaudern.

Nach Angaben des Linkspolitikers Gustavo Petro formieren sich derzeit »dunkle Kräfte«, um die Milizenführer an einer Aussage zu hindern. Drohungen und Morde, die in letzter Zeit gegen ehemalige Paramilitärs stattgefunden hätten, zielten darauf ab, die AUC-Chefs unter Druck zu setzen. Hatten die Paramilitärs über zwei Jahrzehnte ihre Gegner durch Terror beseitigt und mundtot gemacht, scheinen sie nun selbst Opfer ihrer eigenen Taktik zu werden.

* Aus: Neues Deutschland, 9. Dezember 2006


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