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Paramilitärs bekommen Gerichtstermin

Kolumbianische Regierung Uribe geht halbherzig gegen Rechtsextremisten vor

Von Tommy Ramm, Bogotá *

Per Dekret hat Präsident Uribe Vélez den Startschuss für den Prozessmarathon gegen entwaffnete Paramilitärs gegeben. Doch Urteile können noch bis zu zwei Jahre auf sich warten lassen. Über 31 000 rechtsextreme Paramilitärs haben nach Regierungsangaben seit 2003 die Waffen niedergelegt. Doch dem Frieden ist Kolumbien nicht nähergekommen, und auch die Massaker haben nicht aufgehört. Seit dem Waffenstillstand im Dezember 2002 hätten die Todesschwadronen über 3000 Menschen ermordet, sagt der Menschenrechtler Alirio Uribe vom renommierten José- Alvear-Restrepo-Anwaltskollektiv. Sein Namensvetter, Präsident Álvaro Uribe Vélez, will nun mit drei Dekreten den juristischen Umgang mit den seit 2003 entwaffneten Mitgliedern paramilitärischer Gruppen endgültig regeln.

Seit einer Woche ist das erste der drei in Kraft: Damit wird der Staatsanwaltschaft grünes Licht zur Aufnahme von Aussagen der Paramilitärs und zur Prozessvorbereitung gegeben. Die beiden anderen stellte die Regierung zunächst der Öffentlichkeit im Internet zur Diskussion. Laut Innenminister Carlos Holguín wolle man »konstruktive Vorschläge« für eine Endversion sammeln. So soll versucht werden, Legitimität für diese beiden fragwürdigen Dekrete zu gewinnen. Mit den Erlassen sollen nämlich Urteile des Verfassungsgerichts in einem juristischen Drahtseilakt außer Kraft gesetzt werden, um so die Paramilitärs zu einem Verbleiben am Verhandlungstisch zu bewegen.

Das Gericht erklärte im Mai bedeutende Punkte des zuvor vom Kongress verabschiedeten »Gesetzes für Gerechtigkeit und Frieden« für nichtig, was für Unruhe unter den rechten Paramilitärs gesorgt hat. Die Aberkennung des politischen Status seitens des Gerichts hätte zur Folge, dass diese nicht politisch aktiv werden dürfen. Zudem könnten mehr als 28 000 entwaffnete Paramilitärs ihre derzeitige Freiheit verlieren, da sie als normale Kriminelle gelten würden und sich somit für ihre Taten vor der Justiz verantworten müssten, was die Regierung zu verhindern sucht. Zudem bemüht sich diese mit den ausstehenden Dekreten, den Paramilitärs die Zeit am Verhandlungstisch anzurechnen, die trotz schwerer Menschenrechtsverletzungen unter dem verabschiedeten Gesetz nur maximal acht Jahre Gefängnisstrafe zu erwarten haben. Doch von einer baldigen Verurteilung sind die bisher 2695 für einen Prozess registrierten Paramilitärs noch weit entfernt. Bis zu zwei Jahre könne ein Urteil laut dem Obersten Gerichtshof auf sich warten lassen, da es an einer funktionierenden Infrastruktur in der Justiz für die vielen Prozesse mangele.

Carlos Rodríguez von der kolumbianischen Juristenkommission erklärte, dass die Entscheidungen des Verfassungsgerichts obligatorisch seien. Der Versuch der Regierung, mit den Dekreten die Entscheidung des Verfassungsgerichts zu unterlaufen, kritisiert Rodriguez: »Der Rechtsstaat wird dadurch beeinträchtigt.« Andere Rechtsexperten warfen der Regierung vor, die Verfassungskontrolle beschneiden zu wollen.

Unterdessen gilt eines der größten Geheimnisse im Friedensprozess mit den Paramilitärs der Vereinigten Selbstverteidigungsgruppen Kolumbiens (AUC) als gelüftet. Der im April 2004 verschwundene AUC-Chef Carlos Castaño, der den Friedensprozess mit der Regierung aufgenommen hatte, wurde laut Zeugenaussagen ermordet. Auftraggeber war demnach dessen Bruder und AUC-Mitglied Vicente Castaño, der nach Bekanntwerden der Details nun untergetaucht ist. Offenbar befahlen mehrere AUC-Kommandanten die Ermordung ihres Chefs, nachdem dieser seinen Willen bekundete, Namen von Drogenhändlern und Routen an die USA weitergeben zu wollen und Auslieferungsanträge seitens Washingtons gegen ihn und weitere AUC-Mitglieder in Kauf nehmen zu wollen. Die Tat scheint sich gelohnt zu haben: Die Regierung schreibt nun nicht nur eine Aussetzung drohender Auslieferungen im Friedensprozess fest. Auch normale Drogenhändler ohne paramilitärische Vergangenheit konnten sich dem »Gesetz für Gerechtigkeit und Frieden« unterziehen, was derzeit für Skandale sorgt. »Die Verhandlungen sind durchsetzt von Drogenhändlern«, konstatierte der Generalstaatsanwalt Mario Iguarán. Die Regierung spricht dagegen von vereinzelten Fällen.

* Aus: Neues Deutschland, 4. September 2006


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