Staatsterrorismus am Pranger
Enthüllungen des Todesschwadronen-Chefs Mancuso sorgen für Wirbel und Verhaftungen
Von Gerhard Dilger, Porto Alegre *
Kolumbiens Präsident Álvaro Uribe befindet sich in der schwersten Krise seiner fast fünfjährigen
Amtszeit. Selbst die verbündeten USA rücken wegen der Verstrickungen mit den Paramilitärs von
ihm ab und verweigern ein Freihandelsabkommen.
In Kolumbien überschlagen sich die Ereignisse: Weitere fünf Parlamentarier wurden letzte Woche
wegen ihrer Verbindungen zu den rechtsextremen Paramilitärs festgenommen. Drei Tage lang
packte der frühere Chef der Todesschwadronen, Salvatore Mancuso, vor der Staatsanwaltschaft in
Medellín aus. Die Regierung entließ zwölf hohe Polizeigeneräle, nachdem bekannt geworden war,
dass der Geheimdienst der Polizei seit zwei Jahren ohne richterliche Anordnung Minister,
Oppositionspolitiker und Journalisten abgehört hatte. Zudem gelang einem seit fast neun Jahren
gefangenen Polizisten die Flucht aus den Fängen der FARC-Guerilla. Aus Washington erreichte den
Staatschef die Hiobsbotschaft, dass die Demokraten im US-Kongress das Ende 2006
unterzeichnete Freihandelsabkommen mit Kolumbien nicht ratifizieren wollen, solange der Sumpf
der »Parapolitik« nicht trockengelegt wird und die Gewalt gegen Gewerkschafter anhält.
Vergangenen Freitag zeigte Uribe, ein bedingungsloser Verbündeter von US-Präsident George W.
Bush, wie tief er getroffen ist. »Wir können nicht akzeptieren, dass der Freihandelsvertrag mit
Panama und Peru genehmigt wird und Kolumbien in dieser Schlacht bestraft wird«, wetterte er. Es
sei »inakzeptabel«, Kolumbien »wie einen Paria zu behandeln«. Keine Regierung sei so
entschlossen gegen den Terrorismus auf allen Seiten vorgegangen wie die seine, sagte Uribe, über
30 000 Paramilitärs und 10 000 Guerilleros hätten ihre Waffen niedergelegt.
Doch die Aussagen Salvatore Mancusos sprechen eine andere Sprache. Der Kriegsherr berichtete
von einem Netzwerk aus Politik und Unternehmen, das die Vorherrschaft der Paramilitärs in
Nordkolumbien über Jahre stützte. Mancuso belastete nicht nur zahlreiche Bürgermeister,
Gouverneure und Abgeordnete aus der Region, sondern auch hohe Militärs, kolumbianische
Großunternehmen und die US-Bananenmultis Dole, Chiquita und Del Monte. Die Konzerne hätten
für jede exportierte Bananenkiste einen Cent an die Paramilitärs abgeführt, so Mancuso.
Dass die Todesschwadronen im Kampf gegen die linken Guerilleros und ihr vermeintliches Umfeld
»Kriegssteuern« erhoben, ist seit längerem bekannt. Doch nur Chiquita hat eingeräumt, den Milizen
über sechs Jahre 1,7 Millionen Dollar gezahlt zu haben. In einem Abkommen mit dem USJustizministerium
erklärte sich der Multi im März dazu bereit, 25 Millionen Dollar Strafe zu zahlen.
Den Vorwurf, die Paras wie Söldner bezahlt zu haben, erheben Menschenrechtler auch gegen Coca-
Cola, Nestlé und den US-Konzern Drummond, der in der Karibikprovinz Cesar Kohle fördert.
Neben den Guerilleros nehmen die Paramilitärs auch die Gewerkschaften ins Visier. Fast flehentlich
rief Álvaro Uribe letzten Freitag: »Gerade zwei Gewerkschafter sind dieses Jahr ermordet worden,
bitte, das muss doch jeder US-Parlamentarier zur Kenntnis nehmen, wir wollen durch Tatsachen
besiegt werden, nicht durch Diffamierungen!« Genau dies droht ihm jetzt. Denn die
Todesschwadronen ermordeten nicht nur hunderte von Bananenarbeitern. In einer neuen Erhebung
der »Nationalen Gewerkschaftsschule« in Medellín ist die Repression minutiös aufgelistet. Zwischen
1991 und 2006 wurden demnach 2245 Gewerkschafter ermordet, mehr als im Rest der Welt
zusammen. 2007 sind es bislang neun, im letzten Jahr waren es 72.
»Anders als das US-Außenministerium, berücksichtigt die Regierung aus Imagegründen nicht die
Gewerkschaftsmitglieder unter Lehrern und Bauern«, sagt José Luciano Sanín, der Direktor des
Gewerkschaftsinstituts. 2006 etwa waren 35 der 72 ermordeten Gewerkschafter Lehrer. Der Terror
hat zur Folge, dass sich immer weniger Kolumbianer gewerkschaftlich organisieren: 2005 waren es
gerade noch 4,6 Prozent aller Beschäftigten, weniger als 1947. Bei einer Aufklärungsrate von einem
Prozent der Fälle bleiben die Mordmotive oft im Dunklen.
Doch Mancuso sorgt für Erhellung. Der 42-Jährige war Chef der Vereinigten
Selbstverteidigungsgruppen Kolumbiens. Im Dezember 2005 legte er nach Verhandlungen mit der
Regierung die Waffen nieder, Anfang 2007 gestand er seine Beteiligung an 87 Verbrechen mit 336
Opfern. Von seinen Enthüllungen verspricht er sich offenbar Strafminderung. Dieses Kalkül könnte
Präsident Uribe zum Verhängnis werden.
* Aus: Neues Deutschland, 23. Mai 2007
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