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"Einheiten des Militärs in Konzernanlagen stationiert"

In Kolumbien arbeiten Multis, Paramilitärs und Armee Hand in Hand. 21 ermordete Gewerkschaftsführer. Gespräch mit Rodolfo Vecino Acevedo

Rodolfo Vecino Acevedo ist Mitglied des nationalen Vorstands der kolumbianischen Erdölarbeitergewerkschaft USO.



Kolumbien gilt seit Jahren als das für Gewerkschafter gefährlichste Land der Welt. Wie ist die aktuelle Situation?

Nach wie vor werden hier Kolleginnen und Kollegen ermordet. Erst kürzlich wurde ein Aktivist der Indígena-Bewegung umgebracht, im September starb in Córdoba ein Funktionär der Lehrergewerkschaft. Seit Jahresbeginn wurden bislang 21 Führungsmitglieder der sozialen Organisationen und der Gewerkschaften ermordet. Damit ist die Zahl der seit dem Amtsantritt von Álvaro Uribe Velez als Präsident 2002 ermordeten Aktivisten auf rund 470 angestiegen.

In Kolumbien tummeln sich zahlreiche Konzerne aus Europa. Wie verhalten sich diese Unternehmen, die hierzulande gern ihre weiße Weste präsentieren?

Die Arbeiterbewegung und die Gewerkschaften in den Ländern, in denen diese Konzerne ihr Zuhause haben, können ihre Forderungen zumindest auf die ein oder andere Weise zu Gehör bringen. In einem Land, in dem die Regierung den Konzernen alles gestattet und in dem paramilitärische Banden operieren, passiert das Gegenteil. Die Konzerne greifen hier die Arbeiter an, und es gibt Übergriffe auf Gewerkschaftsaktivisten durch Paramilitärs.

Können Sie konkrete Beispiele nennen?

Die Konzerne BP, Perenco, Total und vor allem Occidental Petroleum (Oxy) spielen eine Rolle. Oxy hat nicht nur Verbindungen zu den Paramilitärs, sondern stellt ihnen sogar Ländereien für Flugzeuge, Truppen und Kriegsausrüstungen zur Verfügung. Auch Einheiten des Militärs sind in den Anlagen des Konzerns stationiert. Das ist eine Verletzung der Genfer Konvention. Dort ist klar festgelegt, daß die Zivilbevölkerung, und dazu gehören die Arbeiter, nicht in kriegerische Auseinandersetzungen hineingezogen werden darf.

Erst vor kurzem haben Paramilitärs in Kolumbien vor Gericht im Fall des Kollegen Aury Sará ausgesagt. Er wurde am 30. November 2001 zusammen mit seinem Leibwächter Enrique Arellano in Cartagena entführt und am 5. Dezember des Jahres ermordet aufgefunden. Juancho Dique, ein Chef der Paramilitärs, hat berichtet, wie die Nationale Polizei den Kollegen entführt und ihm dann in Canal del Dique seinen Truppen übergeben hat, damit sie ihn ermorden.

Derweil verhandelt die Europäische Union mit den Regierungen Kolumbiens und Perus über Freihandelsabkommen. Könnte ein solcher Vertrag die Situation der Menschen in Ihrem Land verbessern?

Nein, ganz im Gegenteil.Wir versuchen gerade, die Bürger Europas und die sozialen und gewerkschaftlichen Organisationen dieses Kontinents dazu zu bewegen, daß sie Druck auf ihre Regierungen ausüben, damit sie diese Art von Verhandlungen mit Kolumbien und Peru nicht zulassen. Das können keine Verhandlungen auf Augenhöhe sein. Es ist ganz offensichtlich, daß Kolumbien und Peru nicht in der Lage sind, zu irgendeinem Zeitpunkt zur EU aufzuschließen. Deshalb werden nur einige Bereiche der Wirtschaft, vor allem die Palmöl-Industrie, von diesem Abkommen profitieren. Die Regionen, in denen Ölpalmen angebaut werden, sind genau die Gebiete, in denen die Paramilitärs aktiv sind und von den Großgrundbesitzern finanziert werden.

Ab Montag (26. Okt.) findet in Berlin eine offizielle Kolumbien-Ausstellung statt…

Ja, es wäre wichtig, dort deutlich zu machen, daß in Kolumbien nicht alles Leidenschaft ist, wie die offizielle Tourismuswerbung behauptet. In Kolumbien werden Menschen ermordet, Gewerkschafter und soziale Aktivisten verschleppt. Wir leisten weiter Widerstand, um unseren Traum von einem Land des Friedens und der sozialen Gerechtigkeit zu verwirklichen, ein Land, das uns allen gehört und sich im Interesse der künftigen Generationen entwickeln kann.

Interview: André Scheer

* Aus: junge Welt, 24. Oktober 2009


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