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Gerechtigkeit in Kolumbien?

Interview mit Liliana Uribe, Menschenrechtsanwältin in Medellín *


nd: Einst war es undenkbar, dass Angehörige der kolumbianischen Oligarchie an die USA ausgeliefert werden. Nun ist unlängst ein enger Vertrauter von Ex-Präsident Álvaro Uribe Vélez wegen Drogendelikten an die USA ausgeliefert worden. Trügt der Anschein, dass die Strafverfolgungsbehörden sich langsam dem ehemaligen Zentrum der Macht nähern?

Uribe: Das ist auf alle Fälle eine positive Entwicklung und ein historisches Ereignis. In Kolumbien hat es noch nie eine derartige Welle von Prozessen wegen Kooperation mit den Paramilitärs gegeben. Es handelt sich um 67 Prozesse, die die höchsten Gerichte gegen Politiker wegen ihrer Verbindungen zu den Paramilitärs angestrengt haben. Hinzu gibt es eine Welle von Korruptionsprozessen, es wird ermittelt wegen des Abhörens und Überwachens von Oppositionellen und ihren Familien durch die Geheimdienste. All diese Prozesse schreiten voran, und dabei fällt immer wieder der Name des Ex-Präsidenten Uribe.

Ein Zeichen neuer Stärke der kolumbianischen Justiz?

Ja, denn die Botschaft lautet schließlich: Es ist möglich, die Mächtigen vor die Gerichte zu bringen. Das ist ein wichtigstes Signal. Doch gleichzeitig sucht die Regierung von Präsident Juan Manuel Santos derzeit nach Auswegen: Die Amnestiemöglichkeiten sollen punktuell erweitert werden.

Geht die Justizreform in diese Richtung, für die in den letzten Monaten viel Lobbyarbeit gemacht worden ist?

Ja, denn sie soll der Bevölkerung zwar den Zugang zur Justiz erleichtern, gleichzeitig wird sie zur Kasse gebeten. Zukünftig sollen vermehrt Anwälte in den Dienst der Kläger und Angeklagten treten und die erheben nun einmal Gebühren. Für ehemalige Parlamentarier werden dagegen Sonderregelungen reserviert, damit ihnen der Gang ins Gefängnis erspart bleibt.

Gab es dagegen Widerstände?

Ja, es gab erheblichen Widerstand, so dass die Regierung das Gesetz schließlich zurückzog, obwohl es bereits durch das Parlament gegangen war.

Das ist fraglos ein Erfolg. Gibt es weitere?

Ja. Es wird nicht mehr verbal gegen Menschenrechtsaktivisten und politische Gegner vorgegangen und außenpolitisch gibt es keine Konflikte mehr mit Ecuador und Venezuela. Zugleich gibt es mehr Aggressionen, mehr Angriffe gegen Menschenrechtler als im letzten Regierungsjahr von Álvaro Uribe Vélez 2009.

In Deutschland heißt es, dass es weniger Morde, weniger ermordete Gewerkschaftler gibt, und nun wird offensiv um Investitionen geworben. Wie denkt eine Anwältin über diese doppelte Realität?

Die kolumbianische Regierung agiert sehr geschickt in der Öffentlichkeitsarbeit. Da wird nach allen Regeln der Kunst das Bild eines Landes stilisiert und verkauft. Das funktioniert in Deutschland und in anderen Ländern Europas. Ziel der Regierung in Bogotá ist es, die natürlichen Ressourcen auszubeuten, und dazu lädt sie die internationalen Bergbaukonzerne und ihre Zulieferer ein. Der Bergbau soll zur Lokomotive der Wirtschaft werden und in diesem Kontext wird auch auf die Umsetzung der Freihandelsabkommen mit den USA, Europa, Korea und anderen Ländern gesetzt. Da entstehen jede Menge neue Probleme.

Interview: Knut Henkel

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 23. August 2012


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