"Friedensgemeinden sind die dritte Option"
Heike Hänsel über den Dauerkonflikt zwischen Staat und Guerilla *
In Kolumbien erklären sich immer mehr Dörfer zu Friedens- und Widerstandsgemeinden. Worin
unterscheiden sich Friedens- und Widerstandsgemeinden?
Die Friedensgemeinden, mittlerweile rund 50, haben sich auf Grund der bewaffneten
Auseinandersetzung, des Kriegszustandes in Kolumbien – wie sie es bezeichnen – gegründet. Sie
haben sich zu humanitären Zonen erklärt, in denen keine bewaffneten Gruppen auftauchen dürfen.
Zudem wird von den Bewohnerinnen und Bewohnern der Gemeinden erwartet, dass sie nicht
persönlich in den bewaffneten Konflikt verwickelt sind.
Das alles trifft zwar auch auf die Widerstandsgemeinden zu, doch die kämpfen hinzu um die
Wiederaneignung ihres Landes. Dabei handelt es sich hauptsächlich um Kleinbauern und
Kleinbäuerinnen. Vor allem im Nordwesten Kolumbiens werden große Ölpalmen-Anbauprojekte
vorangetrieben und Kleinbauern von ihrem Land vertrieben. Sie wehren sich, indem sie das Stück
Land, das ihnen selbst gehört, besetzen und die Ölpalmen vernichten, um wieder
Grundnahrungsmittel wie Reis, Mais und Yucca anzubauen.
Wie reagieren die Konfliktparteien – Guerillagruppen sowie Militärs und Paramilitärs – darauf?
Die Reaktionen sind vor allem von Seiten der Paramilitärs, aber auch der staatlichen Armee, sehr
bedrohend. Es gab bereits sehr viele Tote zu beklagen. Vor allem in einer der bekanntesten
Friedensgemeinden, die ich eben besucht habe, San José de Apartadó. Dort gab es seit ihrer
Gründung 1997 mehr als 182 Ermordete, mehr als 500 Übergriffe. Ähnlich ist das Bild in den
Widerstandsgemeinden. Auch dort werden Bauern eingeschüchtert, gab es etliche Tote, gibt es
ständig Drohungen, das Land zu verlassen und es wieder an Großunternehmen zu übereignen.
Gewalt von Paramilitärs und staatlichen Militärs, aber nicht von Guerillagruppen?
Doch, aber nicht in demselben Ausmaß. Die Revolutionären Bewaffneten Streitkräfte Kolumbiens
(FARC) haben zum Beispiel Mitglieder von Widerstandsgemeinden bei den Ölpalmenprojekten
entführt, aber diese Übergriffe sind zurückgegangen.
Agieren die Paramilitärs im Auftrag der Ölpalmen-Großgrundbesitzer?
Ja. Aber der Punkt ist, dass sie laut Augenzeugenberichten sehr oft gemeinsam mit der offiziellen
Armee auftreten. Die Ölpalmen werden zum großen Teil auf Land gepflanzt, das Vertriebenen
gehört. Land, das durch Massenvertreibungen von Tausenden von Menschen schon in den 90er
Jahren für Agrarunternehmen bereitgestellt wurde. Viele Kleinbauern wurden auch schlichtweg
ermordet, es gab große Massaker in den 90er Jahren. Und mit Hilfe des Militärs wird die
Ölpalmenproduktion abgesichert. Ich selbst habe Einheiten der 17. Brigade der kolumbianischen
Armee gesehen, die die Ölpalmenbepflanzungen bewachen – gegen die Bauern, die dort
ankommen und ihr Land zurückfordern.
Und die Regierung in Bogotá duldet die Allianz von Paramilitärs und Militärs oder gar mehr?
Sie weiß auf alle Fälle Bescheid. Das gemeinsame Agieren wurde mehrfach an die Regierung in
Bogotá gemeldet. Wir selbst hatten Gespräche mit dem Generalstaatsanwalt und mit dem
Vizeverteidigungsminister. Die Fakten sind bekannt, es gibt einzelne Untersuchungen, die aber so
gut wie keine Konsequenzen haben.
Gibt es jenseits der Bedrohungen noch andere zentrale Probleme, mit denen sich die Friedens- und Widerstandsgemeinden rumzuplagen haben?
Ja, auch wenn die Bedrohung von Leib und Leben an erster Stelle steht. Mittlerweile wurden
zahlreiche Verfahren mit dem Vorwurf, Mitglied der Guerilla zu sein, gegen die Bauern selbst
eingeleitet, zudem auch gegen unterstützende Organisationen wie Justicia y Paz (Gerechtigkeit und
Frieden). Die Regierung will dadurch diese Gemeinden in die Knie zwingen und es ist ein
eindeutiges Signal an die Paramilitärs, gegen die Gemeinden vorgehen zu können. Hinzu kommen
die gesamten juristischen Schwierigkeiten. Zwar haben viele Eigentumstitel, aber es passiert nichts.
Die Regierung in Bogotá setzt – selbst wenn sie die Eigentumstitel anerkennt – die Rückgabe nicht
durch. Es ist ein Riesenproblem, dass die Behörden nicht agieren. Das gilt generell: Massaker
werden trotz Zeugenaussagen nicht geahndet und auch die Demobilisierung der Paramilitärs ist
weitgehend eine Farce: Oft wechseln Täter nur ihren Namen, ohne dass die Justiz eingreift.
Geraubtes Land wird nicht zurückgegeben, Schätzungen zufolge mehr als 6 Millionen Hektar.
Vom Staat werden die Friedens- und Widerstandsgemeinden offensichtlich nicht unterstützt. Wie
lassen sie sich unterstützen?
Von zentraler Bedeutung ist eben kontinuierliche internationale Präsenz. Das haben uns auch viele
BewohnerInnen dieser Friedensgemeinden immer wieder gesagt. Die Peace Brigades International
(PBI) haben dort in etlichen Gemeinden eine Präsenz aufgebaut und begleiten auch zum Schutz
einzelne Aktivisten aus den Gemeinden. Zudem haben sie Interesse an fairem Handel für ihre
Produkte wie Kakao und Bananen, das würde ihre ökonomische Situation verbessern helfen.
Was bedeutet die Lage in Kolumbien für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit?
Ich halte es für ganz entscheidend – und das wird auch eine Forderung der LINKEN auf
parlamentarischer Ebene sein –, dass eine direkte Entwicklungszusammenarbeit mit diesen
Gemeinden aufgebaut wird. Auch die Präsenz von Entwicklungshelfern schützt.
Bei der großen Koalition dürfte der Vorschlag auf wenig Gegenliebe stoßen. Schon Kanzler
Schröder stellte dem Präsidenten Álvaro Uribe einen Persilschein aus.
Das ist das Problem, das wir in unserem Antrag auch kritisieren. Wir wollen eine Neuorientierung der
Kolumbien-Politik von Seiten der Bundesregierung und der EU. Uribe ist völlig überbewertet.
Paramilitärische Strukturen werden legalisiert. Die Sicht der Opfer und ihre Forderungen nach
Gerechtigkeit fallen komplett unter den Tisch. Zu einer Neuausrichtung gehört auch die
Unterstützung der Friedens- und Widerstandsgemeinden, weil sie die so genannte dritte Option in
dem Land darstellen und sich der gewaltsamen Austragung des Konflikts verweigern. Darin liegt ein
Schlüssel für eine friedliche Zukunft Kolumbiens.
* Heike Hänsel ist Bundestagsabgeordnete der LINKEN.
Aus: Neues Deutschland, 27. November 2007
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