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Drama im Dschungel

Seit sechs Jahren befindet sich Ingrid Betancourt in der Hand der kolumbianischen FARC-Guerilla. Ihre Freilassung wird auch von der Regierung Uribe verhindert

Von Harald Neuber *

Die Gefangenenkrise um die franko-kolumbianische Politikerin Ingrid Betancourt spitzt sich dramatisch zu. Nun hat sich der französische Staatschef Nicolas Sarkozy eingeschaltet. In einer Fernsehansprache appellierte der konservative Politiker am Dienstag an die kolumbianische Regierung und an die Rebellenorganisation Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens (FARC), eine Freilassung der 46jährigen zu ermöglichen. »Ein Wort von Ihnen genügt, um eine Frau vor dem Tod zu retten«, sagte Sarkozy an den FARC-Gründer Manuel Marulanda gewandt. Betancourt befindet sich seit sechs Jahren in der Hand der Organisation. Als Teil einer Gruppe politischer Gefangener soll sie gegen inhaftierte Guerilleros ausgetauscht werden. Die rechte Staatsführung von Uribe hat sich diesem Anliegen in den vergangenen Jahren aber verweigert. Zum einen, weil sie die FARC als »Terroristen« tituliert und Verhandlungen strikt ablehnt. Ein Grund dürfte aber auch sein, daß die kolumbianischen Oligarchie Betancourt als politische Bedrohung ansieht -- und ihre Freilassung deswegen behindert wird.

Fragwürdige Zugeständnisse

Vor diesem Hintergrund erscheinen auch die jüngsten Zugeständnisse Uribes an die Rebellen in einem anderen Licht. So hatte der ultrarechte Politiker nach jahrelanger Weigerung vor wenigen Tagen angeboten, Guerilleros freizulassen, wenn die FARC im Gegenzug ihre politischen Gefangenen laufen läßt. Doch die Offerte war zugleich an eine Reihe von Bedingungen geknüpft. Auch weigert sich Uribe, eine Hauptforderung der Guerilla zu erfüllen. Über 45 Tage hinweg soll eine 180 Quadratkilometer große Zone im Südosten des Landes »demilitarisiert« werden, so verlangt es die FARC-Führung, damit in dem Gebiet Verhandlungen über einen Gefangenenaustausch geführt werden können. Uribe lehnt das strikt ab.

Fragwürdig ist deswegen auch sein jüngstes Angebot gegenüber Sarkozy. Dieser könne eine internationale Delegation zu Betancourt schicken, hieß es am Dienstag überraschend in Bogotá, um die Freilassung der Frau zu erreichen. Zugleich sicherte Uribe seinem französischen Amtskollegen zu, die Militäraktionen in der Zone auszusetzen. Soclhe Versprechen hatte er bereits vor ähnlichen Verhandlungen internationaler Delegationen in den vergangenen Wochen gemacht, durch die mehrere Gefangenen der FARC freikamen. Später berichteten Beteiligte, daß die Aktionen der Armee entgegen der Zusicherungen auch während der Verhandlungen angedauert hätten.

Blockiert Bogotá?

Nach Informationen der ecuadorianischen Regierung wurde durch dieses Vorgehen auch die Freilassung Ingrid Betancourts verhindert. Die kolumbianische Armee hatte Anfang März ein Lager der FARC auf ecuadorianischem Territorium angegriffen und alle Rebellen ermordet. Unter den Toten war auch der führende Kommandant der FARC, Raúl Reyes. Er habe, so hieß es später übereinstimmend in Quito, Caracas und in Paris, die Verhandlungen über die Freilassung Betancourts und anderer politischer Gefangener geleitet. Die Uribe-Regierung wird sich deswegen weiter die Frage gefallen lassen müssen, ob sie an Betancourts Freilassung überhaupt Interesse hat.

* Aus: junge Welt, 3. April 2008

Zur Person: Ingrid Betancourt

Von Ingo Niebel *

Die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) haben Ingrid Betancourt 2002 während einer Wahlkampftour entführt. Die Kandidatin der grünen Partei ließ es sich trotz Warnungen nicht nehmen, in das von der Guerilla kontrollierte Gebiet zu fahren. Eine Einheit der FARC nahm sie und ihre Begleiter fest. Seitdem ist die inzwischen 46jährige Franko-Kolumbianerin eine von rund 50 politischen Gefangenen der Rebellen.

Die FARC will Betancourt und die anderen Politiker gegen 500 gefangene Guerilleros austauschen. Die Gespräche über einen humanitären Austausch kamen Mitte 2007 wieder ins Laufen, nachdem Kolumbiens Präsident Álvaro Uribe seinem venezolanischen Amtskollegen Hugo Chávez und der linksliberalen kolumbianischen Senatorin Piedad Córdoba ein Mandat für Vermittlungen erteilt hat. Um die Bereitschaft der FARC auf die Probe zu stellen, verlangte Bogotá ein Lebenszeichen von Betancourt. Das kam nach einigen Monaten in Form einer Videoaufnahme der inzwischen apathisch wirkenden Politikerin. Seither tauchten weitere Informationen auf, wonach Betancourt unter anderem schwer an Hepatitis B erkrankt ist. Einem jüngsten Gerücht zufolge ist sie in einen Hungerstreik getreten.

Ingrid Betancourt stammt aus einer einflußreichen Familie in Bogotá. In Frankreich, wo der Vater Kolumbien lange Jahre vor der UNESCO vertrat, studierte sie Politikwissenschaften und heiratete einen französischen Diplomaten. Seitdem besitzt sie beide Staatsangehörigkeiten. Aus der ersten Ehe gingen zwei Kinder hervor. 1990 heiratete sie den kolumbianischen Kolumnisten Juan Carlos Lecompte. Zu dieser Zeit war sie bereits als Gründerin der Ökopartei »Oxigeno Verde« (Grüner Sauerstoff) bekannt.

Bekannt wurde die Politikerin durch ihre oft polemischen Attacken gegen Korruption. Auf diese Weise versuchte sie, sich jenseits der traditionellen Eliten eine neue Machtbasis zu schaffen. Daß sie sich damit unter der politischen Elite keine Freunde machte, wurde schnell klar. Nachdem sie im Parlament in Bogotá im Juni 1996 eine mehrstündige Rede gehalten hatte, fand Betancourt in ihrer Post das Foto einer zerstückelten Kinderleiche. Nur wenige Wochen später wurde ihr Wagen in einen Hinterhalt gelockt und beschossen. Der Weg zur Präsidentschaft endete abrupt mit der Entführung 2002.

Der venezolanische Präsident Hugo Chávez könnte mehr über ihren Gesundheitszustand wissen. Aber seit der Ermordung des FARC-Kommandanten Raúl Reyes Anfang März ist die Verbindung abgebrochen. »Wir haben seither keine Nachrichten mehr von Ingrid«, sagte der Präsident vor wenigen Tagen. Die kolumbianische Armee hatte Reyes und 23 seiner Begleiter in einem Lager in Ecuador ermordet.

* Aus: junge Welt, 3. April 2008




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