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FARC-Guerilla ließ vier Geiseln frei

Rebellen machen weitere derartige Gesten von entmilitarisierter Zone abhängig

Von Tommy Ramm, Bogotá *

In Kolumbien hat die Guerillaorganisation FARC vier Geiseln frei gelassen. Die Frau und die drei Männer trafen am Mittwoch in der venezolanischen Hauptstadt Caracas ein. Die Guerilla teilte mit, es sei die letzte bedingungslose Freilassung von Geiseln.

Die linke Rebellengruppe Bewaffnete Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens (FARC) bewegt sich. Knapp zwei Monate nach der ersten einseitigen Geiselfreilassung kamen vier weitere Entführte nach mehr als sechs Jahren Geiselhaft frei: Die Politiker Gloria Polanco, Orlando Beltrán, Luis Eladio Pérez und Jorge Eduardo Géchem wurden am Mittwoch (Ortszeit) in der südöstlichen kolumbianischen Provinz Guaviare einer Kommission des Internationalen Roten Kreuzes, dem venezolanischen Innenminister Ramón Chacín sowie der oppositionellen kolumbianischen Senatorin Piedad Córdoba übergeben. In zwei Helikoptern wurden sie nach Caracas ausgeflogen, wo sie von ihren Familienangehörigen und dem venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez erwartet wurden.

Wenige Stunden zuvor kündigte die kolumbianische Regierung an, dass sie in jeder Weise zur Kooperation bei der Freilassung bereit sei und es keine militärischen Aktionen seitens der Armee geben würde. Tage vor der Freilassung war bei den Angehörigen der Entführten die Angst gestiegen, dass es zu militärischen Manövern der kolumbianischen Armee kommen könnte. Verteidigungsminister Juan Manuel Santos ließ Ende letzter Woche verlauten, wo sich die Entführten der FARC aufhalten würden, was von den Familien als Option für einen militärischen Befreiungsversuch gewertet wurde. Nicht zu Unrecht: Unlängst wies Präsident Álvaro Uribe Vélez die Armee an, die Camps der Guerilla, in denen sich die Entführten aufhalten würden, einzukreisen, um so Druck auf die FARC auszuüben.

Wie bereits bei der ersten Freilassung am 10. Januar waren die Vermittlungsbemühungen der venezolanischen Regierung ausschlaggebend. Sie konnte die FARC erneut zu einer bedingungslosen Freilassung bewegen. Doch die Möglichkeiten von Chávez scheinen nun an ihre Grenzen zu stoßen. Die Guerilla kündigte an, dass es keine weiteren Freilassungen geben werde, solange die kolumbianische Regierung nicht bereit sei, zwei Bezirke im Südwesten des Landes für 45 Tage militärisch zu räumen, um einen Gefangenenaustausch und ein humanitäres Abkommen auszuhandeln. Während die FARC neben drei Politikern - unter ihnen Ingrid Betancourt - Dutzende Polizisten, Soldaten und drei US-amerikanische Söldner für austauschbar erklärten, sollen dafür im Gegenzug rund 500 inhaftierte Rebellen frei kommen. Die kolumbianische Regierung lehnt jedoch die von der Guerilla gestellten Forderungen für Gespräche vehement ab, um den isolierten FARC keinen politischen Raum und Öffentlichkeit zu gewähren. Dadurch verschärft sich mit jedem Tag die Lage der Entführten.

Neue Informationen gibt es über die sich seit sechs Jahren in den Händen der FARC befindliche Ingrid Betancourt. Der freigelassene Luis Pérez erklärte, dass er die Grünen-Politikerin zum letzten Mal am 4. Februar »in sehr schlechtem Zustand« gesehen habe. »Sie wird schlecht behandelt, ist krank und physisch sowie moralisch am Ende«, erklärte Pérez. Chávez forderte die FARC deshalb auf, für bessere Bedingungen zu sorgen. »Marulanda: das Erste, worum ich dich von Herzen bitte, ist, dass du Ingrid an einen anderen Ort bringst, während wir weiter Wege für ihre Freilassung erkunden«, so Chávez an den obersten FARC-Kommandanten Manuel Marulanda. Bessere Haftbedingungen liegen auch im Interesse der FARC: Betancourt, die die französische Staatsbürgerschaft besitzt, ist das wichtigste Faustpfand für Verhandlungen.

* Aus: Neues Deutschland, 29. Februar 2008

Alle außer Alvaro

Kolumbiens Präsident Uribe unter Druck: Staatschefs für Diplomatie zwischen Bogotá und FARC-Guerilla. Erneut Gefangene freigelassen. Frage nach Schicksal von Betancourt

Von Harald Neuber


Nachdem die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) zum zweiten Mal seit Jahresbeginn am Mittwoch (27. Februar) eine Gruppe politischer Gefangener freigelassen haben, gerät die Regierung in Bogotá zunehmend unter Druck. Denn angesichts des erneuten Vermittlungserfolges der linksliberalen kolumbianischen Abgeordneten Piedad Córdoba und der venezolanischen Regierung werden die Forderungen nach einer diplomatischen Lösung des sozialen und militärischen Konfliktes in Kolumbien international lauter. Eine solche Option werde unter anderem vom Präsidenten Frankreichs, Nicolas Sarkozy, dem Brasiliens, Luiz Inácio »Lula« da Silva, und der argentinischen Staatschefin Cristina Fernández unterstützt. Dies erklärte Venezuelas Präsident Hugo Chávez am Donnerstag nachmittag (Ortszeit) in Caracas. »Alle stimmen zu, außer (dem kolumbianischen Präsidenten Álvaro) Uribe«.

Am Mittwoch waren im Südosten Kolumbiens vier langjährige Gefangene der FARC von Vertretern des Internationalen Roten Kreuzes in Empfang genommen worden. Bei der Übergabe von Gloria Polanco, Orlando Beltrán, Jorge Géchem und Luis Eladio Pérez waren auch der venezolanische Innenminister Ramón Rodríguez Chacin und die kolumbianische Senatorin Córdoba anwesend. Es war ihr zweiter Verhandlungserfolg. Anfang des Jahres waren bereits zwei Frauen von den FARC freigelassen worden, auch damals hatte die venezolanische Regierung vermittelt. Kolumbiens Staatsführung steht der diplomatischen Initiative jedoch weiter ablehnend gegenüber. Im vergangenen August hatte sie dem venezolanischen Präsidenten und Córdoba das zunächst erteilte Mandat für Verhandlungen mit der FARC-Guerilla aberkannt. Caracas ließ aber nicht locker und mobilisierte mit wachsendem Erfolg Unterstützung für einen Dialog mit den linksgerichteten Rebellen.

Bestätigung erfährt dies auch durch die Exgefangenen. Nach Beltráns Meinung sehen die FARC inzwischen ein, daß die Entführung politischer Vertreter international nicht akzeptiert wird. Eladio Pérez bat Chávez, mit seiner Politik des Dialogs in Kolumbien »nicht zurückzuweichen«. Géchem dankte dem venezolanischen Präsidenten in Caracas für dessen »immense Solidarität«. Die Regierung in Bogotá kündigte indes an, die Militäroffensive gegen die Guerilla wieder aufzunehmen.

Nachdem binnen weniger Wochen die zweite Gruppe von Gefangenen der FARC befreit wurde, rückt das Schicksal der francokolumbianischen Abgeordneten Ingrid Betancourt stärker ins Interesse der Öffentlichkeit. Die 46jährige wird seit sechs Jahren von den FARC festgehalten. Nach Angaben des nun freigelassenen Eladio Pérez leidet die Politikerin unter schweren Krankheiten. Präsident Chávez wandte sich daraufhin direkt an den FARC-Gründer Manuel Marulanda: »Ich bitte dich darum, Ingrid an einen Stützpunkt in deiner Nähe bringen zu lassen, während wir weiter den Weg zu ihrer Freilassung ebnen«. Das Hauptziel sei weiterhin die Befreiung aller Gefangenen der Guerilla, so Chávez.

Neben bis zu 1000 Kriegsgefangenen hält die FARC rund 40 politische Häftlinge fest. Bei ihnen handelt es sich meist um verschleppte Politiker. Sie sollen gegen rund 500 inhaftierte Guerilleros ausgetauscht werden.

Aus: junge Welt, 1. März 2008




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