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Der Wille zum Frieden scheint größer denn je

Trotz vieler Hindernisse kommen die Gespräche voran

Von David Graaff, Bogotá *

Kolumbien ist einem Friedensschluss zwischen Regierung und der FARC-Guerilla näher als je zuvor. Doch dem Land stehen noch große Probleme bevor.

Es mangelt nicht an Stolpersteinen: Die für Montag geplante Fortsetzung der Friedensverhandlungen zwischen der kolumbianischen Regierung und der linken Rebellenorganisation FARC ist auf unbestimmte Zeit verschoben worden. Für das anstehende Thema der illegalen Drogen werde mehr Vorbereitung benötigt, hieß es am Sonntag aus kolumbianischen Regierungskreisen. Beide Seiten seien mit der Verschiebung einverstanden, ein neues Datum könne noch nicht genannt werden.

Bereits vergangene Woche sorgte eine andere Nachricht für Verwirrung. Der kolumbianische Verteidigungsminister Juan Carlos Pinzón teilte mit, der Geheimdienst habe einen Attentatsplan gegen den rechten Expräsidenten Álvaro Uribe und Generalstaatsanwalt Eduardo Montealegre aufgedeckt. Pinzón zufolge hätte die FARC-Einheit »Teófilo Forrero«, eine im Süden des Landes operierende Eliteeinheit der Guerilla, bereits mit den Vorbereitungen begonnen. Zwar schreibt die Wochenzeitschrift »Semana« in ihrer aktuellen Ausgabe, sie habe Zugang zu den »unumstößlichen Beweisen« gehabt, doch ließ Präsident Santos seinen Minister am Montag im Regen stehen: Die Anschlagspläne seien alt. »Die kenne ich seit meiner Zeit als Verteidigungsminister unter Uribe.«

FARC-Unterhändler Iván Márquez bestritt in einem am Montag veröffentlichten Interview mit dem Online-Portal »Las 2 Orillas« entsprechende Attentatspläne. Es sei inakzeptabel, dass solcher Tratsch die Friedensverhandlungen störe. Doch da war es schon zu spät: Die Aufdeckung der vermeintlichen Anschlagspläne fachte erneut die Debatte darüber an, ob alle FARC-Einheiten auf einer Linie mit dem vom Sekretariat der Rebellenorganisation eingeschlagenen Friedenskurs liegen.

Laut einer Studie des US-ThinkTanks »Insight Crime« ist ein Auseinanderfallen der FARC angesichts der Verstrickungen einzelner Einheiten in illegale Geschäfte wie Drogenhandel und Bergbau nicht unwahrscheinlich. Dies mache es für Kämpfer der zweiten oder dritten Reihe attraktiv, sich einer Niederlegung der Waffen zu verweigern. Schon einmal hat Kolumbien ein ähnliches Szenario erlebt: Einige Führungsfiguren der maoistischen EPL-Guerilla verweigerten sich Anfang der 90er Jahre der Demobilisierung und stiegen in den Folgejahren zu wichtigen Anführern paramilitärischer Gruppen mit knietiefen Verstrickungen in den Drogenhandel auf.

Insgesamt scheint die Regierung von Juan Manuel Santos ihrem Ziel eines Friedensschlusses mit der FARC näher zu sein als je eine andere Regierung in der kolumbianischen Geschichte. Noch stehen vier teils heftig umstrittene Punkte, der Drogenhandel, die Entwaffnung der Rebellen, die Entschädigung der Opfer sowie die Art und Weise der Abstimmung und die Umsetzung des Vereinbarten, auf der Agenda. Und die Verschiebung der aktuellen Runde mit dem Thema Drogenhandel zeigt, dass es durchaus zwischen den Verhandlungspartnern knirscht. Doch der Wille beider Seiten, ein Ende des Konfliktes gegen jegliche Widerstände durchzusetzen, scheint größer als bei allen anderen gescheiterten Versuchen der letzten 30 Jahre.

Inwieweit sich nach einer finalen Einigung allerdings wirklich die beabsichtigten Veränderungen einstellen, muss sich erst zeigen. Die großen Wirtschaftsverbände stehen auch hinter dem von Staatschef Santos eingeschlagenen Kurs, weil mit einem Friedensschluss die geregelte Ausbeutung von Rohstoffen in Regionen möglich werden könnte, in denen dies die Präsenz der FARC bisher verhindert. Allerdings kommt es bereits jetzt häufiger zu Protesten der Bevölkerung gegen die Folgen der zu einem gewichtigen Teil auf Ausbeutung von Primärressourcen aufbauenden Wirtschaftspolitik.

»In der dritten Phase des Friedensprozesses, also der Umsetzung der vereinbarten Maßnahmen, könnte es zu großen Problemen kommen«, warnt der Konfliktforscher Ariel Ávila im Gespräch mit dem »nd«. Die Gegner des Friedens, Teile des Militärs und die regionalen Eliten, könnten sich weigern, die in Havanna beschlossenen Maßnahmen zu akzeptieren und umzusetzen. »Außerdem sind die mehr als 200 meist abgelegenen Gemeinden, in denen die FARC präsent sind, derzeit finanziell und institutionell überhaupt nicht in der Lage, die bevorstehenden Aufgaben im Falle einer Demobilisierung der Guerilla zu bewältigen«, so Ávila. Allein die Reintegration von 8000 FARC-Kämpfern und rund 30 000 Milizionären und Unterstützern sei eine Herkulesaufgabe.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 20. November 2013


"Wir als FARC wollen den Frieden, aber wir sind auch keine Dummköpfe"

Die Guerillera Tanja Nijmeijer sitzt bei den Verhandlungen am Tisch und ist weiter optimistisch **

Die 35-jährige Niederländerin Tanja Nijmeijer, Kampfname »Alexandra Nariño«, ist seit 2002 Mitglied der kolumbianischen FARC-Guerilla und Mitglied der Delegation, die seit einem Jahr mit der kolumbianischen Regierung in Havanna über eine Ende des fast 50-jährigen Konfliktes verhandelt. Mit ihr sprach David Graaff für »nd«.

Ein Jahr nach dem Beginn der Friedensgespräche: Wie nah ist Kolumbien heute dem Frieden?

Die Einigung im zweiten Punkt der Agenda, der »politischen Beteiligung«, war ein wichtiger Schritt. Der Ausschluss der Menschen aus den politischen Entscheidungsprozessen war ja der Grund, warum dieser Krieg vor fünf Jahrzehnten begonnen hat. Wir, die Bewaffneten Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC), haben zu den Waffen gegriffen, weil uns die friedlichen Mittel, um für eine Agrarreform zu kämpfen, verwehrt geblieben sind. Die Einigung hat gezeigt, dass die Regierung diesmal wirklich willens ist, den Konflikt zu beenden. Aber noch stehen vier Punkte auf der Verhandlungsagenda.

Wie werden die FARC das Land als politische Partei verändern?

Wir werden versuchen, Verteidiger der unteren Klassen zu sein. Wenn sich die materiellen Bedingungen der kolumbianischen Bevölkerung verbessern und nicht nur die einer kleinen Gruppe, kann man mit dem Aufbau einer völlig anderen Gesellschaft beginnen, die auf wirtschaftlicher Gleichheit basiert.

Sind andere Länder Lateinamerikas dabei ein Vorbild?

Das Wichtige ist, dass jedes Land sein eigenes Schicksal selbst definieren kann, ohne Einschränkungen und repressive Maßnahmen. Die Prozesse in anderen Ländern des Kontinents können Vorbild für eine alternative Entwicklung sein, aber jedes Land ist verschieden.

Wird es Fotos der FARC geben, wie sie ihre Waffen abgeben?

Wir haben immer gesagt, dass wir keine Angst vor diesem Thema haben. In der Vereinbarung zu den Friedensgesprächen ist der Punkt der Niederlegung der Waffen verankert und das hat auch seinen Sinn. Für uns sind die Waffen ein Mittel, um uns vor dem Staatsterrorismus zu verteidigen: dem Verschwinden von Personen, den sogenannten falschen Erfolgen, dem vom Staat angetriebenen Paramilitarismus. Wenn diese Faktoren verschwinden, werden auch die Waffen überflüssig. Die herrschende Klasse Kolumbiens hat linke Bewegungen wiederholt mit Versprechungen betrogen, zuletzt im Falle der Linkspartei Union Patriótica in den 80er und 90er Jahren, als 3000 ihrer Mitglieder ermordet wurden. Wir als FARC wollen den Frieden, aber wir sind auch keine Dummköpfe.

Den FARC werden schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen, unter anderem die Entführungen. War es aus heutiger Sicht ein Fehler, diese Praxis erst 2012 zu beenden?

Ich glaube, jeder Guerillero der FARC würde einverstanden sein zu sagen, dass wir diese Praxis der Entführungen, wir nennen es »wirtschaftliche Einbehaltung«, zu lange aufrechterhalten haben. Dennoch war diese Praxis in ihrem Moment notwendig. Der kolumbianische Staat fordert von seinen Bürgern auch Steuern, um den Krieg zu finanzieren. Also erheben wir in den von uns kontrollierten Gebieten auch Steuern auf Vermögen über eine Million Dollar. Unsere Gefangenen wurden immer respektvoll behandelt, was nicht heißen soll, dass es eine einfache Situation ist, gegen seinen Willen im Dschungel eingesperrt zu sein.

Der nächste Punkt auf der Verhandlungsagenda ist der Drogenhandel. Was schlagen die FARC zur Lösung des Problems vor?

Das Thema des illegalen Anbaus muss als soziales Problem verstanden und behandelt werden, nicht als Problem der Kleinbauern, die davon leben, weil sie sonst nicht wissen, wie sie über die Runden kommen sollen.

Auch Teile der FARC sind in den Drogenhandel verstrickt ...

Wir sind eine militärisch-politische Organisation in einem Land, dessen Strukturen komplett vom Drogenhandel durchsetzt sind. Deshalb hat sich die Auffassung durchgesetzt: Wenn die FARC die Waffen niederlegen, dann löst sich auch das Problem des Drogenhandels. Dem ist nicht so. Wir sind weder die Ursache des Drogenhandels noch diejenigen, die ihn kontrollieren oder vorantreiben.

Wie hoch ist die Gefahr, dass einzelne FARC-Mitglieder sich dem Frieden verweigern?

Wenn sich die FARC durch eines in ihrer Geschichte ausgezeichnet haben, dann ist es ihre Einheit. Die kolumbianischen Regierungen haben schon oft versucht, Keile zwischen uns zu treiben. Zum Beispiel hieß es, der »Bloque Sur« sei nicht mit den Friedensverhandlungen einverstanden. Die Kommandanten dieses Bloques mussten sogar eine Erklärung veröffentlichen, dass sie sehr wohl damit einverstanden sind. Allerdings ist diese Erklärung in den Medien kaum beachtet worden. So funktioniert' das: Die Medien sagen das eine, die FARC dementieren, aber im Kopf der Leute bleibt das zurück, was zuerst gesagt wurde.

Was geschieht, wenn die Verhandlungen scheitern sollten?

Die große Mehrheit der Kolumbianer will einen Frieden mit sozialer Gerechtigkeit. Eine kleine Gruppe der extremen Rechten will ihn nicht, weil sie am Krieg mitverdient. Doch der Krieg kann nicht ewig weitergehen. Wir als FARC werden uns jedenfalls nicht vom Verhandlungstisch erheben, bis ein Frieden mit sozialer Gerechtigkeit erreicht ist.

Wie lange wird es noch dauern, bis es zur Unterzeichnung des Friedensabkommens kommt?

Wir haben fast 200 Vorschläge zu allen Themenbereichen vorgelegt. Wenn die Regierung wirklich wollte, könnten wir diese demokratischen Vorschläge umsetzen und nächste Woche die Einigung unterzeichnen. Aber es sind nun mal zwei gegensätzliche Positionen und manchmal gibt es wirklich heftige Diskussionen. Aber das ist normal nach fast einem halben Jahrhundert des Konfliktes. Denn wenn es nicht zu den notwendigen Veränderungen in der kolumbianischen Gesellschaft kommt, wird das die Entstehung neuer Guerillas oder Bewegungen begünstigen. Der Frieden ist nicht nur das Schweigen der Gewehre.

Wo sehen Sie sich in zwölf Monaten?

Wenn ich träumen könnte, dann wäre ich in einem Jahr in Kolumbien und würde meinen Teil zum Aufbau einer wirklichen Demokratie beitragen. Vielleicht im Bildungswesen oder im Bereich der Medien. Das interessiert mich sehr.

** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 20. November 2013


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