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Fortschritt bei kolumbianischem Friedensdialog in Havanna

Regierung und FARC einigen sich im Verhandlungspunkt "politische Teilhabe"

Von David Graaff, Bogotá *

Bei ihren Friedensverhandlungen in Havanna haben die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) und die kolumbianische Regierung die Tür zum Frieden ein großes Stück weiter geöffnet.

Der Moment war lange erwartet worden. Als Rodolfo Benítez, der kubanische Begleiter der Friedensgespräche, im prall gefüllten Pressesaal des Palacio de Convenciones in Havanna eine gemeinsame Erklärung der beiden Verhandlungsparteien zu verlesen begann, war die Erleichterung groß: Die Delegationen hatten sich in der Frage der politischen Teilhabe geeinigt. Dieser zweite von fünf Verhandlungspunkten galt als ein Gordischer Knoten, der auf dem Weg zur Beendigung des jahrzehntelangen Konflikts in Kolumbien zerschlagen werden musste. Im Mai hatten sich beide Seiten bereits auf eine Landreform geeinigt. Verhandelt wird zudem über den Kampf gegen den Drogenhandel, die Entwaffnung der Rebellen und die Entschädigung der Opfer. Erst wenn in allen Punkten Einigkeit besteht, sollen die Einzelvereinbarungen in Kraft treten.

Im Zentrum der jüngsten Einigung steht die Demokratisierung des politischen Systems. Ivan Marquez, Verhandlungsführer der Guerilla, sieht bei Umsetzung des Vereinbarten »die Türen zu einer wirklichen Demokratie« geöffnet. Vor allem die sozialen Bewegungen sollen gestärkt werden. Die Mechanismen zur Gründung einer politischen Partei sollen reformiert, die Bürgerbeteiligung erweitert und der Zugang zu den Medien vereinfacht werden. Das gültige Gesetz, das die politische Teilhabe der Bevölkerung außerhalb des institutionellen Weges stark einschränkt, gilt Kritikern als eines der größten Demokratiedefizite in Kolumbien. Ivan Cepeda, Kongressabgeordneter der Linkspartei Polo Democrático, begrüßte im »nd«-Gespräch die Vereinbarung. Deren Umsetzung »würde eine fundamentale Veränderung der bisherigen Formen politischer Beteiligung bedeuten«, sagte er. Vorgesehen ist, zivile Kontrollmechanismen auf kommunaler Ebene einzurichten sowie alternative und öffentliche Medien zu stärken.

In den vergangenen Monaten war wiederholt darüber polemisiert worden, wie die Akteure der FARC in das politische System einbezogen werden sollen. Die Rebellen forderten, den Bewohnern abgelegener und vom Staat vernachlässigter Regionen größere Aufmerksamkeit zu widmen. Eine Übergangslösung sieht nun vor, dass Kolumbiens Repräsentantenhaus um – wie zu erfahren war – elf Sitze für gewählte Vertreter bestimmter Regionen erweitert werden soll. Das ist eine indirekte Eintrittskarte für die FARC und ihr nahestehende Bewegungen. Darüber allerdings, wie die FARC selbst auf legalem Wege von einer Guerilla zur politischen Partei werden können, wollen beide Seiten erst diskutieren, wenn Einigkeit über das nächste Thema – die »Lösung des Problems illegaler Drogen« – besteht.

In der gemeinsamen Erklärung sprechen die FARC erstmals auch selbst von einer »Niederlegung der Waffen«. Bisher hatten die Rebellenvertreter stets betont, es werde keine Fotos geben, auf denen die Kämpfer ihre Waffen abgeben. Entsprechend enthusiastisch gab sich Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos am Mittwochabend in einer Fernsehansprache. Er sei überzeugt davon, »dass wir uns nicht mit einem weiteren halben Jahrhundert des Krieges werden abfinden müssen«. Der Präsident spürt offenbar Rückenwind, nachdem ihn vor allem die rechtsextreme Opposition mangels Fortschritten bei den Verhandlungen heftig kritisiert hatte. Forderungen, den Dialog vor den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im Mai 2014 zu unterbrechen, wies er zurück. Angesichts der Fortschritte sei nicht der Moment für ein Unterbrechung, sondern für eine Beschleunigung gekommen, sagte Santos, der seine Wiederwahl anstrebt.

Nach Aussagen von Kolumbiens Außenministerin María Angela Holguín steht die Regierung kurz davor, einen Friedensprozess auch mit der zweitgrößten Guerillagruppe, der Nationalen Befreiungsarmee ELN (Ejercito de Liberación Nacional), in die Wege zu leiten.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 8. November 2013


Schritt zum Frieden

Kolumbien: FARC-EP und Regierung schließen bei Verhandlungen in Havanna Abkommen über politische Beteiligung der Guerilla. Nestlé-Arbeiter beginnen Hungerstreik

Von André Scheer **


In den vergangenen Tagen hatte es so ausgesehen, als stünden die Friedensverhandlungen zwischen der kolumbianischen Guerillaorganisation FARC-EP und der Regierung von Präsident Juan Manuel Santos vor dem Scheitern. Der öffentlich angeschlagene Ton zwischen beiden Seiten, die seit mehr als einem Jahr in Havanna über ein Ende des jahrzehntelangen bewaffneten Konflikts verhandeln, war zunehmend schärfer geworden. In kolumbianischen Blättern kursierte ein Foto, das Mitglieder der FARC-Delegation bei einer Erholungspause auf einer Yacht zeigte. Santos gab sich unzufrieden über die langsamen Fortschritte bei den Gesprächen. Die Guerilla ihrerseits warf den Regierungstruppen wiederholt Verstöße gegen vereinbarte Protokolle vor. Am Mittwoch überraschten dann jedoch die Unterhändler beider Seiten einmal mehr die Öffentlichkeit. Die Repräsentanten Kubas, Rodolfo Benítez, und Norwegens, Dag Halvor, deren Regierungen als Garanten für den Dialog gelten, ließen sie die frohe Botschaft verkünden: Man sei zu einem Grundsatzabkommen über Fragen der politischen Beteiligung in Kolumbien gekommen.

Es ist das zweite Einzeldokument, das die Verhandlungsdelegationen unterzeichnen. Im Mai war bereits eine Einigung in der Agrarfrage erreicht worden. Allerdings betonten beide Seiten auch am Mittwoch den Vorbehalt, daß »nichts vereinbart ist, bevor alles vereinbart ist«. Ohne ein abschließendes Gesamtabkommen sind alle bis dahin erreichten Absprachen null und nichtig. Und bis dahin ist es ein weiter Weg, denn noch sind mehrere Themenbereiche zu diskutieren: der konkrete Weg zur Beendigung des Konfliktes, eine Lösung des Drogenproblems und der Umgang mit den Opfern des Krieges. Als sechster und letzter Punkt steht auf der Agenda das Verfahren der Inkraftsetzung des Friedensvertrages nach der Unterzeichnung, und auch hier lauern noch manche Fallstricke.

Trotzdem ist das jetzt erreichte Abkommen ein Durchbruch, denn behandelt wurde, wie der Opposition in Kolumbien künftig garantiert werden soll, daß sie gefahrlos ihre Meinung kundtun kann. Ende der 80er Jahre war ein damals unterzeichnetes Friedensabkommen blutig gescheitert, als Tausende Mitglieder der von den FARC gegründeten legalen Partei Unión Patriótica (UP) von Todesschwadronen ermordet wurden. Jetzt wird in dem Papier ausdrücklich eine »Stärkung und Vertiefung der Demokratie« gefordert, um ein »Klima des Zusammenlebens und der Toleranz« zu schaffen, in dem die »neue Bewegung, die aus den FARC-EP hervorgeht«, legal politisch arbeiten kann. Die Diskussion über deren konkreten Charakter ist im nun bevorstehenden dritten Themenblock vorgesehen.

Leicht wird es nicht, das Gemenge aus ultrarechten Paramilitärs, Drogenbanden sowie Hardlinern in Militär und Staatsapparat zur Aufgabe des schmutzigen Krieges zu bewegen. Bis heute gilt Kolumbien als eines der gefährlichsten Länder der Welt für Gewerkschafter und andere soziale Aktivisten. Erst am Dienstag waren Arbeiter des Lebensmittelmultis Nestlé in einen Hungerstreik getreten. Hintergrund der Protestaktion ist die Forderung der Gewerkschaft Sinaltrainal, einen bereits im Juni 2012 unterzeichneten Tarifvertrag einzuhalten. Die Geschäftsleitung weigert sich jedoch, mit der Gewerkschaft zu verhandeln und übt Druck auf die Beschäftigten aus, sich einer unternehmensnahen Konkurrenzorganisation anzuschließen. Ende Oktober spitzte das Unternehmen die Lage zu, als der Präsident von Nestlé Kolumbien, Manuel Andrés, den Gewerkschaften unterstellte, zu Gewalt und Sabotage aufgerufen zu haben. Die in der Schweiz ansässige Nichtregierungsorganisation MultiWatch warnt: »Solche Bezichtigungen machen die Gewerkschafter zu einer Zielscheibe für Paramilitärs. Gewerkschafter in Nestlé-Fabriken wurden in der Vergangenheit wiederholt mit dem Tod bedroht, dabei waren immer Gewerkschafter betroffen, welche in einen Arbeitskonflikt mit Nestlé involviert waren. Nestlé hat sich dazu nicht geäußert und unternimmt keine Anstrengungen, um die Sicherheit der Gewerkschafter zu garantieren.«

** Aus: junge welt, Freitag, 8. November 2013


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