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Friedenshoffnung in Kolumbien

Dialog zwischen Regierung und FARC könnte im Herbst beginnen

Von Jürgen Vogt, Buenos Aires *

Die kolumbianische Regierung und die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) haben offenbar vereinbart, Friedensverhandlungen aufzunehmen. Nach fast einem halben Jahrhundert der Gewalt keimt Hoffnung im südamerikanischen Staat.

Ein Friedensdialog solle bereits im November in der norwegischen Hauptstadt Oslo beginnen, meldete der Fernsehsender Telesur am Montag. Andere Medien berichteten, die Verhandlungen sollten bereits am 5. Oktober in Oslo beginnen und in Kuba fortgesetzt werden. Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos bestätigte noch am Montag, dass die Regierung »Sondierungsgespräche« mit der FARC führe. In den kommenden Tagen werde man die Ergebnisse der »Annäherung« an die FARC bekannt geben. Der Staatschef verwies darauf, dass auch das Heer zur Nationalen Befreiung (ELN), die kleinere Guerillaorganisation, Interesse an einem Friedensdialog bekundet habe.

Spekulationen über einen Kurswechsel des Präsidenten im Konflikt mit der Guerilla kursierten seit einiger Zeit. Nahrung erhielten sie vergangene Woche, als das Kabinett zur Halbzeit der vierjährigen Amtsperiode von Santos geschlossen seinen Rücktritt einreichte. Der Präsident habe nun freie Hand, um mit neuen Gesichtern einen Dialog mit der Guerilla aufzunehmen, hieß es.

In seiner Erklärung formulierte Santos drei Prinzipien auf: Erstens solle aus Fehlern der Vergangenheit gelernt werden, zweitens müsse jeder Prozess zum Ende des Konflikts führen, nicht zu seiner Verlängerung, und drittens werde die militärische Präsenz der Regierungskräfte »auf jedem Zentimeter des nationalen Territoriums« aufrechterhalten.

Damit grenzt sich Santos deutlich von früheren Versuchen einer Konfliktlösung durch Verhandlungen ab. Unter Präsident Andrés Pastrana (1998-2002) wurde der Dialog in einer entmilitarisierten Zone in der Region San Vicente del Caguán geführt. Die militärischen Operationen in der Region wurden eingestellt und die Soldaten abgezogen, die Gespräche aber scheiterten letztlich.

Schon zu Beginn seiner Amtszeit hatte Santos die Gültigkeit des Gesetzes verlängert, das den Gesprächen unter Pastrana zu Grunde lag. Doch wurde es in zwei Punkten modifiziert: Ein künftiger Dialog muss an einem neutralen Ort im Ausland stattfinden und es darf keinerlei neutrale Zone in Kolumbien geben. Folglich könnte auch die seit Februar laufende militärische Offensive gegen die FARC fortgesetzt werden. Dass Santos jedoch tatsächlich einen Dialog mit der Guerilla anstrebt, war spätestens seit Mitte Juni klar. Damals verabschiedete der Senat ein Gesetz, das den Rahmen für einen Friedensprozess bestimmte. Dazu wurde eigens die Verfassung geändert. Eine Rückkehr der Guerilleros ins zivile Leben setzt demnach voraus, dass sie ihre Waffen niederlegen, alle Geiseln und Kindersoldaten freilassen, Verantwortung für ihre Taten übernehmen und sich bereit erklären, die Opfer zu entschädigen. Ausdrücklich ausgeschlossen sind Kämpfer, die am Drogenhandel beteiligt waren oder schwere Menschenrechtsverbrechen begangen haben.

Der Rundfunksender RCN berichtete, die »Sondierungsgespräche« hätten in Kuba stattgefunden. Auch die Regierungen Venezuelas und Chiles hätten ihren Beitrag zum Zustandekommen geleistet. Santos' Vorgänger Alvaro Uribe hatte entsprechende Kontakte in der vergangenen Woche als »unbegreiflich« bezeichnet, wogegen laut einer Umfrage in Kolumbien 74,2 Prozent der Befragten einen Friedensdialog gutheißen. Der Konflikt zwischen FARC und dem Staat hatte 1964 begonnen. Schätzungen zufolge haben die militärischen Auseinandersetzungen und Anschläge, an denen auch andere Guerillagruppen und rechte Paramilitärs beteiligt sind, mehr als 200 000 Menschenleben gekostet. Sollte in den künftigen Gesprächen tatsächlich ein Durchbruch gelingen, dürften die Beteiligten durchaus als Anwärter für den Friedensnobelpreis gelten.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 29. August 2012


Frieden für Kolumbien

Nach wochenlangen Geheimgesprächen in der kubanischen Hauptstadt haben sich die kolumbianische Regierung und die FARC-Guerilla auf die Aufnahme offizieller Friedensverhandlungen geeinigt. Venezuela, Kuba und Norwegen vermitteln. Auftakt am 5. Oktober in Oslo, Fortsetzung in Havanna.

Von André Scheer **


Nach wochenlangen Geheimgesprächen in der kubanischen Hauptstadt Havanna haben sich die kolumbianische Regierung und die FARC-Guerilla auf die Aufnahme offizieller Friedensverhandlungen geeinigt. Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos bestätigte in der Nacht zum Dienstag einen entsprechenden Bericht des lateinamerikanischen Fernsehsenders TeleSur. Es habe »Sondierungsgespräche« gegeben, sagte der Staatschef in einem knappen Statement. Nähere Angaben zu den Ergebnissen werde man »in den nächsten Tagen« veröffentlichen.

TeleSur hatte zuvor unter Berufung auf »absolut zuverlässige Quellen« berichtet, hochrangige Abgesandte der Regierung und der Rebellen hätten seit Mai durch Vermittlung Kubas, Venezuelas und Norwegens in Havanna über die Aufnahme offizieller Gespräche verhandelt. Von seiten der FARC nahm demnach unter anderem der Comandante Mauricio Jaramillo, ein Mitglied des siebenköpfigen Sekretariats des Guerilla-Oberkommandos, an den Gesprächen teil. Bogotá sei unter anderem durch Umweltminister Frank Pearl und durch Enrique Santos Calderón, einen Bruder des Staatschefs, vertreten gewesen. Die Parteien hätten vereinbart, die Verhandlungen im Oktober offiziell in der norwegischen Hauptstadt Oslo zu eröffnen, um sie dann in Havanna fortzusetzen. Angestrebt werde, den Verhandlungstisch nicht vor Erreichen eines Friedensabkommens zu verlassen.

Die Initiative für die Gespräche geht offenbar auf den im November 2011 ermordeten Alfonso Cano zurück. Der damalige oberste Comandante der FARC hatte im August 2011 in einem von der alternativen Nachrichtenagentur ANNCOL verbreiteten Video zu einer politischen Lösung aufgerufen, um den seit Jahrzehnten anhaltenden Bürgerkrieg zu beenden. Auch nach dem Tod Canos hatte die Guerilla ihre Bereitschaft zu Gesprächen wiederholt, so in einem am 19. April veröffentlichten Kommuniqué. Zu dem jetzt vermeldeten Durchbruch äußerten sich die FARC zunächst nicht.

Am Dienstag meldete der regierungsnahe kolumbianische Rundfunksender RCN, die offizielle Eröffnung der Verhandlungen werde am 5. Oktober in Oslo stattfinden. Auch die USA seien über die Verhandlungen informiert und würden diese unterstützen, »aber sie werden sich nicht äußern, weil bei ihnen gewählt wird und weil die Gespräche in Kuba stattfinden«.

Die Kolumbianische Kommunistische Partei (PCC) begrüßte in einer Erklärung die Friedensverhandlungen als »großen Schritt«, kritisierte jedoch die Ankündigung Santos’, alle Militäroperationen uneingeschränkt fortzusetzen. »Es ist besorgniserregend, daß dieser Prozeß inmitten von Gefechten, Luftangriffen, der extremen Militarisierung des Landes und des Fortbestehens der paramilitärischen Aufstandsbekämpfung ablaufen soll«, so die Partei, deren Mitglieder selbst immer wieder Ziel der rechtsextremen Todesschwadronen geworden sind. Die kolumbianische Linke dürfe nicht auf einer passiven Zuschauerposition verharren, sondern müsse aktiv eingreifen. Nötig seien »neue Ebenen des politischen Kampfes und die Einheit der Linken«.

Santos’ Amtsvorgänger Álvaro Uribe reagierte mit scharfer Kritik auf die angekündigten Verhandlungen. Sein Nachfolger habe »Chávez’ Komplizenschaft mit der Guerilla legitimiert«. Der venezolanische Präsident könne nun im Wahlkampf als Friedensengel auftrumpfen, der »die Kolumbianer an einen Tisch gesetzt« habe.

** Aus: junge Welt, Mittwoch, 29. August 2012


Gute Nachricht

Verhandlungen in Kolumbien

Von André Scheer ***


Endlich Frieden für Kolumbien? Die Aufnahme von direkten Verhandlungen zwischen der Regierung in Bogotá und der Guerilla der FARC-EP ist eine gute Nachricht.

Offensichtlich hat sich in der Regierung des südamerikanischen Landes die Einsicht durchgesetzt, daß ein militärischer Sieg über die Aufständischen kaum möglich sein wird. Das ist eine Abkehr von den Fanfaren, mit denen Bogotá bis vor wenigen Monaten noch einen unmittelbar bevorstehenden Sieg über die Aufständischen verkündet hatte. Doch inzwischen hat sich gezeigt: Durch das gezielte selektive Ermorden der führenden Comandantes der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens kann man diese schwächen, aber nicht zerschlagen. Die Regierungstruppen konnten die FARC zurückdrängen, doch der Krieg könnte noch Jahre oder Jahrzehnte weitergehen, ohne daß eine Seite einen entscheidenden Erfolg über die andere erringen würde.

Die Ursachen für den seit mehr als einem halben Jahrhundert andauernden Konflikt in Kolumbien sind auch heute noch soziale. Noch immer ist die Landverteilung extrem ungerecht, machen Todesschwadronen Jagd auf Oppositionelle, werden Gewerkschafter und Linke ermordet, gibt es enge Verbindungen zwischen Drogenmafia, Militär und Staatsapparat, sitzen Tausende politische Gefangene in den Haftanstalten.

Auch wenn Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos es ernst meint – und die wutschäumende Reaktion seines Amtsvorgängers Álvaro Uribe deutet darauf hin –, stehen Kolumbien lange und komplizierte Verhandlungen bevor. Ein Scheitern ist nicht ausgeschlossen. Die Feinde des Friedens stehen oftmals direkt neben Santos. Teile des Militärs, der Wirtschaft und des Staatsapparats sehen im Krieg vor allem ein Geschäft – seien es Schmiergelder aus den Drogenbanden, gute Geschäfte für Rüstungsproduzenten, oder die »stabile Auftragslage« für die Generäle. Großgrundbesitzer profitieren von der Gesetzlosigkeit in den abgelegenen Regionen des Landes, wo sie Proteste der Bauern und anderer Oppositioneller noch immer in Blut ersticken können. Für diese Kräfte wäre nur eine bedingungslose Kapitulation der Guerilla hinnehmbar. Diese jedoch hat ihre Forderung seit Jahrzehnten klargemacht: Frieden ohne soziale Gerechtigkeit ist unmöglich.

Der erreichte Durchbruch zeigt aber auch: Nur, wer die Guerilla als Gesprächspartner akzeptiert, kann einer politischen Lösung näherkommen. Neben Venezuela und Kuba hat sich Norwegen als Vermittler hervorgetan. Oslo hat lange Erfahrungen als neutrale Instanz bei Bürgerkriegen wie etwa in Sri Lanka – und erkennt deshalb seit Anfang 2006 die EU-Terrorliste nicht mehr an. Nach den Anschlägen in den USA 2001 hatte Oslo diese zunächst übernommen, mußte dann aber erkennen, daß sie seine »Dialogrolle erschweren« würde. Auf dieser schwarzen Liste sind auch die kolumbianischen Guerillaorganisationen aufgeführt. Wäre sie heute in Norwegen noch gültig, hätte Oslo nicht mit den Aufständischen reden dürfen, sondern sie verhaften müssen.

*** Aus: junge Welt, Mittwoch, 29. August 2012 (Kommentar)


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