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Friedensgespräche "auf gutem Weg"

Kolumbianische Konfliktparteien melden aus Havanna erste Forschritte

Von Leo Burghardt, Havanna *

Bei der ersten Runde der Friedensgespräche zwischen der kolumbianischen Regierung und der FARC/EP-Guerilla in Havanne hat es offenbar Fortschritte gegeben. Der Weg zu einem Abkommen ist freilich noch weit.

Humberto de la Calle gibt sich wortkarg. Nach zehntägiger Dauer der Friedensgespräche flog der ehemalige Vizepräsident Kolumbiens mit seiner Delegation am Donnerstag nach Bogotá, um Präsident Juan Manuel Santos Bericht zu erstatten. Im Gegensatz zu den Guerilleros ließ de la Calle die Hundertschaft Journalisten, die vor dem Portal des Kongresspalastes aufmarschiert, wo die Verhandlungen stattfinden, bisher vergebens auf eine Stellungnahme warten. Er winkt immer freundlich und verschwindet dann mit seinen Leuten. Selbst die Erklärung, dass eine erste Vereinbarung zustande gekommen war, überließ er dem FARC-Comandante Jesús Santrich, der das erste Resultat sichtlich bewegt kommentierte: »Die Verhandlungen befinden sich auf einem guten Weg, der Prozess gewinnt an Tiefe«.

Der Grund für seine Einschätzung: Beide Parteien werden zum 17. bis 19. Dezember ein gemeinsames Bürgerforum nach Bogotá einberufen, auf dem Punkt 1 ihrer Prioritätenliste diskutiert werden soll: die Entwicklung einer integralen Agrarpolitik, gerechter Bodenbesitz und die Nutzung des Landes. Die extrem ungerechte Landverteilung bildete den Ausgangspunkt der Jahrzehnte andauernden Gewalt, die 600 000 oder mehr Menschen das Leben kostete und vor 48 Jahren zur Formierung der FARC/EP-Guerilla führte. Sie war der Zusammenschluss von vier bäuerlichen Selbstschutzorganisationen.

Dass sich an der extrem ungleichen Landverteilung in Kolumbien nichts zum Guten geändert hat, stellte unlängst das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) für 2011 fest: Es registrierte eine »alarmierende Konzentration des Bodenbesitzes in Kolumbien«. 64 Prozent der bäuerlichen Bevölkerung »befinden sich in einem Zustand der Armut, 3,6 Millionen Menschen wurden in den vergangenen Jahren von ihrem Boden vertrieben«. Drei Millionen kolumbianische Familien besitzen »knapp fünf Millionen Hektar Land, während 3000 Latifundistas 40 Millionen Hektar ihr Eigen nennen«. 128 Staaten wurden von UNDP untersucht, Kolumbien liegt auf Platz 126, nur Haiti und Angola schneiden schlechter ab.

Die Methoden der Landlords, die Bauern zu vertreiben, um ihren oft teils brachliegenden Besitz zu vergrößern, waren und sind barbarisch. Die ersten Bauerngruppen bildeten sich bereits 1949. Sie versuchten unter der Losung »Das Land denen, die auf ihm ernten«, den ihnen geraubten Boden zurückzuerobern. Die Landlords, die Großgrundbesitzer und ihre Pistoleros reagierten mit systematischen Morden. 1964 richteten sie das berüchtigte Massaker in Marquetalia an. Nie erfuhr man, wie viele Bauern und Landarbeiter mit Waffen niedergemäht wurden. Hunderte! Das war jener Akt von brutaler Gewalt, in dessen Folge die FARC/EP-Guerilla entstand. Einer der Gründer, Manuel Marulando, war bis zu seinem Tode oberster Befehlshaber. 2008 erlag er einem Herzinfarkt. Die 48-jährige Sandra Ramírez, die 15 Jahre seine Gefährtin war, gehört der FARC/EP-Delegation in Havanna an.

Am 14. November, während eines Besuchs in Portugal, offenbarte Kolumbiens Präsident Santos, dass er auch mit der anderen Guerilla-Organisation ELN (Nationale Armee der Befreiung) Kontakt habe. In diesem Zusammenhang sprach er erneut Kuba als Gastgeber der seit Ende der 80er Jahre immer wieder unternommenen Gesprächsversuche seinen Dank aus. »Kuba hat uns sehr geholfen, sonst wären wir nicht so weit, wie wir heute sind. Die Art zu helfen, verdient unsere Dankbarkeit und hoffentlich können wir diese Beziehungen weiterführen. Kuba hat Diskretion, Ernsthaftigkeit, Realismus und Wirksamkeit bewiesen.«

Kuba hatte eine Zeit lang FARC/EP und ELN mit Know-how und Waffen unterstützt. Doch bei der Beisetzung der Reste Che Guevaras 1997 in Kuba verkündete Fidel Castro, dass der Zeitpunkt für eine kontinentale Erhebung endgültig verpasst sei. Danach wurde er als rühriger Vermittler aktiv. Für die vorangegangenen Bemühungen, die FARC und Regierung an einen Tisch zu bringen, hatte er ebenfalls das Terrain bereitet. Der ehemalige kolumbianische Präsident Andrés Pastrana rühmte 1999 die »Autorität Fidel Castros. Er ist ein ausgezeichneter, erfahrener Verbündeter, dessen Ratschläge von großem Wert sind.« Schließlich hatte sein Einfluss bewirkt, dass sich die Guerilla-Organisation M-19 1990 auflöste und als politische Partei etablierte. Ihre Erfahrungen waren bitter, waren abschreckend, denn der charismatische M-19-Chef Carlos Pizarro wurde 1990 von einem Killer in einer fliegenden Boeing erschossen. Hunderte andere von den 800, die aus den Bergen gekommen waren, teilten sein Schicksal, sie wurden umgebracht, ihre Partei erlosch.

Das wird Punkt 2 in Havanna sein: Wie und mit welchen Garantien können sich die Guerilleros ins zivile Leben eingliedern? Die FARC-Sprecher betonen, dass sie sich erst endgültig vom Verhandlungstisch erheben wollen, wenn das gemeinsame Ziel, Frieden unter Einbeziehung aller Kolumbianer zu schaffen, erreicht ist. Santos dahingegen setzte eine Frist, etwa Juni 2013. Aber das hatte er gesagt, noch ehe die Verhandlungen begonnen hatten.

US-Präsident Barack Obama, unlängst gefragt, wie er die Verhandlungen in Havanna einschätze, antwortete ausweichend. Sinngemäß: Er sei natürlich am Frieden in Kolumbien interessiert. Bis heute hat er nirgendwo durchblicken lassen, was er vom Rat seines Vorgängers Jimmy Carter hält, der ihm im September nicht zum ersten Mal empfohlen hatte, Kuba aus der »infamen, wie ich meine, State-Departement-Liste der Länder zu streichen, die als Schutzherren des Terrorismus gelten«. Carter erinnerte: »Der Hauptgrund dafür war ja, dass die FARC ein Büro in Havanna hatten.«

* Aus: neues deutschland, Montag, 03. Dezember 2012


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