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Conchas Wort hat im Barrio Gewicht

Wie kolumbianische Frauen ihr Selbstbewusstsein stärken

Von Knut Henkel *

Die Stimme der Frauen hat in der kolumbianischen Gesellschaft an Gewicht gewonnen. Das ist auch ein Verdienst von Gemeinde- und Kulturzentren in den einfachen Stadtteilen. Ein Beispiel ist das Centro Cultural Popular Meléndez in Cali. Dort treffen sich die Frauen aus dem Viertel, tauschen sich aus und kümmern sich um ihre eigene Ausbildung und die ihrer Kinder. Bei den Männern mussten sie diesen Freiraum erst durchsetzten. Concepcíon Sánchez deutet auf das Blatt Papier mit dem Gedicht, das im Glaskasten des Gemeindezentrums hängt. »Das ist so etwas wie die Gründungsurkunde unseres Frauenkreises«, erklärt die 64-Jährige mit einem breiten Lachen. Die rotblonde Frau mit der kräftigen Stimme ist von Beginn an dabei und freut sich, dass immer mehr junge Frauen zum wöchentlichen Treffen in Alto Jordán kommen.

Ohne sie gäbe es die Gruppe nicht

Alto Jordán, so heißt das kleine Stadtviertel am Rande von Cali, das sich buchstäblich in den steilen Hügel krallt. Den zu bewältigen, haben nicht nur Busse und Autos Schwierigkeiten, auch den Bewohnern verlangt die Steigung alles ab. Viele Frauen kommen jedes Jahr mit ihren Kindern neu nach Cali. Sie flüchten aus den Bürgerkriegsregionen des Landes in die vermeintlich sicheren Städte. Concepción Sánchez setzt sich für sie ein. Sie demonstrierte gegen die Beschlagnahme von Baumaterialien durch die herrisch auftretende Polizei, kämpfte für eine Schule. »Erfolgreich«, lacht die resolute Frau. Die Schule trägt den Namen »La Esperanza«, zu deutsch Hoffnung.

Concha, wie sie genannt wird, ist eine der Sprecherinnen des Viertels – nahezu jeder im Barrio, im Stadtviertel, kennt sie. Ihr Wort hat Gewicht. Zum einen wohnt sie seit bald 30 Jahren hier, zum anderen ist sie immer für die Bewohner eingetreten. Reden solle bloß niemand darüber, zumindest nicht in ihrer Anwesenheit, doch die Frauengruppe von Alto Jordán wäre vielleicht nicht zustande gekommen ohne die treibende Kraft von Concepción Sánchez, erzählt Nubia Martínez. Regelmäßig kommt sie in das Centro Cultural Popular Meléndez. »Die Zeiten, als wir noch um Erlaubnis fragen mussten, um vor die Tür zu treten, sind lange vorbei«, meint die Mittvierzigerin unbefangen. Der Kreis der Frauen vergrößert sich langsam. Zwei Dutzend sind es, die sich einmal pro Woche im Frauenzentrum treffen. Sie lesen gemeinsam, tragen Gedichte vor oder fertigen Handarbeiten, wobei auch über Probleme im Viertel gesprochen wird. Die gibt es zuhauf: »In einigen der benachbarten Stadtteile sind die Paramilitärs im Gange und kassieren die Vacuna«, erklärt Alba Marina Malsata. Vacuna, das ist die Schutzgebühr, die Kleinunternehmer von Alto Jordán genauso murrend zahlen wie die Leute der dahinterliegenden Flüchtlingsviertel.

Der Ursprung der Frauensolidarität

Alba Marina lebt erst seit zwei Jahren in Cali. Die 39-Jährige ist wie so viele Frauen in Kolumbien alleinerziehende Mutter. Vor Jahren hat sie sich von ihrem Mann getrennt und – seit sie in dieser Stadt wohnt – neuen Mut geschöpft. »Hier helfen sich die Frauen gegenseitig, lernen etwas dazu und stellen gemeinsam etwas auf die Beine«, erklärt die selbstbewusste Frau mit dem bronzenen Teint und dem pechschwarzen Haar. Der Ursprung der Frauensolidarität liegt im Kulturzentrum Meléndez. Es wurde vor 30 Jahren von Frauen für Frauen gegründet und hat es geschafft, dem verbreiteten Machismo etwas entgegen zu setzen. Concha ist in mehreren Gruppen aktiv. Nicht nur in der Handarbeitsgruppe, sondern auch im Literaturzirkel und im »Club feminino« schaut sie regelmäßig vorbei. In diesem Club lernen die Frauen, jung wie alt, ihre Rechte kennen. »Das hat einiges dazu beigetragen, dass unser Selbstwertgefühl gestiegen ist«, erklärt Gladys Bostitu. Am 8. März und am 25. November, dem internationalen Tag gegen Gewalt gegen Frauen, ist die Endvierzigerin immer auf der Straße.

Gemeinsam mit anderen Frauen aus dem Barrio Alto Jordán und dem Kulturzentrum nimmt sie auch an den Veranstaltungen der »Ruta pacifica«, der derzeit wichtigsten Frauenorganisation Kolumbiens, teil. Diese entstand Mitte der 90er Jahre. Sie setzt sich für eine Verhandlungslösung zwischen den Konfliktparteien ein und kämpft gegen die systematische Vergewaltigung von Frauen in dem seit über 40 Jahren schwelenden Bürgerkrieg. »Die Zahl von Frauenorganisationen auf regionaler wie nationaler Ebene hat in den letzten Jahren sprunghaft zugenommen«, berichtet Carmiña Navia Velasco, eine der Gründerinnen des Frauenzentrums.

Die landesweit bekannte Feministin und Literaturprofessorin der Universität Cali widmet ihre gesamte Freizeit dem Kulturzentrum. Viele der Frauen um Concha, Gladys und Alba haben durch das gemeinsame Lesen und Analysieren von Romanen und Gedichten Selbstbewusstsein getankt. Gloria hat mit Hilfe des Zentrums ihr Abitur nachgeholt und studiert nun Literaturwissenschaft an der Universität. Die Frauen artikulieren heute klar, worauf sie Wert legen.

Ein Beispiel, das Schule macht

Das passt nicht allen Männern. »Wir sind schon manchem aufs Dach gestiegen, haben einzelne, die besonders schlecht mit ihren Frauen umgingen, zur Rechenschaft gezogen«, erzählt Concha Sánchez. Mit ihrem Mann habe sie indes kaum Reibereien, er akzeptiere eine starke Frau an seiner Seite. »Der Respekt der Männer gegenüber den Frauen ist gestiegen, der Machismo auf dem Rückzug«, beobachtet Nubia Martínez. »Mit dafür verantwortlich ist, dass die Frauen zusammenhalten und nicht miteinander konkurrieren«, erklärt die Sozialarbeiterin Claudia González, die für das Centro Cultural Popular in den Barrios arbeitet. Allerdings funktioniere das unter älteren Frauen besser als unter jüngeren.

Das Frauenzentrum macht Schule. In Bogotá bauten 60 Frauen in Eigenregie ein vierstöckiges Gemeindezentrum auf und sorgten so für funktionierende Strukturen inklusive Kindergarten und Recyc-ling-Genossenschaft, die vielen Frauen ein Auskommen bieten. So entstehen weibliche Netzwerke im Land, die sich auch an der Wahlurne bemerkbar machen. »Frauen wie Gloria Cuartas oder Patricia Lara sind nicht mehr gänzlich unbekannt im Land und werden als Politikerinnen ernst genommen«, erklärt Carmiña Navia Velasco. Gladys Bastitu klagt jedoch, dass das Beispiel der beiden linken Politikerinnen zwar ermutigend sei, »eine Stimme am Verhandlungstisch haben wir aber trotzdem nicht«.

An diesen Verhältnissen wollen die Frauen vom Kulturzentrum Meléndez etwas ändern. In ihrem Stadtviertel haben sie durchaus Erfolg. Parallel zum Wachstum der Barrios auf den Hügeln im Südosten der Stadt wurde eine weitere Einrichtung im Stadtteil Prados del Sur gegründet. Zudem sind mehrere Sozialarbeiterinnen in den angrenzenden Stadtteilen unterwegs und helfen. »Zum Beispiel bei Schwierigkeiten mit den Behörden, wenn Hilfen für Bürgerkriegsflüchtlinge nicht bewilligt werden, obwohl Familien ein Anrecht darauf haben«, erklärt Schwester María Asunción, die seit 1967 in Cali lebt und ebenfalls zur Gründungsgeneration des Zentrums gehört.

Von der Teilnehmerin zur Leiterin

»Unser Zentrum steht allen offen, Katholiken wie Protestanten, wir predigen das Evangelium der Frau«, so die Schwester, die dem Javeriana-Orden angehört. Über jede Frau, die gestärkt aus dem Centro Cultural Popular geht, freut sie sich. María Asunción weiß um die Probleme im Stadtviertel, seien es Drogen, familiäre Gewalt oder Jugendbanden, die die Gegend unsicher machen. Die Frauen versuchen, ihre Kinder aus dem Kreislauf herauszuhalten. Manchmal gelingt es, wie bei der 21-jährigen María Sucio. Sie will den Spuren von Carmiña folgen und Literaturwissenschaft an der Universität Cali studieren.

Die Lust an Bildung wecken die Frauen vom Centro Meléndez auch bei vielen Kindern. Rund 200 nehmen derzeit am kulturellen Angebot teil, und manchmal kommt ein ganzer Klassenverband nach der Schule vorbei, um die gut bestückte Bibliothek zu nutzen. »Man muss die Lust am Lernen nur wecken«, ist sich Juliet Tamayo sicher. Die 41-Jährige ist selbst das beste Beispiel für den Erfolg des Modells. Mit 15 Jahren nahm sie an Kursen im Hause teil – heute leitet sie sie selbst.

* Aus: Neues Deutschland, 22. Februar 2007


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