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Der Anfang vom Ende der FARC?

Vernünftig wäre eine Verhandlungslösung, aber die will auch Kolumbiens neuer Präsident nicht

Von Raul Zelik, Medellín *

Die »Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens« (FARC) haben in jüngster Zeit schwere Schläge hinnehmen müssen. Zuletzt wurde ihr Kommandant Jorge Briceño Suarez alias »Mono Jojoy« bei einer Miliäraktion getötet. Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos sprach von einem »Anfang des Endes der Guerilla«.

Die Formulierung ist charakteristisch - Triumphalismus und Zurückhaltung halten sich in Regierungsverlautbarungen auffallend die Waage. Zwar wurde der »schwerste Schlag gegen die Guerilla in der kolumbianischen Geschichte« gefeiert, die Medien waren voll mit Heldenepen über die federführenden Offiziere. Gleichzeitig jedoch betonte das offizielle Kolumbien, dass die FARC noch lange nicht besiegt seien.

Dabei spricht diesmal wirklich einiges für ein Ende der FARC. Die am Sowjetmarxismus orientierte Guerilla, deren Ursprünge bis in die 40er Jahre zurückreichen und die lange Zeit ein Viertel des Landes kontrollierte, hat zuletzt zu viele Schläge einstecken müssen. Anfang 2008 wurde FARC-Verhandlungsführer Raúl Reyes bei einem Überfall in Ecuador getötet. Im Juli des gleichen Jahres befreiten Spezialeinheiten, die sich als Rot-Kreuz-Delegierte ausgaben, mehrere Entführte aus den Händen der Guerilla. Es folgten Militärschläge gegen ein Dutzend mittlerer Kommandanten und eine zweite Geiselbefreiung.

Besorgniserregend für die FARC ist, dass die meisten dieser Aktionen durch Verrat und Infiltration zustande kamen. Hunderte Überläufer versorgten die Militärgeheimdienste mit Informationen. Was das für das Binnenleben der FARC bedeutet, lässt sich vorstellen: Die Organisation wird von allgemeiner Paranoia geplagt.

Es scheint, als zahlten die FARC damit den Preis für ihre Militarisierung. Bis 1990 galten sie als reformistischste der kolumbianischen Guerillagruppen. Das Bündnis aus Kommunistischer Partei und FARC setzte auf politische und parlamentarische Erfolge. Erst als die linke Wahlplattform Unión Patriótica in einem »schmutzigen«, von den Geheimdiensten koordinierten Krieg zerstört wurde, orientierten sich die FARC neu. Sie verabschiedeten sich von jeder Reformpolitik und finanzierten mit den Einnahmen der Drogenbesteuerung den Aufbau ihrer »revolutionären Volksarmee«. Die neue Strategie war zeitweise so erfolgreich, dass sich die USA 1999 zur Intervention genötigt sahen. Seitdem zahlt Washington jährlich um die 700 Millionen Dollar Militärhilfe. Für die FARC dagegen hat sich ihr Erfolg in eine schwere Bürde verwandelt: Die politische Überzeugung vieler Kämpfer ist gering; die Zahl der Deserteure hoch.

Angesichts einer möglichen Niederlage der FARC, stellt sich aber auch die Frage, was ihr Zerfall eigentlich bedeuten würde. Der sozialdemokratische Kolumnist Juan Diego Restrepo hat jüngst darauf hingewiesen, dass eine Fragmentierung der FARC die Gewalt im Land weiter verschärfen würde. Versprengte Guerillas würden sich in kriminelle Banden verwandeln. Auch für den Staat wäre die neue Situation alles andere als komfortabel: Ihm ginge ein Feind abhanden, der kaum politische Ausstrahlung besitzt, gleichzeitig aber das zerstrittene Establishment zusammenbindet. Und aus der Perspektive der Linken schließlich muss ein Urteil ambivalent ausfallen: Die FARC mit ihrer autoritären Politik gegenüber der Zivilbevölkerung und ihren bizarren Allianzen mit dem Drogenhandel haben die Entwicklung sozialer Bewegungen und Linksparteien oft blockiert. Gleichzeitig würde ein militärischer Sieg der Eliten aber auch das Machtmodell der letzten 200 Jahre zementieren, das auf der Niederschlagung jeder Opposition beruht.

Vor diesem Hintergrund wäre eine Verhandlungslösung wünschenswert, die Exguerilleros und Exsoldaten - anders als in den Friedensprozessen Zentralamerikas - eine echte ökonomische Perspektive bietet und die sozialen Probleme löst, die zum Ausbruchs des Guerillakriegs führten. Überraschenderweise hat sich der neue Präsident Juan Manuel Santos auch für soziale Reformen ausgesprochen. Eine der ersten Initiativen seiner Regierung war eine Agrarreform, durch die die von Paramilitärs und Großgrundbesitzern enteigneten Kleinbauern ihr Land zurückerhalten sollen. Der aus den traditionellen Eliten stammende Santos hat sich damit von der aufstrebenden Neu-Bourgeoisie (die sich um Expräsident Alvaro Uribe gruppiert hatte) abgegrenzt und die Möglichkeit einer strukturellen Modernisierung Kolumbiens angedeutet.

Doch eine Verhandlungslösung will auch Santos nicht. Ihm geht es nicht um wirkliche Demokratisierung, sondern um die Stärkung des traditionellen Establishments. Dissidente Stimmen haben auch weiterhin keine Chance: Erst jüngst wurde die liberale Senatorin Piedad Córdoba, wichtigste Exponentin der Friedensbewegung, vom Disziplinarstaatsanwalt Alejandro Ordóñez wegen angeblicher Verbindungen zu den FARC ihres Mandats enthoben.

* Aus: Neues Deutschland, 13. Oktober 2010


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