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Der pompöse/aufgeblasene "Drogenkrieg" ist ein schallender Fehlschlag

Was Afghanistan und Kolumbien gemein haben

In Afghanistan und in Kolumbien sollten die Verbündeten der USA im Krieg gegen den Terrorismus ihre Feinde im Drogenkrieg sein.

Anfang November 2001, als der Krieg gegen Afghanistan ungebremst voranschritt, hielten die Vereinten Nationen in Islamabad eine Pressekonferenz ab, um die jüngsten Erfolge im Krieg gegen die Drogen bekannt zu geben. Die JournalistInnen, die sich dort herumschlugen, waren überrascht, als sie lernen durften, dass die Taliban im vorangegangenen Jahr alle Verbrechen begangen hatten, die es so gibt. Allerdings zerstörten sie gleichzeitig auch alle Opiumanpflanzungen in den von ihnen kontrollierten Gebieten.

Zu jener Zeit waren die Verbrechen des Taliban- Regimes - angefangen bei ihrer Behandlung von Frauen über ihre vermeintliche Liebe zu Osama bin Laden bis hin zu ihrem Drogenbeitrag zur Sucht westlicher Jugendlicher - von besonderem Interesse. Dass die Taliban den kompletten Opiumbestand zerstört hatten, passte nicht in das Bild des unheiligen Bösen, das in jenem Moment produziert wurde. Die Geschichte zog jedoch keine weiten Kreise. Selbst wenn es wahr sein sollte - und das war es zweifellos - hielt sich der Eindruck, dass die Taliban es nicht wirklich ernst meinten: wahrscheinlich kreuzten sie die Finger hinter ihrem Rücken. Lob oder dergleichen war politisch unvorstellbar.

Wenn der Geschichte jedoch ein wenig mehr Platz eingeräumt worden wäre, wäre vielleicht auch wahrgenommen worden, dass in den Teilen Afghanistans, die die Nordallianz - die erfolgreich die Rolle des noblen Helden im Melodrama des Kriegs gegen das Böse übernommen hatte - kontrollierte, die Opiumproduktion steil in die Höhe schnellte. Wenn wir diesem Thema mehr Aufmerksamkeit geschenkt hätten, wäre womöglich auch gefragt worden, was mit dem Land geschehe, wenn unsere neuen Freunde, die Warlords, das gesamte Land zum Anbau ihrer Lieblingspflanzen nutzen würden.

Heute kennen wir bereits die Antwort. Nach dem Sturz der Taliban ist Afghanistan wieder rasant zur Produktion von zwei Dritteln der weltweiten Heroinmenge übergegangen und ist außerdem Hauptlieferant für Europa, inklusive Britannien.

Afghanistans Präsident, Hamid Karsai, hat selbstverständlich den Drogenanbau verboten, doch die Geste ist vergeblich. Wenn die letzten UN-Schätzungen korrekt sind, sind die Einnahmen aus dem Drogenhandel doppelt so hoch wie die ausländischen Hilfen. (Nachdem das Land zu einem Prioritätsfall für Hilfen wurde - oder besser: für Hilfeversprechungen.)

Die Gewinne aus dem Drogenhandel belaufen sich auf die Hälfte des Bruttoinlandsprodukts. Sowohl die Landwirtschafts-, Kommunikations-, Bewässerungssysteme als auch die Verkehrsinfrastruktur sind in solch schlechtem Zustand, dass viele Bauern keine Alternative zum Mohnanbau sehen. Dabei spielt es keine Rolle, was Hamid Karsai sagt, denn die Warlords werden kaum den Anbau einer Pflanze unterdrücken, der ihnen derart enorme Mengen leicht verdienten Geldes einbringt.

Nur was machen sie mit dem Geld? Warlords verrichten natürlich Warlord- Geschäfte mit diesem Geld: sie sichern ihre Herrschaft, kaufen Waffen und stellen sicher, dass die Zentralregierung nicht über sich hinauswächst.

Ein wenig verspätet scheinen sich nun die USA darum zu sorgen, was die falschen Menschen mit diesen Einnahmen anstellen könnten. Die U.S. Drug Enforcement Administration (DEA = Organisation zur Drogenbekämpfung) hat eine Dringlichkeitsinitiative auf den Weg gebracht - Operation Containment (Eindämmung) -, mit deren Hilfe der Handel unter Kontrolle gebracht werden soll. Doch der Grund dafür ist schlichtweg die Angst, dass die falschen Kämpfer durch das Geld finanziert werden könnten - die wieder auferstandenen Gotteskrieger und die Taliban. Vom Krieg gegen den Terrorismus bis zum Drogenkrieg haben wir scheinbar den Kreis geschlossen.

Um einen effektiven Drogenkrieg zu führen, müssen die USA allerdings einige ihrer Hauptalliierten im Krieg gegen den Terrorismus entgegen treten - es ist jedoch äußerst unwahrscheinlich, dass es dazu kommen wird. Denn einerseits verkompliziert es die Geschichte vom Guten und Bösen. Und wie die Regierung sehr wohl weiß, werden die Worte Drogen und Krieg häufig miteinander in Verbindung gebracht, doch nicht immer in der Weise, wie wir es vortäuschen. Der pompöse/aufgeblasene "Drogenkrieg" - eine bedeutungslose Worthülse, hinter der sich zahlreiche Maßnahmen verbergen - ist anhand vernünftiger Maßstäbe ein schallender Fehlschlag. Nichtsdestotrotz ist die enge Verknüpfung zwischen Drogen und Krieg so stark wie nie zuvor.

Das Drogengeschäft kann sowohl ein Motiv für einen bewaffneten Konflikt als auch ein Mittel zum Erhalt desselben sein. Ein flüchtiger Blick auf die Geschichte Afghanistans und auf Konflikte sonstwo auf der Welt enthüllt, dass nicht nur die Männer mit den schwarzen Turbanen es als nützlich empfanden. Afghanistans Drogenhandel blühte in den 1980ern auf, als die CIA die Mujahedin ("Gotteskrieger") im Krieg gegen die UdSSR sponsorte. Und der Kokainhandel florierte in Zentralamerika, als die U.S. Regierung die Contras unterstützte, die die Sandinistas in Nicaragua bekämpften. Flugzeuge, die Waffen nach Zentralamerika transportierten, kehrten mit anderen illegalen Waren zurück. Dadurch lief das Rad des Krieges stetig weiter.

Ebenso im heutigen Kolumbien. Der Autor Robin Kirk schätzt, dass der New Yorker Straßenpreis eines Kilogramms Kokain der Gegenwert zum monatlichen Lohn von 250 kolumbianischen KämpferInnen oder zum Preis von 180 AK-47-Gewehren oder zum Preis von 120 Mobiltelefonen ist. Und angesichts der Tatsache, dass 6 Millionen AmerikanerInnen im Jahr mindestens 46 Milliarden U.S. Dollar für Kokain und Heroin - das überwiegend aus Kolumbien stammt - ausgeben, stecken noch immer viele Menschenleben in diesem Krieg.

Die U.S. Regierung pumpt unter dem Vorwand der Drogenbekämpfung weiterhin Geld in den BürgerInnenkrieg in Kolumbien. In diesem, mehr als vereinfachten Szenario werden die RebellInnen - der FARC (Fuerzas Amadas Revolucioniarias de Colombia = Bewaffnete Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens )und der ELN (Ejército de Liberación Nacional = Nationale Befreiungsarmee) - als "Drogenterroristen" dargestellt, so dass man folglich die kolumbianische Armee im Kampf gegen sie unterstützen muss. Die Armee unterhält jedoch enge Kontakte zu den Paramilitärs, die aus Drogengeldern bezahlt, ernährt, angekleidet und bewaffnet werden. Ebenso finanzieren zahlreiche SenatorInnen und Kongressabgeordnete ihre Wahlkampfausgaben über Drogengeschäfte. Wenn die Niederlage der FARC und der ELN gleichbedeutend mit dem Untergang des kolumbianischen Drogengeschäfts wäre, befänden wir uns dementsprechend bereits im Zeitalter der Wunder.

Der Originalartikel erschein am 4. Dezember 2003 im britischen "The Guardian". Der englische Originaltitel lautet "Just Poppycock". Poppycock wird mit "Quatsch" oder "Larifari" übersetzt während das Wort "poppy" allein auch Mohn (Grundstoff für Heroin) bedeutet. Im englischen ist somit im Titel ein Wortspiel bzw. eine Anspielung auf das Thema (Drogenanbau) enthalten, die ich versucht habe zu übernehmen. [Anm. d. Ü.]

Quelle: ZNet 11.12.2003 (http://www.zmag.de)


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