Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Ein Mordsgetränk

Kolumbien: Wohlfeile Kooperation - Coca Cola, Nestlé und andere paktieren mit ultrarechten Paramilitärs, auf dass die Geschäfte florieren

Von Jeroen Kuiper*

Die Gewerkschaft Sinaltrainal hat in den vergangenen Jahren mehrere Mitglieder durch politisch motivierte Attentate verloren. Alle arbeiteten für die kolumbianische Filiale des Coca-Cola-Konzerns und waren wegen ihres sozialen Engagements häufig bedroht worden. Im April gab es in Bogotá ein "Volkstribunal", das multinationale Unternehmen anklagte, mit ultrarechten Paramilitärs zu kollaborieren.

Sinaltrainal hat seine Büros in einem unauffälligen Gebäude am Rande der Innenstadt von Bogotá. Vor dem Portal bauen Studenten auf einem Pferdewagen an einer riesigen Coca-Cola-Flasche. Statt "Coca Cola" ist im Logo das Wort "Genocida" zu lesen. Ihr Gefährt soll in den nächsten Tagen zu einem Volkstribunal rollen, um auf kriminelle Aktivitäten in Kolumbien tätiger Firmen wie Nestlé, Chiquita und Coca Cola aufmerksam zu machen. Die Veranstalter geben sich keinen trügerischen Hoffnungen hin - ihre Kampagne wird die Presse nicht in Scharen anlocken. "Kolumbiens Medien meiden solche Kampagnen", sagt die 23-jährige Kunststudentin Rocio mit dem rotem Haar und zieht kräftig an ihrer Zigarette. "Die Zeitungen zum Beispiel sind fast alle Eigentum einiger weniger Verlage. Die werden nichts Kritisches über Multinationals schreiben."

Sie füttern die Killer

Drinnen, im Gewerkschaftsgebäude, hält mich keiner auf, als ich nach oben gehe; ich werde wohl einer von ihnen sein. Die Wände sind mit Aufrufen zu Kundgebungen beklebt. Auch gibt es Poster von Adolfo Munera, einem Sinaltrainal-Gewerkschafter, der für Coca Cola arbeitete und 2002 ermordet wurde.

"Adolfo war einer von acht Gewerkschaftsmitgliedern, die eine Anstellung bei Coca Cola nicht überlebt haben", erzählt mir Minuten später Edgar Paez, der für internationale Kontakte bei den Syndikalisten von Sinaltrainal zuständig ist. Paez redet engagiert und schnell. Für ihn ist jeder ein Compañero. Auch er ist damit beschäftigt, das Volkstribunal gegen Coca Cola vorzubereiten. "Von diesen Morden abgesehen, sind momentan 28 unserer Mitglieder im Gefängnis", erzählt er routiniert. "Sie werden beschuldigt, Terroristen zu sein und müssen mit einer Anklage wegen Verschwörung rechnen. Gleichzeitig werden Mitarbeiter von Sinaltrainal durch Paramilitärs bedroht - es gibt Briefe, anonyme Anrufe, Schmierereien an den Wänden ihrer Häuser. Sie werden damit bedroht, ihre Kinder würden entführt, sollten sie Kolumbien nicht verlassen. Dies alles ist Teil politischer Gewalt. Unsere Menschenrechte werden geschändet. Es gibt Mitglieder von Sinaltrainal, die sind in andere Städte gezogen - oder ins Ausland."

Paez streicht sich über seinen Bart. "Die Einzigen, die von Mord und Terror gegen Gewerkschafter profitieren, sind die internationalen Firmen. Sie füttern die Killer. Nehmen Sie den Fall von Adolfo Munera, der am 31. August 2002 umgebracht wurde. Zuvor war er mehrfach aufgefordert worden, das Land zu verlassen. Die Manager von Coca Cola hassten ihn, weil er ein guter Gewerkschafter war und sich für die Rechte seiner Kollegen stark machte. Als die Drohungen unerträglich wurden, ging er nach Venezuela und kam später in der Hoffnung zurück, alles hätte sich beruhigt. Er klagte gegen seine Entlassung bei Coca Cola, verlor den Prozess und ging in Berufung, weil ihm das Recht verweigert worden war, sich zu verteidigen. Als daraufhin das Verfahren wiederholt werden sollte, brachten sie ihn um ..."

Warum schweben in Kolumbien Mitglieder legaler Gewerkschaften in Lebensgefahr? Für Arturo Portilla, Anwalt bei Sinaltrainal, ist die Frage einfach zu beantworten. "Jeder, der hier versucht, Arbeitsrechte geltend zu machen, ist für den Staat ein Terrorist." Portilla redet leise und konzentriert. "Wir erstatten immer Anzeige, wenn so etwas passiert, aber du musst ihnen Beweise liefern, und am Ende ist keiner für einen Mord verantwortlich. Wenn es um Arbeitsrechte geht, gilt in Kolumbien totale Gesetzlosigkeit. In letzter Zeit wurden Gesetze erlassen, um die Arbeitszeit zu verlängern, teilweise bis zehn Uhr abends, die Gehälter zu drücken, den Urlaub zu kürzen. Diese Dekrete sind den Unternehmen natürlich willkommen - der Staat revanchiert sich eben bei denen, die ihm geholfen haben. Viele Firmen haben Uribes Wahlkampagne finanziert. Manche davon führen schwarze Listen von Arbeitern, die nirgendwo eingestellt werden sollen - und das passiert nur, weil diese Leute auf ihren Rechten bestanden haben, mehr nicht."

Die Fußball-WM sabotieren

Um die Mörder der Sinaltrainal-Mitglieder zur Verantwortung zu ziehen, hat die Gewerkschaft mehrere Prozesse angestrengt, ohne Erfolg. Vier Klagen gegen Coca Cola sind noch bei einem Gericht in Miami anhängig - immerhin wegen Mordes, Entführung und versuchter Entführung.

Edgar Paez hat des öfteren versucht, mit Coca Cola direkt ins Gespräch zu kommen, vergeblich. Er nickt, als ich ihn frage, ob seine Arbeit für Sinaltrainal nicht frustrierend sei. "Bisher waren wir kaum erfolgreich. Deswegen gibt es jetzt den Boykott und die Volkstribunale gegen Coca Cola. Wir fordern, dass der Konzern die Familien der Opfer entschädigt, die Gewalt gegen uns stoppt und die Täter nennt, die für Verbrechen an unseren Mitgliedern verantwortlich sind. Aber Coca Cola streitet nach wie vor ab, in kriminelle Handlungen verstrickt zu sein. So ist unser Boykott längst nicht mehr auf Kolumbien beschränkt. In England ist Coca Cola schon von einigen Universitäten verbannt worden, in Italien haben wir uns während der Olympiade in Turin bemerkbar gemacht. Und im Moment planen wir einiges gegen Coca Cola während der Fußball-Weltmeisterschaft und überlegen, wie wir das Endspiel sabotieren können, um die Presse auf uns aufmerksam zu machen."

An der Universidad Distrital findet ein paar Tage später das bewusste Tribunal statt. Vor der Aula haben sich trommelnde Studenten aufgebaut, Ché Guevara schaut ihnen mit ernster Miene zu, die kolumbianische Flagge im Rücken. Daneben ein Gemälde: "Revolución en Nepal: un nuevo mundo es posible!" Drinnen verkaufen Händler Ökoprodukte und Anti-Coca-Cola-Shirts. An einer Wand steht: "Viva el maoismo!". Und in der Aula wird über die dubiosen Kanäle der Multinationals in Kolumbien geredet. Der Vorwurf ist eindeutig: Multis und Contras gehen Hand in Hand. Die Unternehmen steigern ihre Gewinne mit Hilfe von Paramilitärs - des gilt vorrangig für drei Firmen: den US-Bananenproduzenten Chiquita, den Schweizer Nahrungsmittelkonzern Nestlé und den Getränkehersteller Coca Cola. Außer dem acht Coca Cola-Mitarbeitern wurden zuletzt auch zehn Angestellte von Nestlé ermordet, die einer Gewerkschaft angehörten. Einem Redner aus Medellin zufolge musste Chiquita zugeben, für seine Geschäfte auch Paramilitärs der Vereinigten Selbstverteidigungskräfte Kolumbiens (AUC) angeheuert zu haben, einer ultrarechten Formation.

Die Augenzeugenberichte auf dem Volkstribunal stimmen mit dem überein, was mir Edgar Paez zuvor erzählt hat. Er hatte auch zu verstehen gegeben: "In Kolumbien brauchen wir strukturelle Änderungen, ein Regierungswechsel reicht nicht mehr aus. Das Problem der Gewalt in unserem Land hat mit wirtschaftlichen Strukturen zu tun. Jetzt will Präsident Uribe auch noch eine Kriegssteuer einführen. Die Regierung investiert vor aller Augen in mehr Krieg. Wenigstens gibt uns Hoffnung, was derzeit in Venezuela und Bolivien passiert. Man spürt, ein anderes Lateinamerika ist möglich. Man kann sich an Entscheidungen über die eigene Zukunft beteiligen."

Aus: Freitag, Die Ost-West-Wochenzeitung, 18, 3. Mai 2006


Zurück zur Kolumbien-Seite

Zurück zur Homepage